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Ausstellung über das vermeintlich Fremde

Buffalo Bill im Heidelberger Schloss

Ausstellung über das vermeintlich Fremde: Buffalo Bill im Heidelberger Schloss
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Das Bild, das sich Europa seit 500 Jahren von anderen Erdteilen macht, ist eine wirkmächtige Fiktion, die mehr über Europa aussagt als über diese Erdteile. Dies zeigt eine sehenswerte Ausstellung im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg.

Immer wieder stempelt sich Selma Alacan in einem Video den Bundesadler ins Gesicht. Die ironische und selbstironische Auseinandersetzung mit Nationalzugehörigkeit und Bürokratie, Hoheitszeichen und Abgestempeltwerden, aber auch mit dem eigenen Wunsch, dazu zu gehören, ist das erste, was einem begegnet, wenn man die Ausstellung "Die Erfindung des Fremden in der Kunst" im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg betritt. Der Versuch Alacans, sich zu einer wie alle anderen zu machen, misslingt. Am Ende ist ihr Gesicht ganz schwarz.

Wendet man sich nach links, folgt in einer Vitrine ein aufgeschlagenes Exemplar der Schedelschen Weltchronik. Das 1493 erschienene Buch war das größte seiner Zeit und erfordert zum Durchblättern ein stabiles Lesepult. Es vertrat aber auch keinen geringen Anspruch: Nämlich die gesamte Geschichte der Welt buchstäblich von Adam und Eva bis in die damalige Gegenwart zu beschreiben und abzubilden. Die Welt außerhalb Europas war durch merkwürdige Fabelwesen vertreten: Menschen mit nur einem Auge etwa oder mit einem überdimensionierten Fuß, der zugleich als Sonnenschirm dient.

Mehr als 500 Jahre umfasst die Ausstellung, mit Werken berühmter Künstler: von Dürer und Rembrandt bis Ernst Ludwig Kirchner und Hannah Höch. Doch es geht nicht um die großen Namen, sondern um ein Thema, das schon der Titel verrät: Das Fremde ist eine Erfindung. Genauer: Das Bild, das wir uns vielfach bis heute von außereuropäischen Menschen und Welten machen, ist eine Fabrikation. Es verrät mehr über die europäischen Wünsche, Ängste und Interessen als über die realen Lebensumstände der Abgebildeten.

Amerikas Eroberung geht um die Welt

Als die Schedelsche Weltchronik erschien, hatte Kolumbus zwar bereits die Karibik entdeckt, aber er dachte ja, er sei in Indien gelandet. Kein Mensch ahnte, dass es sich um einen neuen Kontinent handelte. Von einer "Neuen Welt" sprach erstmals Amerigo Vespucci, nachdem er auf seiner dritten Expedition bis an die Küste des heutigen Brasiliens gelangt war. Die Kunde verbreitete sich in Windeseile: nicht zuletzt durch das damals neue Medium des Flugblatts. Die Ausstellung zeigt eines aus dem Jahr 1503.

Dieser frühe Druck produziert vom ersten Moment an all jene Stereotypen, die in mancher Hinsicht bis heute das Bild der indigenen Bevölkerung Amerikas und der tropischen Breiten bestimmen: Die Dargestellten tragen Federkopfschmuck, sind "nackent hübsch, braun wolgestalt von Leib", nur um die Lenden "ain wenig von federn bedeckt." Sie haben "alle ding gemain", also keinen Privatbesitz, leben in wilder Promiskuität, "haben kain regiment" und "essen auch ainander", was der Holzschnitt alles sichtbar ins Bild setzt.

Anarchie und Kannibalismus, wie sie den Bewohnern der Neuen Welt hier zugeschrieben werden, verbunden mit Andeutungen von "vil edel gestain", lieferten den Vorwand für die nachfolgende Kolonisierung. Dieses Schema wiederholt sich in anderen Erdteilen bis ins 19. und 20. Jahrhundert. Kein Expeditionsbericht, in dem der Kannibalismus fehlt, nur der Auftrag der Christianisierung hat sich später zu einer allgemeineren "Zivilisierung" und schließlich zum heutigen Begriff der "Entwicklung" verschoben. Doch eines bleibt: Diese einfachen, primitiven Menschen brauchen angeblich die Hilfe Europas, um sich aus ihrem urzeitlichen Zustand zu erheben.

