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"Der Rausch", "Minari" und "Nomadland"

Von Heimat, Verlust und Alkohol

"Der Rausch", "Minari" und "Nomadland": Von Heimat, Verlust und Alkohol
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Der große Stau: Die aus der Corona-Quarantäne befreiten Filme drängen ins Kino. So "Minari", eine Geschichte koreanischer Einwanderer in die USA. "Nomadland", eine Geschichte von Menschen, die ihre Heimat verloren haben. Und "Der Rausch", eine tragikomische Geschichte über ein lebensveränderndes Experiment. Unser Kritiker rät: anschauen, alle drei!

Der US-Amerikaner, so schreibt Gert Raeithel in seiner "Geschichte der nordamerikanischen Kultur", sei ein Typ, "der das Mobile dem Sesshaften und die Weite der Enge vorzieht". Das Grundcharakteristikum seien schwache Bindungen an Personen und Sachen: "Wirtschaftliche, politische und religiöse Gründe reichen zur Erklärung eines freiwillig gefassten Auswanderungsentschlusses meist nicht aus. Der Auswanderer musste fähig sein, Eltern und Verwandte, manchmal auch Kinder und Ehegatten zurückzulassen, soziale Bindungen zu lösen." Im US-Kino hat sich ein ganzes Genre, nämlich der Western, solchen "freien" Helden gewidmet, die rastlos umherziehen, aber auch auf der Suche nach einer neuen Heimat sein können.

Der "Minari"-Regisseur Lee Isaac Chung hat sich, wie er selber sagt, bei seiner Geschichte inspirieren lassen von den Pioniererzählungen der Autorin Willa Cather, und wenn man seinen wunderbaren Film sieht, dann könnte auch Laura Ingalls Wilders mehrfach verfilmtes "Little House on the Prairie" (bei uns bekannt als "Unsere kleine Farm") ein Einfluss sein. Bloß dass Chungs Geschichte im Reagan-Amerika der 1980er-Jahre spielt, und dass Jacob (Steven Yeung), der eine Farm in Arkansas aufbauen will, aus Korea stammt. "Minari" öffnet also einen amerikanischen Mythos für eine Familie aus Asien.

"Riecht nach Korea!"

Endlich ankommen! Aber als Jacob mit seiner kleinen Familie auf die Lichtung fährt, die seine Farm werden soll, steht da kein festes Haus, sondern nur ein abgeratztes Mobile Home, in das Jacobs Frau Monica (Yeri Han) zunächst nicht einziehen will. Ach, diese Mühen, sich eine Heimat zu schaffen! Der episodisch inszenierte Film schaut Jacob bei der Arbeit zu, schildert eine Ehekrise und das anfangs schwierige Verhältnis des kleinen Sohns David (Alan S. Kim) zur koreanisch sprechenden Großmutter (oscargepriesen: Yuh-Jung Youn), die von Monica gegen Jacobs Willen ins enge Heim geholt wurde. "Sie riecht nach Korea!", sagt David naserümpfend.

David ist das Alter Ego des Regisseurs Lee Isaac Chung, der voller Empathie auf seine Kindheit zurückblickt, sich dabei moralischer Wertungen enthält und alle zu ihrem Recht kommen lässt. Was etwa die Religion angeht: Der Rationalist Jacob lehnt sie rigoros ab, sein älterer Helfer dagegen, ein armer Korea-Kriegsveteran (Will Patton), ist ein Fundi-Christ, der an Feiertagen ein Kreuz herumschleppt. Trotzdem kommen die beiden miteinander klar. Sehr sanft geht "Minari" mit seinen Menschen um, sentimental aber wird der Film nie. Obwohl er zeigt, dass die neuen Amerikaner nicht nur, wie Gert Raeithel konstatiert, soziale Bindungen lösen, sondern auch durch Krisen hindurch als Familie zusammenfinden können.

