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Michael Ballweg vor Gericht

Demonstrieren ist kein Geschäftsmodell

Michael Ballweg vor Gericht: Demonstrieren ist kein Geschäftsmodell
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Der Prozess um "Querdenken"-Gründer Michael Ballweg neigt sich dem Ende zu. Immer deutlicher tritt zutage, dass die Anklage nicht erfolgreich sein wird. Die Vorsitzende Richterin will es nicht auf ein Urteil ankommen lassen, doch Verteidigung und Staatsanwaltschaft werden sich nicht einig.

Seit Monaten zieht sich der Prozess gegen "Querdenken"-Gründer Michael Ballweg am Landgericht Stuttgart dahin. Viele Zeugen sind bisher zu Wort gekommen: Banker, Finanz- und Polizeibeamte einerseits, Anhänger:innen Ballwegs andererseits. Manch Prozessbeteiligter litt offenbar am mangelndem Unterhaltungsfaktor der vielen Sitzungen. Ballwegs Rechtsanwalt und CDU-Landtagsabgeordneter Reinhard Löffler bekundete im Mai vor Verhandlungsbeginn einmal: "Ich wär' heute Morgen schon fast im Schlafanzug gekommen." Zum Einschlafen, so langweilig sei der vorherige Prozesstag verlaufen.

Dabei nahm das Verfahren erst Fahrt auf und scheint jetzt kurz vor seinem Höhepunkt zu stehen. Die Staatsanwaltschaft kann ihre Anklage, Ballweg habe versucht, zu betrügen, über eine halbe Million Euro an Spenden seiner Unterstützer:innen privat eingesteckt und im Jahr 2020 Steuern in sechsstelliger Höhe hinterzogen – oder es versucht –, der Strafkammer offensichtlich nicht glaubhaft darlegen.

Die Strafbehörde argumentiert, die an Ballweg gespendeten beziehungsweise "geschenkten" 1,2 Millionen Euro für Proteste gegen die Corona-Maßnahmen während der Pandemie müssten als gewerbliche Einnahmen versteuert werden. Schließlich hat Ballweg selbst ein Gewerbe angemeldet mit der Beschreibung: "Planung und Durchführung von Veranstaltung (Event-Management); Handel mit Werbeartikeln, Vermarktung von Rechten". Und ein Gewerbe melde man schließlich nur dann an, wenn man Profit machen will, argumentierte im Zeugenstand ein Beamter der Oberfinanzdirektion an einem der ersten Prozesstage. Als Löffler nachhakte, musste aber auch der Finanzbeamte zugeben, dass man das möglicherweise anders bewerten könne (Kontext berichtete).

Schenkungen gelten nicht als gewerbliche Einkünfte

Auch die Strafkammer will dieser Argumentation nicht folgen. Im März trafen sich alle Prozessbeteiligten zu einem Gespräch, das über eine Stunde dauerte, und in dem die Kammer den aktuellen Verfahrensstand erörterte. Danach verkündet das Landgericht: Es sei zwar offen, was mit einem Teil des gespendeten Geldes passiert ist, das reiche aber nicht, um zu belegen, dass Ballweg das Geld privat verwendet habe. Außerdem handle es sich bei "eingeworbenen Schenkungen zunächst nicht um gewerbliche Einkünfte". Demonstrationen zu organisieren, stelle "keine Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr dar". Daran ändere auch nichts, dass Ballweg auf Anregung seines Steuerberaters zunächst ein Gewerbe angemeldet hatte, das er später rückwirkend wieder abmeldete. Auch die Absicht, Gewinn zu erzielen, hält das Gericht nicht für nachweisbar. Die Strafkammer regte deshalb an, das Verfahren wegen Geringfügigkeit einzustellen. Doch die Staatsanwaltschaft lehnte ab.

Anfang Juli trifft die Klägerin dann erneut eine Hiobsbotschaft: Die Strafkammer hatte das Finanzamt beauftragt, nach ihren Vorgaben Ballwegs Steuerschuld für das Jahr 2020 zu berechnen. Das überraschende Ergebnis: Ballweg hätte nicht zu wenig, sondern etwa 200.000 Euro zu viel gezahlt. Vorerst bekommt der Querdenken-Gründer dieses Geld aber nicht. Diese Berechnung mit hypothetischen Annahmen dient nur dem Gerichtsverfahren und muss nicht vom Finanzamt als Grundlage für einen Steuerbescheid herangezogen werden.

Trotzdem machte die Nachricht über zu viel bezahlte Steuern Schlagzeilen. Das dürfte auch ein Grund sein, weshalb die Zuschauerreihen des Gerichtssaals wieder dichter gefüllt waren beim inzwischen 41. Prozesstag. Seit Prozessbeginn im Oktober vergangenen Jahres besucht eine eingeschworene Gemeinschaft regelmäßig den Prozess gegen den "Querdenken"-Gründer. Oft erscheinen mehrere Dutzend "Querdenken"-Anhänger:innen, viele mit Stift und Zettel, um das Geschehen im Saal zu dokumentieren – so wie es Ballweg sich wünschte. Die Emotionen dort reichen von Heiterkeit bis Spott und Frust gegenüber der Staatsanwaltschaft.

