"Wenn wir schon häufiger miteinander verhandelt hätten, wüssten wir, wie wir die Dinge abkürzen könnten", sagt dazu Ludwigs Kollege Samimi an die Vorsitzende Richterin gewandt. Der Anwalt mit kahlem Kopf und rahmenloser Brille spricht im Prozess durchweg bedächtig und ruhig, aber selbstsicher – im Gegensatz zu Ludwig, der oft emotional auftritt. Immer wieder fällt Samimi der Richterin ins Wort, bei der Zeugenbefragung macht er meist den Beginn. In der Regel steigt er ein mit Fragen zur beruflichen Erfahrung oder will wissen, wie die Zeug:innen ihr Erinnerungsvermögen beurteilen würden. Oft unterbricht ihn die Richterin, lässt Fragen nicht zu, meist formuliert sie diese dann selbst so um, dass sie Samimis Sinn entsprechen und zulässig sind. "Wenn wir das so kollegial machen", dann sei das "ok", findet der Jurist. Bei den Ballwegfans im Saal ist er beliebt. "Er hat sich einen Kaffee geholt, jetzt taut er auf", sagt eine Frau belustigt, als Samimi mit einem Becher nach einer Mittagspause den Saal betritt. Für die Zeug:innen wird die Befragung eher zur Tortur. Bald haben einige einen Zeugenbeistand dabei – was wiederum Angriffsfläche für Samimi bietet.
Der Verhandlungssaal, der nach dem Prozessauftakt nur spärlich mit Journalist:innen besetzt ist, wird bei der Befragung der Zeug:innen zur Theaterbühne, das Geschehen zur Inszenierung durch Ballwegs Anwälte. Bislang waren Polizei- und Finanzbeamte geladen und der Stammheimer Gefängnisdirektor. Schwerpunkt war der Vorwurf der (versuchten) Steuerhinterziehung. Obwohl die Frist für Steuererklärungen für das Jahr 2020 wegen Corona verlängert wurde, versäumte es Ballweg, sie rechtzeitig abzugeben. Seine Begründung: Zum Zeitpunkt der Abgabefrist saß er bereits in Untersuchungshaft und hatte keinen Zugriff auf einen Computer, die nötigen Unterlagen hatte die Staatsanwaltschaft beschlagnahmt. Er habe die Steuererklärung also gar nicht rechtzeitig abgeben können. Außerdem pocht Ballweg darauf, mit den Demonstrationen ausschließlich Verlust gemacht zu haben. Das bescheinigt ihm eine Steuerberaterin, das entsprechende Papier wurde auf dem Bildschirm im Gerichtssaal gezeigt.
Corona-Demos als Gewerbe
Zu einer anderen Einschätzung kam dagegen die sechsköpfige Ermittlungsgruppe "Kreuz", die sich mit Ballweg beschäftigte. Sie hat Ballwegs Transparenzerklärung mit Einnahmen und Ausgaben auf Ballwegs Bankkonten verglichen, die Belege gegengeprüft, Ballwegs PayPal-Account, Krypto-Wallet und die von ihm und seiner damaligen Ehefrau gegründete Stiftung unter die Lupe genommen und kam zu dem Schluss, dass Ballweg durchaus Gewinn gemacht habe. Aus Sicht der Finanzbehörde war "Querdenken" ein Gewerbe, die Spenden seien somit Betriebseinnahmen. Wenn jemand aktiv Spenden einwerbe und sich Markenrechte sichere, sei offensichtlich, dass eine Gewinnabsicht bestehe, erklärt ein Steuerfahnder. Ballweg sei eben "finanzaffin". Die Verteidigung will dieser Argumentation nicht folgen. Ob der Beamte sich vorstellen könne, dass heute so ein Geschäftsmodell noch funktionieren könnte, fragt Samimi. Der Zeuge überlegt kurz, dann antwortet er knapp: "Ja."
Löffler fragt einen ranghohen Beamten der Karlsruher Oberfinanzdirektion im Zeugenstand, ob es nicht möglich sei, dass Ballweg als Privatperson die Spenden erhalten habe. "Herr Anwalt, im Steuerrecht gibt es nicht nur schwarz oder weiß", antwortet dieser. Die Spenden im Rahmen gewerblich organisierter Demos würden in eine steuerliche Grauschattierung fallen. Löffler hakt nach: Könnte man nicht auch zu einer anderen Bewertung kommen? Der Beamte bejaht dies und schiebt nach: "In 30 Jahren in der Finanzdirektion habe ich so eine schwierige Entscheidung noch nicht treffen müssen." Er stehe allerdings nach wie vor zu seiner rechtlichen Einschätzung.
Die Zeug:innen sind nicht nur den bohrenden Fragen der Verteidigung ausgesetzt, sondern auch dem Hohn und der Häme aus dem Zuschauerbereich. Sagt eine Zeugin oder ein Zeuge, dass er oder sie sich an ein Detail, das inzwischen über zwei Jahre zurückliegt, nicht mehr erinnern könne, quittieren das die Ballweg-Fans regelmäßig mit Gelächter. Mehrmals rügt die Vorsitzende Richterin dieses Benehmen. "Es geht um eine ernste Sache, da gibt es keinen Anlass für Kichern", sagt sie – und muss doch selbst manchmal lachen.
Bislang konnte kein Beamter eine Ausgabe nennen, die Ballweg rein privat mit Spendengeldern getätigt haben soll. Nicht einmal Kriterien können sie nennen, wie private und "Querdenker"-Ausgaben voneinander zu trennen seien. "Da müsste ich mich erst wieder in die Akte einlesen", sagt eine Polizistin. Dafür beschreiben die Beamten Ballweg als stets freundlich, offen und kooperativ. Ein Polizist nennt ihn einen "erfolgreichen Unternehmer", der sein Geld "sinnvoll angelegt" und vermehrt habe: zuerst verlustreich an der Börse, später dann mit Erfolg in Edelmetalle, Schmuck und Kryptowährung.
Ein Staatsschutzbeamter im Ermittlungsteam, keine Ermahnung nach nicht abgegebener Steuererklärung, sondern ein zügig eingeleitetes Strafverfahren – für Ballweg, dessen Verteidigung und seine Anhängerschaft ist die Sache eindeutig: Der "Querdenken"-Gründer ist unschuldig und Opfer einer politischen Justiz. Dass Ballweg zum Zeitpunkt seiner Verhaftung laut einem Ermittler auf "gepackten Koffern" gesessen haben soll, sich wohl nach Costa Rica absetzten wollte und als einziger Zugriff auf die Bankkonten hatte, obwohl eigentlich seine damalige Ehefrau die Bücher führte, dürfte kaum am Vertrauen der Ballweg-Fans in dessen Unschuld rütteln.
4 Kommentare verfügbar
ElHongo
am 11.12.2024Für das 22,95-Euro-Shirt "Frieden wird aus Mu t gemach t" konne sich dieser arme, arme Mann noch nicht mal eine Proportional-Schriftart leisten...
Zu "Karl Heinz Siber": die Unschuldsvermutung gilt im Rahmen der…