Der einzige mir bekannte Mensch, der nicht kochen kann, bin ich. In der Pandemie ist diese Totalverweigerung am heimischen Vierplattenherd lebensgefährlich. Würden mich nicht immer wieder Imbiss-Ikonen aus der Türkei und dem Irak in meiner Nachbarschaft mit Schawarma, Falafel und ähnlichem To-go-Proviant versorgen, wäre ich längst an einer Spiegeleier-mit-Ketchup-Vergiftung gestorben.
Neulich stand meine zweite Covid-Impfung bevor, und alle Welt warnte mich vor den Folgen. Zwar sollte mir ein Stoff mit dem zukunftsorientierten Namen "Moderna" gespritzt werden, dennoch prophezeiten mir meine letzten noch lebenden Freunde Fieberanfälle, Schüttelfrost und schreckliche Tode. Einer sagte mir, falls ich entgegen meiner Stimmung überleben wolle, müsse ich mir vor der Impfung eine Hühnersuppe kochen. Im Fieberwahn wäre ich später nicht mehr fähig, mir aushäusig Schawarma oder Falafel zu besorgen oder mich gar mit Spiegeleiern aus eigener Herstellung aus dem Elend zu erlösen.
Meine Spritz-Tour führte mich hinauf zu den Hügeln über dem Stuttgarter Pragsattel, der mit der gleichnamigen Stadt nichts zu tun hat. Es wurde nie geklärt, warum einige Stuttgarter Orte "Prag" heißen: Pragsattel, Pragfriedhof etc. Die üblichen Vermutungen spare ich mir. Ich habe nur gehört, dass früher immer wieder Post für das richtige Prag versehentlich in Stuttgart landete, was unser Nest erheblich aufwertete.
Als mir die liebenswürdige Frau im Impfzentrum des Robert-Bosch-Krankenhauses die Nadel verpasst hatte, marschierte ich emotional angefixt durch einen Weinberg hinunter zum Pragsattel, der ziemlich hoch über der Stadt liegt. Unterwegs dachte ich an Robert Boschs Zündkerze und seine Nachbarin Clara Zetkin, die später im heutigen Stuttgarter Stadtteil Sillenbuch mit dem Künstler Friedrich Zundel zusammenlebte. Eine böse private und politische Geschichte, weil sich der Maler mit Robert Boschs Tochter Paula einließ. Die sozialistische Revolutionärin und Frauenrechtlerin Clara Zetkin engagierte sich übrigens auch sehr für die kulturelle Bildung der Arbeiter, während viele ihrer Genossen die Weisheit verbreiteten, Kunst lenke vom Klassenkampf ab. Dieser Kultur-gehört-in-den-Beutel-Geist hält sich bis heute in einigen linken Kreisen.
Alles in dieser Stadt regelt der Geldverkehr
Die zweite Impfung hatte mich in eine letzte Euphorie versetzt, die bei meinem Abgang zwischen den Rebstöcken nicht nur Erinnerungen an Clara Zetkins unglückliche Liebe, sondern auch meine Angst vor Fieberattacken weckte. Immer wenn ich "Schüttelfrost" höre, denke ich an Brian De Palmas Gangsterfilm "Carlito's Way". Im Showdown in der New Yorker Grand Central Station will der Nachtclubchef Carlito Brigante mit seiner Geliebten fliehen. Dann treffen ihn drei Kugeln in den Bauch. Carlito, gespielt von Al Pacino, stirbt einen großen Tod mit den Worten: "Jetzt kommt der Schüttelfrost. Die letzte Runde, bevor die Bar schließt. Die Sonne geht auf. Wo wollen wir frühstücken? Ich möchte nicht so weit gehen. Es war eine harte Nacht. Ich bin müde, Baby ..."
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Tanja Tasche
am 07.06.2021