Wer auf Demonstrationen geht, kennt dieses Lied. Mit der Melodie von "Bella Ciao" beginnen die Video–Aufzeichnungen der Montagsdemos gegen Stuttgart 21, nicht nur in Italien ist es oft die Begleitmusik von Protesten gegen rechts, auf Gewerkschaftsdemos kann man ihm schwer entgehen, der DGB hat zum diesjährigen 1. Mai sogar einen virtuellen Chor mit dem Lied initiiert, aber auch auf "Querdenker"-Demos war es schon zu hören. Es gibt unzählige Versionen, berühmte SängerInnen wie Milva oder Yves Montand haben es interpretiert, aber auch kleine Indie-Acts wie die schottische Postpunk-Band Dog Faced Hermans, und 2014 kursierte im Netz ein Video, das zu "Bella Ciao" kurdische YPG-Kämpferinnen im syrischen Kobane zeigte, die sich dem IS entgegen stellen.
Kürzlich haben in Italien linke Parteien und die Cinque Stelle vorgeschlagen, das Lied zur offiziellen Hymne des 25. April zu machen, des Gedenktags für die Befreiung vom Faschismus und von der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg. Und wäre das nicht passend? Es handelt sich bei dem so eingängigen wie eindringlichen Lied schließlich um das Lied der italienischen Partisanen. Das Lied, das sie sangen, bevor sie die Feinde angriffen, die Bereitschaft zum Sterben bekundend ("Che mi sento di morir"), doch nicht in militärischem Marsch-Rhythmus und dumpf-heroischer Sich-Opfern-fürs-Vaterland-Rhetorik, sondern mit Sinn für die Schönheit und dem Wunsch, das auf dem eigenen Grab eine Blume wachsen möge, erinnernd an den für die Freiheit gestorbenen Kämpfer ("E questo il fiore del partigiano / Morto per la liberta"). Hach.
Und nun müssen all jene, die "Bella Ciao" auch wegen dieser Geschichte lieben, stark sein. Denn das ist alles nur ein Mythos.
Mythen in Versen
Wobei, "alles" stimmt nun auch wieder nicht. Aber das heutige, tausendfach gesungene "Bella Ciao" existiert erst seit Beginn der 1960er Jahre. Davor war es, mit einem vermutlich sehr ähnlichen Text, nur einem sehr kleinen Kreis bekannt, und das mit dem Partisanenbezug ist auch nicht ganz falsch. "Forscher berichten, dass kleine Gruppen von Partisanen es vielleicht 44 oder 45 in der Gegend um Modena und Bologna gesungen haben, aber das ist alles", schreibt Hervé Barulea alias Baru in "Bella Ciao". Doch die Forscher seien sich auch einig, dass dieses Lied nie die Hymne der Partisanen war, zumal die gar keine hatten. "Die wenigen Male, als ihnen nach Singen zumute war, war es 'Bandiera rossa' oder 'Fischia il vento', auf die Melodie von 'Katjuscha' und mit derart eindeutigem Text, dass man die Hand Moskaus mehr als klar erkannte."
Nach dem Tod Stalins wurden diese Kampf-Lieder für die komunistische Partei Italiens PCI aber zur Bürde, sie wollte sich (anders etwa als die deutsche KPD) vom sowjetischen Gängelband befreien. Da half ihr das Festival "Dei Due Mondi" im umbrischen Spoleto, das 1964 Volksliedern gewidmet war. Und dort wurde nicht nur das heute bekannte "Bella Ciao" vorgestellt, sondern auch eine Vorgängerversion, die, so hieß es, schon lange davor von den Reisfeldarbeiterinnen der Po-Ebene, den Mondine, gesungen worden sein soll. Kein Lied über einen militärischen, sondern über den Klassenkampf, gesungen von ausgebeuteten Arbeiterinnen, endend mit den Zeilen "Ma verrà un giorno che tutte quante / Lavoremo in libertà" – eines Tages werden wir alle in Freiheit arbeiten. Und da auch die Partisanenversion nur einen vagen, ideologisch nicht definierten Eindringling ("invasore") nannte, stürzte sich die PCI mit Freude auf beide Versionen. Aber was ist von dem jiddischen, zur Klezmer-Folklore gehörenden Lied "Dus zekele mit koilen" zu halten, das der aus Odessa stammende Roma Mishka Ziganoff zwischen 1910 und 1920 mehrfach in New York aufnahm? Seine Melodie erinnert teilweise stark an die vermeintliche Partisanen-Hymne.
Die Geschichte und die Mythen um das berühmte Lied macht nur ein Kapitel von Barus neuem Comic "Bella Ciao" aus – wobei Comic als Bezeichnung für das neue Werk des französischen Zeichners und Autors im Grunde etwas zu eng wirkt. Vielmehr ist es eine Collage aus historischen Dokumentationen und Fiktionen, immer wieder nahe an Barus eigener Geschichte: Er ist Sohn eines italienischen Emigranten, der in Frankreich Arbeit suchte und sie in den Stahlwerken Lothringens fand. Die Passage über "Bella Ciao" sei für ihn eine Metapher über die persönliche Erinnerung, denn die lüge nun mal "wie gedruckt". Das eigene Erinnerungsvermögen stellt Fallen, ergänzt fehlende Stellen falsch, ordnet Erinnerungsfetzen falsch zu. Und daher sei die Beschäftigung mit dem Lied für ihn auch eine Art, den Leser zu unterrichten, "dass Bella Ciao keinesfalls eine Autobiografie ist", auch wenn das Buch autobiografische Elemente enthält.
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