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Filmkritik zu "Curveball"

Wie der Krieg herbeigelogen wurde

Filmkritik zu "Curveball": Wie der Krieg herbeigelogen wurde
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In "Curveball" erzählt der Regisseur Johannes Naber die Geschichte eines Asylbewerbers nach, der dem BND von Massenvernichtungswaffen im Irak berichtet. Man glaubt ihm, weil man ihm glauben will. Ein brisanter Film, in dem Parallelen zur Gegenwart und zu Afghanistan aufscheinen.

"Eine wahre Geschichte", so verspricht der Vorspann. Und fügt hinzu: "Leider". Eigentlich und buchstäblich hatte sich diese Geschichte im Jahr 1999, in dem der Film einsteigt, schon im Sande verlaufen. Der UN-Trupp, der im Wüstenland Irak nach Chemiewaffen gesucht hat, schaut ein letztes Mal in einer Lagerhalle nach. "Nothing!", so der Befund. Es sei vorbei, sagt die junge Amerikanerin Leslie (Virginia Kull) zu ihrem entsetzten Kollegen, dem deutschen Bio-Waffen-Experten Doktor Wolf (Sebastian Blomberg). Das Ende der Mission bedeutet nämlich auch das Ende einer Affäre: Leslie wird in die Staaten zurückfliegen, er, der um einiges ältere, zurück nach Deutschland, "drinking your german beer, fucking your german wife", wie Leslie sagt. Er habe gar keine Frau, gesteht Doktor Wolf. Er kehrt also nicht nach Hause zurück, sondern nur in ein großes, leeres Haus.

Zwei Jahre später klingelt in einem BND-Labor in Pullach das Telefon. Doktor Wolf, noch im eidottergelben Schutzanzug, hebt ab ("Ja, biologische Kriegsführung!") und wartet dann in einem holzgetäfelten Büro, dass der pfeiferauchende Herr hinterm Schreibtisch (Michael Wittenborn) endlich aufhört, ihn zu ignorieren. Als es beinahe so weit ist, stürmt Abteilungsleiter Schatz herein (Thorsten Merten), streckt jovial die Hand aus und rommelt sich an den Besucher ran: "Grüß Gott, Doktor Wolf, Sie Wüstenfuchs!" Dann quietscht eine Holzverkleidung hoch, ein TV-Gerät kommt zum Vorschein, ein Video wird eingeschoben, und nach ein bisschen Fummeln an der Fernbedienung sind schwammige Schwarzweißbilder von einem Verhör mit jenem irakischen Asylbewerber zu sehen, der dem BND, wie Schatz sagt, "vor die Flinte gelaufen" sei.

"Aus dem Asylantenheim?", fragt der zunächst skeptische Doktor Wolf in Bezug auf diesen Rafid Alwan (Dar Salim), der Beweise für irakische Massenvernichtungswaffen liefern soll. "Sie haben keine Ahnung, was uns im Irak schon alles aufgetischt wurde!", sagt Doktor Wolf zu Schatz. Aber Bedenken müssen nun zurückstehen: Wenn nicht mal die CIA noch über Quellen im Irak verfügt, könnte die große Stunde des BND schlagen! Also glauben, was man glauben will! So sitzt der in Khaki-Oliv-Jacke auftretende, also stets außendienstbereite Doktor Wolf nun in einem BND-Verhörraum in Nürnberg: Souterrain, Kargmöblierung, Tisch mit grüner Resopalplatte, darauf ein Mikro und leere Coca-Cola-Dosen, ausgetrunken von Rafid, der jetzt Nachschub will. Doktor Wolf, aufgestiegen in der BND-Hierarchie, degradiert mit schlecht verhohlener Häme den grummelnden Herrn Retzlaff, der ihn damals so lange warten ließ, zum Hol'-Cola-Laufburschen.