Unverblümt setzt ein Kupferstich 1591 die Szenerie ins Bild: Vespucci, der männliche Eroberer, ein Navigationsinstrument in der Hand, stellt die von einem Kreuz gekrönte portugiesische Fahne auf den Boden. Amerika, personifiziert als nackte Frau, sitzt träge auf einer Hängematte. Im Hintergrund, zentral im Bild, wird wieder ein menschliches Bein am Spieß über dem Feuer gebraten.

Orient gibt es nur mit Okzident

Ein Fremder rettete das Nationalsymbol

Gründer des Kurpfälzischen Museums war Charles de Graimberg (1774 bis 1864), der sich auch um das Heidelberger Schloss verdient gemacht hat. Für deutsche Romantiker war es ein Nationalsymbol, sie trauerten vergangener Größe nach. Der Exilfranzose dagegen zog selbst ins Schloss ein, verhinderte dessen weiteren Abbau und wurde so zum Denkmalschutz-Pionier.  (dh)

Die Exponate zeigen Machtverhältnisse, ob zwischen Mann und Frau oder zwischen Kolonisator und Kolonisierten. Interessant wird es dort, wo die Verhältnisse nicht ganz so eindeutig sind wie auf dem Kupferstich mit der Entdeckung Amerikas. Ein Foto von 1890 etwa zeigt Buffalo Bill und seine Schaustellertruppe, darunter der berühmte Sitting Bull und andere Lakota mit Federhauben, vor dem Heidelberger Schloss. Eigentlich sind sie in Europa, um als unterlegene Krieger den Blicken dargeboten zu werden. Hier jedoch sind sie die Betrachter: amerikanische Touristen im Heidelberger Schloss.

Julia Carrasco, die Kuratorin der Ausstellung und Sammlungsleiterin des Museums, ist als Spezialistin der frühen Druckgrafik über Hans Burgkmairs fast zwei Meter breiten Holzschnitt "Der Kunig von Gutzin" auf das Thema gestoßen. Dieser größte Druck seiner Zeit, der als Kopie von 1810 in der Ausstellung hängt, zeigt verschiedene Völker, denen der Tiroler Kaufmann Balthasar Sprenger auf einer Reise um das Kap der Guten Hoffnung nach Indien begegnete.

Europa hat sich immer im Gegensatz zum Fremden definiert. In der Ausstellung nimmt der Orient den größten Raum ein. Hier ist das Wechselverhältnis schon im Begriff enthalten: Den Orient – den Osten – gibt es nur im Gegensatz zum Okzident oder Westen.

Europäische Herrscher im orientalischen Gewand

In den Bildwelten seit Dürer und Rembrandt zeigt sich, dass sich die Selbst- und Fremdbilder im Lauf der Jahrhunderte erheblich gewandelt haben. Anfangs schwankt das Verhältnis zwischen Angst vor dem mächtigen Gegner – immerhin stand das osmanische Heer zweimal vor Wien – und dem Prestige von Prunk und Luxusgütern. Rembrandt wie Dürer kleideten biblische Herrscher in orientalische Kostüme, um ihnen Authentizität zu verleihen. Auf größtes Interesse stießen daneben auch realistische Darstellungen von Künstlern, die bis nach Istanbul gereist waren.

Als nach der zweiten Belagerung Wiens 1683 die "Türkengefahr" abgewandt war, machten europäische Herrscher selbst einen auf Orientalen. Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden-Baden, genannt "Türkenlouis", weil er daran einen wichtigen Anteil hatte, kostümiert sich für ein kleines Bild mit erbeuteten Kleidungsstücken als Türke. Die höfische Gesellschaft bis hin zu Kurfürstin Elisabetha Augusta von der Pfalz posierte gern in orientalisch angehauchten Kostümen mit Mokkatassen aus kostbarem Porzellan. Rein zur Deko entsteht im Schwetzinger Schlossgarten eine Moschee. Seit Napoleons Ägyptenfeldzug um 1800 ändert sich nochmals das Bild. Gemälde und nun auch Fotos zeigen Wüstenlandschaften, Orte und Menschen eroberter Gebiete, während Maler und ihre Kunden in Haremsfantasien schwelgen.

