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Michael Ballweg vor Gericht

Der Friedens-Schwurbler

Michael Ballweg vor Gericht: Der Friedens-Schwurbler
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Michael Ballweg, Kopf der "Querdenken"-Bewegung, steht seit Oktober vor Gericht. Ihm wird versuchter Betrug sowie versuchte und vollzogene Steuerhinterziehung vorgeworfen. Im Gerichtssaal mimt er den unschuldigen Kämpfer für Grundrechte, Freiheit und Frieden.

Köpfe drehen sich, Augen funkeln und Mundwinkel gehen hoch, wenn der Angeklagte Saal 1 des Stuttgarter Landgerichts betritt. Man begrüßt sich freundlich und plaudert. Nach kurzem Austausch mit seinen Fans schreitet Michael Ballweg zur Anklagebank, legt seine Jacke ab, geht dann zur Klägerseite und schüttelt mit einem breitem Lächeln die Hände von Staatsanwältin und Staatsanwalt. So beginnt routinemäßig ein Prozesstag im Verfahren gegen Michael Ballweg, den Kopf der "Querdenken"-Bewegung.

Der frühere IT-Unternehmer organisierte ab dem Frühjahr 2020 – mit Beginn der Corona-Lockdowns – Demonstrationen gegen die Pandemiemaßnahmen. Zunächst nur in Stuttgart, später auch in anderen Städten. Ballweg sicherte sich die Markenrechte für "Querdenken", insgesamt 15 Stück, jeweils in Kombination mit der Telefonvorwahl einer Stadt – "Querdenken 0711" für Stuttgart beispielsweise. Auf den Demos "für Grundrechte", wie sie Ballweg im Prozess charakterisiert, und auf der Webseite sammelte er Geld von Unterstützer:innen, das er laut eigenen Angaben nur für "Querdenken" nutzen wollte.

Das Geld wurde für Ballweg schließlich zum Verhängnis. Ende Juni 2022 wurde er verhaftet, neun Monate saß er in Untersuchungshaft in Stuttgart-Stammheim. Die Staatsanwaltschaft wollte ihn zunächst wegen Geldwäsche und Betruges anklagen, was das Landgericht nicht zuließ. Nach einer Beschwerde der Staatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht lautet nun die Anklage auf versuchten schweren Betrug, zudem versuchte sowie vollzogene Steuerhinterziehung. Rund 9.500 Menschen haben Ballweg Geld zukommen lassen: entweder bar, per Überweisung oder über Kryptowährungen, insgesamt über 1,2 Millionen Euro. Laut Staatsanwaltschaft habe Ballweg über eine halbe Million davon für private Zwecke ausgegeben, statt – wie er auf seiner Webseite versprochen hatte – alles für "Querdenken" zu verwenden. Das scheint Ballwegs Finanziers nicht zu stören, die Staatsanwaltschaft konnte niemanden ausfindig machen, der oder die sich geprellt fühlt. Deshalb lautet der Anklagepunkt versuchter Betrug. Hinzu kommen nicht abgegebene Steuererklärungen.

Für Frieden und Freiheit

Kleidung gilt bekanntlich als Spiegel der Seele, bei Ballweg ist sie plakativer Ausdruck der Gesinnung – vielleicht aber auch eine Inszenierung für seine Anhängerschaft. Seit dem Prozessauftakt erscheint er in nahezu gleichem Aufzug vor Gericht. Er trägt eine schwarze Kapuzenjacke, auf deren Rücken wie bei einem American-Football-Trikot "Weltfrieden" als Spielername mit Rückennummer 01 gedruckt ist, auf der Brust ein Emblem des Friedens: die Taube mit ausgebreiteten Flügeln. Darunter trägt er ein weißes Shirt, "Freiheit wird aus Mut gemacht" ist darauf zu lesen – erhältlich ab 22,95 Euro im Querdenker-Onlineshop – ebenfalls in Kombination mit der Taube.

