In Russland wurde gerade gewählt. Das weiß man. Aber in Russland ist auch gerade Deutschlandjahr! Wie? Sie haben noch gar nichts davon gehört? Ob das daran liegt, dass in unseren Medien über dieses Deutschlandjahr, das die "Vielfalt der deutsch-russischen Beziehungen erlebbar machen will", so wenig berichtet wird? Nun, ein bisschen doch, zum Beispiel in öffentlich-rechtlichen Kulturmagazinen, die sich dabei aber eher als Kulturverhinderer gerieren und einen Austausch mit Russland in Frage stellen. Sachsens Ministerpräsidenten Michael Kretschmer ("Wir wollen nicht zurück in die Zeiten des Kalten Krieges"), der zur Eröffnung einer "Romantik"-Ausstellung in die Moskauer Tretjakov-Galerie gekommen war, wird von der 3-Sat-"Kulturzeit"-Moderatorin unterstellt: "Mit Besuchen in Russland gewinnt man im heimischen Sachsen immer Sympathie." Das Deutschlandjahr-Logo – zwei abstrahierte und sich an den Händen haltende Figuren – wird von der "Kulturzeit"-Kamera übrigens so aufgenommen, als sei es ein Absperrband.
Schon ein Jahr zuvor hatte das ZDF-Magazin "Aspekte" der Stiftung Preußischer Kulturbesitz nahegelegt, diese solle eine geplante Ausstellung in St. Petersburg platzen lassen: "Kann dieser Museumsdialog angesichts der Repression jetzt einfach so weitergehen?" Ja, meinte allerdings Michail Piotrowski, Direktor der Eremitage: "Gerade in solchen Situationen sind Museen eine Art Brücke zwischen den Menschen." Aber dies sind leider Zeiten, in denen nicht die Brückenbauer, sondern die Brückeneinreißer den Ton angeben. In diesen Zeiten wird man schon als naiver Putin-Versteher oder böse Russenfreundin denunziert, wenn man an die Entspannungspolitik eines Willy Brandt erinnert.
Global umschauen lohnt sich
Ja, in diesen Zeiten wird tatsächlich verlangt, als "echter" Demokrat vor der Nato, diesem politisch, militärisch und auch ökologisch desaströsen Bündnis, quasi verbal strammzustehen. Was übrigens die Führungsmacht der Nato angeht, also den Guantanamo-Betreiber und Drohnenmörder USA, sollte man doch mal die extrem eingeengte Wir-sind-die-Guten-Sicht ablegen und sich global umschauen. Der "Guardian" hat zum Beispiel eine Umfrage der Latana Polling Company in 53 Ländern zitiert, derzufolge 44 Prozent glauben, dass in ihrem Land die Demokratie von den USA bedroht wird – und nur 28 Prozent an eine russische Bedrohung glauben. Als größte Bedrohung der Demokratie haben 64 Prozent übrigens die ökonomische Ungleichheit genannt.
In diesen Zeiten, in diesem Jahr, gab es im deutsch-russischen Verhältnis auch ein Jubiläum. Kein zu feierndes, nein, aber eines, das zum Gedenken hätte Anlass geben müssen. Am 22. Juni 1941, also vor achtzig Jahren, überfielen deutsche Truppen die Sowjetunion und entfesselten einen Krieg, dem 27 Millionen SowjetbürgerInnen zum Opfer fielen. Für die Bundesregierung und den Bundestag aber ist das kein Grund für eine Gedenkveranstaltung, man dürfe sich wegen solcherart Historie auch keine Hemmungen in Sachen aktueller Russlandkritik auferlegen, so hieß es im Bundestag, dessen Präsident Wolfgang Schäuble sowieso die "ungeteilte Erinnerung an den gesamten Verlauf des Zweiten Weltkriegs" bevorzugt. Auch Außenminister Heiko Maas will hier nicht von SowjetbürgerInnen oder RussInnen sprechen, sondern lieber von Opfern aus "Mittel- und Osteuropa". Nur Bundespräsident Walter Steinmaier nimmt an Gedenkveranstaltungen teil, spricht davon, dass sich die Bundesrepublik der Erinnerung lange verweigert habe: "Es ist an der Zeit, das nachzuholen."
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