Draußen sein, in jedem Sinn

In "Nomadland" inszeniert die in China aufgewachsene Regisseurin Chloé Zhao die Komplementärgeschichte zu "Minari". Auch sie zeigt sich als teilnehmende Beobachterin, aber ihre Geschichte aus dem amerikanischen Westen erzählt nicht mehr von der Suche nach Heimat, sondern von deren Verlust. Nach dem Tod ihres Mannes und nach dem ökonomischen Verfall des Städtchens Empire, das für den Verfall der US-Provinz insgesamt stehen könnte, zieht die sechzigjährige Fern (Francis McDormand) mit ihrem Van durch weite, leere Landschaften, hält mal an für prekäre Jobs wie Amazon-Päckchen-Packen, Burger-Braten oder Camper-Klos-Putzen, findet auch Freunde bei Nomadentreffen in der Wüste – und zieht wieder weiter.

Der halbdokumentarische Film, in dem viele Laiendarsteller sich selber spielen, basiert auf Jessica Bruders Buch: "Nomaden der Arbeit – Überleben in den USA im 21. Jahrhundert". Draußen sein, in jedem Sinn. In Zhaos Regie und vor allem in ihrer Konzentration auf Fern wird dies aber keine sozialkritische Anklage, wie sie vor vielen Jahrzehnten mal John Steinbeck in "Früchte des Zorns" formuliert hat, sondern eine elegische Bestandsaufnahme von Land und Leuten. "Die Landschaften sind Teil des Heilungsprozesses, den die Hauptfigur Fern durchlebt", sagt die Regisseurin, und fährt fort: "Sie findet durch die Natur ihren Platz im Leben … Wir Stadtmenschen haben durch die Betonwüsten den Zugang zur Natur verloren."

Man könnte diese Sätze als Verklärung einer ökonomischen Randexistenz deuten. Aber so wie Fern in die Landschaft eintaucht, wird sie auch eine Nachfahrin des Naturschwärmers Henry David Thoreau ("Walden") oder der Heldin in Marilynne Robinsons großem und irritierenden Roman "Housekeeping" (deutscher Titel "Haus ohne Halt"), die versucht, sesshaft zu werden, dies aber nicht schafft und deshalb immer weiter durch die USA driftet. Und natürlich ist Fern in "Nomadland", um noch einmal Gert Raeithel zu zitieren, die Verkörperung jener amerikanischen Sehnsucht "nach dem beyond", nach dem "Verlangen, Menschen, Dinge und bekannte Umgebungen hinter sich zu lassen". Aber wie gesagt: Diese Existenz ist in "Nomadland" nicht freiwillig gewählt, und für die meisten der Herumziehenden bleibt sie auch Ergebnis einer politisch-ökonomischen Katastrophe.

"Der Rausch" lässt tanzen

In Thomas Vinterbergs "Der Rausch" hat der Lehrer Martin (Mads Mikkelsen) seine emotionale Heimat verloren, er … Nein, das funktioniert nicht als Überleitung, das ist zu verzwungen. "Der Rausch" ist eine großstädtische Midlife-Crisis-Story aus Dänemark, die mit "Minari" und "Nomadland" nur gemein hat, ein exzellenter Film zu sein. Wie der von seinem Beruf und seiner ganzen Existenz angeödete Martin mit ein paar Kollegen ein Experiment beginnt, bei dem der Lebensmut durch kontrollierte Alkoholzufuhr wieder geweckt werden soll, das ist oft sehr komisch, manchmal tragisch und immer mitreißend. Dieser Film bringt nicht nur die Verhältnisse zum Tanzen. Er bringt auch, in einer fulminanten Schlussnummer, den Schauspieler Mads Mikkelsen zum Tanzen. Und wie! Das muss man gesehen haben!


Thomas Vinterbergs "Der Rausch" ist ab Donnerstag, 22. Juli in deutschen Kinos zu sehen. Welche Spielstätte den Film in Ihrer Nähe zeigt, finden Sie hier. Lee Isaac Chungs "Minari" und Chloé Zhaos "Nomadland" sind bereits angelaufen – wo sie zu sehen sind, steht hier und hier.


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