"Ich bin bei Weitem nicht der Einzige, der staatlichen Repressionen unterlegen ist, ich gehe als leuchtendes Beispiel voran." Das sagt Ballweg nach dem ersten Prozesstermin, an dem lediglich die Anklage verlesen wurde, in die Kameras und Mikros dutzender Journalist:innen, die sich im Landgericht um ihn scharen.

Viele aus Ballwegs Fangemeinschaft teilen offenbar die Wahrnehmung, mit "Querdenken"-Demos Freiheit und Grundrechte verteidigt zu haben. Zwei Frauen im Rentenalter unterhalten sich im Saal. Eine berichtet, sie sei 1983 Teil der Menschenkette zwischen Stuttgart und Ulm gewesen, um gegen die Stationierung amerikanischer Raketen zu demonstrieren. Friedenskämpferin, durch und durch. Das Peace-Symbol und die Friedenstaube schmücken auch die Kleidung mancher Zuschauenden, eines ist allerdings ein No-Go: "Querdenken"-Merch zu tragen. Wer als Zuschauer damit bei Gericht aufkreuzt, muss das Kleidungsstück entweder auf links drehen oder ausziehen, um den Gerichtssaal betreten zu dürfen. Meinungskundgebungen sind im Saal nicht erlaubt, auch nicht auf Shirts.

Etwa zwei bis drei Dutzend Ballweg-Unterstützer:innen sitzen zu jedem Termin im Zuschauerbereich, oft dieselben Gesichter. Die meisten sind im Rentenalter oder zumindest nicht weit davon entfernt. Über den Messengerdienst Telegram mobilisieren Ballweg und sein Team die Leute: Vor Prozessbeginn rief er dazu auf, als "Prozessbeobachter" mitzuwirken. "Eure Präsenz im Gerichtssaal trägt zur Transparenz und Fairness des Verfahrens bei", heißt es in der Nachricht. Sie sollen mitschreiben, Gestik und Mimik der Richter:innen und Auffälligkeiten im Ablauf festhalten.

Doch dazu kommt es nicht, zumindest nicht am ersten Prozesstag. Nur akkreditierte Medienvertreter:innen durften ein Werkzeug zur Dokumentation mit in den Saal nehmen: entweder Laptop, Handy oder Stift und Schreibblock. Sonstige Tascheninhalte und Mitbringsel mussten an Justizbeamte abgegeben werden. Ballwegs Verteidigerteam protestierte, seit dem zweiten Termin sind Stift und Block nun erlaubt – und die "Prozessbeobachter" schreiben eifrig mit. Dass vor jeder Sitzung die Personalausweise der Zuschauer:innen von Justizbeamten abfotografiert werden, konnte die Verteidigung bislang trotz Protest nicht verhindern.

Mittelloser Krypto-Michi?

Ballwegs Bankkonten seien gesperrt und neue könne er nicht eröffnen, sagt er bei einer kleinen Pressekonferenz im Landgericht. Auf seiner Webseite heißt es, man könne ihn nur noch mit Kryptowährung finanziell unterstützen. Von Bitcoin ist Ballweg ohnehin schwer begeistert, zumindest wirbt er im Telegramkanal für die digitale Währung. Vollkommen mittellos dürfte er kaum sein, immerhin engagierte er ein dreiköpfiges Team an Rechtsanwälten. Pflichtverteidiger ist Reinhard Löffler, CDU-Abgeordneter im baden-württembergischen Landtag. Hinzukommen der Berliner Gregor Samimi und Ralf Ludwig, der sich selbst als "Querdenker-Anwalt" bezeichnet. Ein an die Richterin gerichteter Satz von Löffler ist gut geeignet, um das Verteidigerteam zu charakterisieren: "Frau Vorsitzende, wir sind manchmal etwas…", er stockt und überlegt kurz, "unkonventionell unterwegs", beendet er schließlich den Satz.