Warum aber diese Kleinigkeiten erzählen, ja, warum so klein erzählen, wo es letztlich um einen großen Krieg geht? Den Regisseur Johannes Naber ("Zeit der Kannibalen") interessiert eben gerade die Diskrepanz zwischen dem banalen Behörden-Klein-Klein, den Büro-Eifersüchteleien und dem verkniffenen Kompetenzgerangel zum Großen und Bösen, das aus ihm erwächst. Das ist auch und immer wieder komisch, hat Züge einer Satire, einer Posse, einer Farce – und doch zögert man, "Curveball" eine Komödie zu nennen. Ein komisches Drama vielleicht? Die sowieso sparsam eingesetzte Musik freilich entdramatisiert eher, sie tutet, trötet, trommelt, klöppelt und fiept, aber nie alles zusammen, immer nur das eine oder das andere.

Ein paar Genrestücke allerdings gönnt Johannes Naber den Zuschauern doch, eine angethrillerte Rodelverfolgungsjagd im Schnee zum Beispiel, mit einem in Bademantel und Pyjama agierenden und ansonsten ziemlich spröden Doktor Wolf. Ja, es stimmt, hin und wieder steuern die exzellenten Darsteller ihre Personen auch in die Nähe der Karikatur, aber sie überschreiten nie die Grenze, spielen also nicht nur Typen, sondern Charaktere. Was die so alles treiben, führt zwar letztlich ins Monströse, sie selber aber sind keine Monster. Okay, zugegeben: Die in Dokuschnipseln auftretenden George W. Bush und sein Verteidigungsminister Rumsfeld sind es wohl doch.

Was den BND betrifft: Viel trister kann man sich die Spionage-Arbeit nicht ausmalen, als es dieser Film tut. Kein Glamour, nirgends. In dämmrig-braunen Büros, farbleeren Kantinen oder sachlich-öden Konferenzräumen wird da fabuliert und intrigiert, hie und da bringt eine Sekretärin Kaffee herein – mit ein bisschen Gebäck. Im Jahr 2000 sieht der Nürnberger Verhörraum immer noch so aus wie vorher, bloß dass Rafid Alwan inzwischen nicht nur Coca-Cola, sondern auch Pepsi zu trinken scheint. Er will eine Wohnung, einen deutschen Pass, eine Sicherheitsgarantie. Und er kritzelt für Doktor Wolf irgendwann auf eine Serviette irakische Gift-Labore, die auf Lastwagen durchs Land fahren. Die Skizze wird später aufgehübscht vom CIA – der den Informanten nun Curveball nennt – , so dass der US-Außenminister Colin Powell sie vor dem UN-Sicherheitsrat als Kriegsgrund präsentieren kann. Da weiß der BND längst, dass Rafid Alwan gelogen hat. Der CIA weiß es auch. Und Leslie sagt zu Doktor Wolf: "Wir machen die Fakten."

"Curveball" trägt den Untertitel: "Wir machen die Wahrheit", er erzählt eine Lügengeschichte nach, die historisch geworden ist. Dass sich jetzt Parallelen ergeben zu Afghanistan, also zu einer aktuellen Geschichte, in der nicht nur die Lügen von heute, sondern auch die von gestern aufscheinen, verleiht dem wegen der Corona-Pandemie lange zurückgehaltenen Film neue Brisanz. In einem Insert am Ende heißt es: "Der Krieg führte zu einem Flächenbrand im Mittleren Osten, der bis heute andauert." Und wenn Herr Schatz im Film etwa auf die "transatlantischen Beziehungen" verweist, dann denkt man natürlich an den in der Realität Nato-pathetisch herumstammelnden Herrn Maas, an Frau Kramp-Karrenbauer, die eine Fregatte gen China schickt, oder an Herrn Habeck, der seine Kriegsdienstverweigerung öffentlich in Frage stellt, der Ukraine Waffen liefern will und sich im Kampfanzug an die Ostfront hockt, so als wolle er auf Russland scheißen. Wie? Wir schweifen ab? Nein, tun wir nicht.


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2 Kommentare verfügbar

  • bedellus
    am 08.09.2021
    Antworten
    nur damit's stimmt: die emser depesche war fuer 70/71 bestimmt. wk1 hatte eher mit dem balkan zu tun.
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