Zwei Stunden Ballweg-Schau

So konnten viele ihr Gekicher und Lachen nicht unterdrücken, als im Gerichtssaal insgesamt über zwei Stunden Videomaterial von und mit Michael Ballweg auf einem Bildschirm gezeigt wurde. Mehrmals musste die Vorsitzende Richterin das Publikum ermahnen, Kommentare und Glucksen unterbleiben zu lassen, drohte mit dem Rausschmiss. Im ersten der beiden Videos, dem etwa halbstündigen "Transparenzbericht", zeigt Ballweg Kreisdiagramme mit Ausgaben für Demos im Jahr 2020 – allein die beiden Demos im August in Berlin sollen demnach über eine halbe Million gekostet haben. Beim zweiten Video handelte es sich um ein Gespräch mit einem "Spiegel"-Reporterteam aus dem Jahr 2022: Zwei Stunden diskutiert Ballweg vor laufenden Kameras über politische Kategorien wie "links" oder "rechts", kritisiert Medien, lobt den Föderalismus. Auch Ballwegs "Querdenker"-Anwalt Ralf Ludwig kommt im Video zu Wort. Statt Coronamasken zu kaufen, hätte die Politik lieber "fünf Millionen Kinder" aus dem Hunger befreien können, meint er.

Wesentliche neue Erkenntnisse liefert das TV-Programm im Saal allerdings weniger. Umso erhellender war der Auftritt eines Steuerfahnders. Er wurde vom Gericht beauftragt, die Steuerunterlagen von Ballwegs "media acess GmbH" aus dem Jahr 2020 erneut unter Vorgaben des Gerichts zu untersuchen und zu bewerten. Bei den Ausführungen erfuhr der Gerichtssaal unter anderem von Ballwegs Faible für die Bücher des "Meditationsgurus" Joe Dispenza, wie die gekauften Titel "Werde übernatürlich", "Ein neues Ich" oder "Du bist das Placebo" belegen. Viel wichtiger ist aber die Feststellung: 2020 habe Ballweg versucht, Umsatzsteuern in Höhe von 23,85 Euro zu hinterziehen, sowie 1.033 Euro Körperschafts- und 1.016 Euro Gewerbesteuer.

In Summe stehen somit nun etwas mehr als 2.000 hinterzogene Euro den in der Anklageschrift errechneten 180.000 Euro gegenüber. Nach aktuellem Stand der Beweisaufnahme ließe sich kein hoher Steuerschaden feststellen, verkündet die Vorsitzende Richterin ihre aktuelle rechtliche Einschätzung. Erneut warf sie die Frage auf, ob das Verfahren wirklich mit einem Urteil enden muss. Sie appellierte an beide Seiten, "in sich zu gehen" und sich zu fragen, "ob das jetzt unser aller Ernst ist", diesen Prozess weiterzuführen. Mit dem Denkanstoß, das Verfahren könnte mit der Einigung auf eine Auflage gegen Ballweg enden, schickte sie die Beteiligten in eine kurze Verhandlungspause.

Kein Ende gegen Geldauflage

Gefruchtet hat der richterliche Appell aber nicht. Man sei offen für ein Angebot, es müsse "nur ein realistisches" sein, heißt es seitens der Staatsanwaltschaft. "Können Sie realistisch definieren?", fragt Ballwegs Verteidiger Löffler. Verzicht auf Haftentschädigung und ein zu zahlender Geldbetrag, konkretisiert Staatsanwältin Franziska Gräfe ihren Vorschlag. Und erhöht gleich den Druck: Ein Urteil werde "nicht das Ende des Weges" sein, sagt Gräfe. Egal wie es ausfallen mag, "entweder werden Sie Rechtsmittel einlegen oder wir", prophezeit sie an Löffler gewandt. Ihr Kollege Niklas Eisele fügt an, bei einer "zweiten Runde" am Bundesgerichtshof könnte es ja zu einer Verurteilung kommen, das käme für Ballweg noch teurer. Und trotz den bekannten gegenteiligen Einschätzungen des Gerichts fügt der Staatsanwalt an: "Wir stehen ja nicht alleine da mit unserer Rechtsauffassung." Die beiden bleiben bei ihrem Standpunkt, alle Anklagepunkte ließen sich belegen.

Ihre Forderung nach einem Angebot macht Löffler zunichte: Neun Monate saß sein Mandant in Einzelhaft, auf eine Entschädigung könne er nicht verzichten. "Ich bleibe dabei: Es gab keinen versuchten Betrug. Ich bleibe dabei: Es gab keine versuchte Steuerhinterziehung. Und ich bleibe dabei, dass man Spenden nicht versteuern muss." Die Vorsitzende Richterin unterbricht den Wortwechsel und stellt sichtlich unzufrieden fest: "Gut, dann ist das unser aller Ernst."

Diesen Donnerstag, 17. Juli, soll die Beweisaufnahme mit den letzten drei Zeugenbefragungen beendet werden. Sofern jene nicht an der grundsätzlichen Haltung der Kammer rütteln, darf Ballweg mit einem gnädigem Urteil rechnen. Der 50-Jährige verkündet derweil auf seiner Webseite, er lehne eine Einstellung des Verfahrens gegen Geldauflage ab – denn dieses würde ein Schuldeingeständnis voraussetzen. Kommenden Dienstag, 22. Juli, sollen die Plädoyers beginnen.

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1 Kommentar verfügbar

  • Gerald Wissler
    vor 2 Tagen
    Antworten
    Das, was die Staatsanwaltschaft bisher gemacht hat, ist Freiheitsberaubung, in Tateinheit mit Verleumdung.
    Und was sie jetzt versucht, ist Nötigung.

    Gibt es denn keine Handhabe, solche Leute zur Verantwortung zu ziehen ?
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