Mehrmals beantragt Ludwig, dass die Personalausweise der Prozessbeobachtenden nicht abfotografiert werden sollen. Eine nicht ordentliche Herstellung der Öffentlichkeit sei ein eindeutiger Revisionsgrund, mahnt der Jurist, als eine Person ihren Personalausweis nicht ablichten lassen will und deshalb nicht in den Saal gelassen wird. Außerdem sei das bußgeldbewährt mit bis zu 20 Millionen Euro – "da sollten die ehrenamtlichen Richter sich ihrer Verantwortung bewusst werden", richtet er sich an die Schöff:innen. Ob er versucht, sie mit der Androhung hoher Bußgelder einzuschüchtern?

"Wenn wir schon häufiger miteinander verhandelt hätten, wüssten wir, wie wir die Dinge abkürzen könnten", sagt dazu Ludwigs Kollege Samimi an die Vorsitzende Richterin gewandt. Der Anwalt mit kahlem Kopf und rahmenloser Brille spricht im Prozess durchweg bedächtig und ruhig, aber selbstsicher – im Gegensatz zu Ludwig, der oft emotional auftritt. Immer wieder fällt Samimi der Richterin ins Wort, bei der Zeugenbefragung macht er meist den Beginn. In der Regel steigt er ein mit Fragen zur beruflichen Erfahrung oder will wissen, wie die Zeug:innen ihr Erinnerungsvermögen beurteilen würden. Oft unterbricht ihn die Richterin, lässt Fragen nicht zu, meist formuliert sie diese dann selbst so um, dass sie Samimis Sinn entsprechen und zulässig sind. "Wenn wir das so kollegial machen", dann sei das "ok", findet der Jurist. Bei den Ballwegfans im Saal ist er beliebt. "Er hat sich einen Kaffee geholt, jetzt taut er auf", sagt eine Frau belustigt, als Samimi mit einem Becher nach einer Mittagspause den Saal betritt. Für die Zeug:innen wird die Befragung eher zur Tortur. Bald haben einige einen Zeugenbeistand dabei – was wiederum Angriffsfläche für Samimi bietet.

Der Verhandlungssaal, der nach dem Prozessauftakt nur spärlich mit Journalist:innen besetzt ist, wird bei der Befragung der Zeug:innen zur Theaterbühne, das Geschehen zur Inszenierung durch Ballwegs Anwälte. Bislang waren Polizei- und Finanzbeamte geladen und der Stammheimer Gefängnisdirektor. Schwerpunkt war der Vorwurf der (versuchten) Steuerhinterziehung. Obwohl die Frist für Steuererklärungen für das Jahr 2020 wegen Corona verlängert wurde, versäumte es Ballweg, sie rechtzeitig abzugeben. Seine Begründung: Zum Zeitpunkt der Abgabefrist saß er bereits in Untersuchungshaft und hatte keinen Zugriff auf einen Computer, die nötigen Unterlagen hatte die Staatsanwaltschaft beschlagnahmt. Er habe die Steuererklärung also gar nicht rechtzeitig abgeben können. Außerdem pocht Ballweg darauf, mit den Demonstrationen ausschließlich Verlust gemacht zu haben. Das bescheinigt ihm eine Steuerberaterin, das entsprechende Papier wurde auf dem Bildschirm im Gerichtssaal gezeigt.

Corona-Demos als Gewerbe

Zu einer anderen Einschätzung kam dagegen die sechsköpfige Ermittlungsgruppe "Kreuz", die sich mit Ballweg beschäftigte. Sie hat Ballwegs Transparenzerklärung mit Einnahmen und Ausgaben auf Ballwegs Bankkonten verglichen, die Belege gegengeprüft, Ballwegs PayPal-Account, Krypto-Wallet und die von ihm und seiner damaligen Ehefrau gegründete Stiftung unter die Lupe genommen und kam zu dem Schluss, dass Ballweg durchaus Gewinn gemacht habe. Aus Sicht der Finanzbehörde war "Querdenken" ein Gewerbe, die Spenden seien somit Betriebseinnahmen. Wenn jemand aktiv Spenden einwerbe und sich Markenrechte sichere, sei offensichtlich, dass eine Gewinnabsicht bestehe, erklärt ein Steuerfahnder. Ballweg sei eben "finanzaffin". Die Verteidigung will dieser Argumentation nicht folgen. Ob der Beamte sich vorstellen könne, dass heute so ein Geschäftsmodell noch funktionieren könnte, fragt Samimi. Der Zeuge überlegt kurz, dann antwortet er knapp: "Ja."