Mit diesen Bildern setzen sich zeitgenössische Künstlerinnen wie Gülsüm Karamustafa auseinander, die pikante Details aus solchen Gemälden des 19. Jahrhunderts zu einem Mosaik neu zusammensetzt. Parastou Forouhar reagiert dagegen auf heutige Zuschreibungen zur Rolle der Frau im Islam. Sie lässt eine vollständig verhüllte Figur in die Luft springen, sodass das blauschwarze Gewand schwerelos im Raum zu schweben scheint. Die darunter verborgene Frau entzieht sich gänzlich den Blicken und scheint gerade daraus ihre Freiheit zu beziehen.

Schwarz allein als Kontrastfarbe

Im letzten Raum der Ausstellung geht es um die Südsee-Exotik der Expressionisten und den Gegensatz von Schwarz und Weiß. Ernst-Ludwig Kirchner kannte afrikanische und ozeanische Skulpturen nur aus dem Völkerkundemuseum. Max Pechstein reiste dagegen auf die Palau-Inseln, damals deutsche Kolonie. Hannah Höch wiederum kombiniert in zwei Collagen ethnografische Versatzstücke mit zeitgenössischen Zeitschriftenausschnitten zu seltsamen Doppelwesen, die sich als Projektionsflächen männlicher Sehnsüchte nicht eignen."Critical Whiteness" wird eine Forschungsrichtung bezeichnet, die versucht, den weißen Blick in Bildern schwarzer Menschen herauszuarbeiten. In barocken Bildern sind "Mohren" – immer in untergeordneter Funktion – oftmals nur deshalb eingefügt, um die Hautfarbe der Hauptfiguren umso heller hervor tönen zu lassen. Eine Studie von Wilhelm Trübner, 1851 in Heidelberg geboren, zeigt dagegen in einem sehr dunklen Bild einen Schwarzen in moderner europäischer Kleidung, der eine weiß hervorstechende Zeitung liest. Der Titel "Libertà" zeigt, dass es Trübner, sechs Jahre nach dem Sezessionskrieg in den USA, um die Abschaffung der Sklaverei ging.

Maxine Helfman vertauscht auf fotografischen Porträts die Rollen, indem sie schwarze Menschen in barocke Halskrausen steckt. Yinka Shonibare lässt in einem Video eine schwarze und eine weiße Balletttänzerin vor einem großen Spiegel dieselben Bewegungen ausführen. Lisl Ponger inszeniert in zwei großformatigen Farbfotos den Überlegenheitsdünkel gebildeter weißer Frauen, die sich für den afrikanischen Kontinent begeistern. Der Nigerianer Peter Uka porträtiert dagegen eine selbstbewusste schwarze Frau, die neben sich den Roman "Nervous Conditions" von Tsitsi Dangarembga auf dem Sofa liegen hat.

Ein Video der Heidelberger HipHop-Gruppe Advanced Chemistry von 1993 führt an den Ort und zum Thema der Ausstellung zurück: "Fremd im eigenen Land", lautet der Titel. "Der deutschsprachige Rap wurde in Heidelberg erfunden", insistiert Kuratorin Carrasco. Mit Selma Alacan und den per QR-Code abrufbaren Kommentaren zweier Berliner Studierenden ist die Ausstellung wieder ganz in der Gegenwart angekommen.


Die Ausstellung "Die Erfindung des Fremden in der Kunst" ist noch bis 12. Januar 2025 zu sehen im Kurpfälzischen Museum Heidelberg, Hauptstraße 97, 69117 Heidelberg. Geöffnet dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr, montags und an Feiertagen geschlossen.

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2 Kommentare verfügbar

  • Gelbkopf
    vor 1 Woche
    Antworten
    Endlich, am letzten Tag der Ausstellung habe ich die Fahrt nach Heidelberg geschafft. Selten eine so gute und wichtige Ausstellung gesehen! Jetzt wünsche ich mir, dass sie als Wanderausstellung noch viele andere Museen erreicht. Danke an Dietrich Heißenbüttel
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