Löffler fragt einen ranghohen Beamten der Karlsruher Oberfinanzdirektion im Zeugenstand, ob es nicht möglich sei, dass Ballweg als Privatperson die Spenden erhalten habe. "Herr Anwalt, im Steuerrecht gibt es nicht nur schwarz oder weiß", antwortet dieser. Die Spenden im Rahmen gewerblich organisierter Demos würden in eine steuerliche Grauschattierung fallen. Löffler hakt nach: Könnte man nicht auch zu einer anderen Bewertung kommen? Der Beamte bejaht dies und schiebt nach: "In 30 Jahren in der Finanzdirektion habe ich so eine schwierige Entscheidung noch nicht treffen müssen." Er stehe allerdings nach wie vor zu seiner rechtlichen Einschätzung.

Die Zeug:innen sind nicht nur den bohrenden Fragen der Verteidigung ausgesetzt, sondern auch dem Hohn und der Häme aus dem Zuschauerbereich. Sagt eine Zeugin oder ein Zeuge, dass er oder sie sich an ein Detail, das inzwischen über zwei Jahre zurückliegt, nicht mehr erinnern könne, quittieren das die Ballweg-Fans regelmäßig mit Gelächter. Mehrmals rügt die Vorsitzende Richterin dieses Benehmen. "Es geht um eine ernste Sache, da gibt es keinen Anlass für Kichern", sagt sie – und muss doch selbst manchmal lachen.

Bislang konnte kein Beamter eine Ausgabe nennen, die Ballweg rein privat mit Spendengeldern getätigt haben soll. Nicht einmal Kriterien können sie nennen, wie private und "Querdenker"-Ausgaben voneinander zu trennen seien. "Da müsste ich mich erst wieder in die Akte einlesen", sagt eine Polizistin. Dafür beschreiben die Beamten Ballweg als stets freundlich, offen und kooperativ. Ein Polizist nennt ihn einen "erfolgreichen Unternehmer", der sein Geld "sinnvoll angelegt" und vermehrt habe: zuerst verlustreich an der Börse, später dann mit Erfolg in Edelmetalle, Schmuck und Kryptowährung.

Ein Staatsschutzbeamter im Ermittlungsteam, keine Ermahnung nach nicht abgegebener Steuererklärung, sondern ein zügig eingeleitetes Strafverfahren – für Ballweg, dessen Verteidigung und seine Anhängerschaft ist die Sache eindeutig: Der "Querdenken"-Gründer ist unschuldig und Opfer einer politischen Justiz. Dass Ballweg zum Zeitpunkt seiner Verhaftung laut einem Ermittler auf "gepackten Koffern" gesessen haben soll, sich wohl nach Costa Rica absetzten wollte und als einziger Zugriff auf die Bankkonten hatte, obwohl eigentlich seine damalige Ehefrau die Bücher führte, dürfte kaum am Vertrauen der Ballweg-Fans in dessen Unschuld rütteln.

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4 Kommentare verfügbar

  • ElHongo
    am 11.12.2024
    Antworten
    Na es ist doch ganz offensichtlich, dass der arme Michi blank ist.

    Für das 22,95-Euro-Shirt "Frieden wird aus Mu t gemach t" konne sich dieser arme, arme Mann noch nicht mal eine Proportional-Schriftart leisten...

    Zu "Karl Heinz Siber": die Unschuldsvermutung gilt im Rahmen der…
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Ausgabe 720 / Weiter so, Elon! / Cornelius W. M. Oettle / vor 7 Stunden 39 Minuten
Danke, werd ich mir gleich mal anhören!




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