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Radikal für Tierrechte

Radikal für Tierrechte
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Seit 25 Jahren kämpft Peta Deutschland gegen Leid und Sterben in Ställen, Zoos und Zirkussen. Zum Jubiläum versuchen Union und FDP, die Kämpfer für Tierrechte, wie sie sich selbst bezeichnen, kaltzustellen.

Dem schmucklosen Bürokomplex im Stuttgarter Gewerbegebiet Weilimdorf ist nicht anzusehen, dass er ein Widerstandsnest der besonderen Art beherbergt. Denn hier, zwischen Autobahnzubringer und S-Bahn-Gleisen, schlägt das wohl radikalste Herz für Tiere in der Republik: Das von Peta, dem hiesigen Ableger der gleichnamigen US-Tierschutzorganisation. Seit 25 Jahren kämpfen deutsche "People for the ethical treatment of Animals", so der Vereinsname, für Hase (der Teil des Logos ist), Versuchsaffe, Zirkuslöwe & Co.

Durch Aufsehen erregende Aktionen wurden die Tierschützer hierzulande bekannt, sie sind zum Markenzeichen des Vereins geworden. Peta-Aktivistinnen legen sich schon mal im Winter halbnackt und blutrot besudelt vor Einkaufstempel deutscher Innenstädte. Um so gegen Pelzmode zu mobilisieren, die Nerzen und Wildhunden das Leben kostet – meist durch Häutung bei lebendigem Leib nach elendigem Vegetieren in Drahtkäfigen. Zum Jubiläum türmten sich am 18. Mai Dutzende Mitstreiter in der Stuttgarter Königstraße zum menschlichen Fleischberg auf, um Passanten zum Nachdenken über das millionenfache Sterben in Schlachtfabriken zu bringen.

Aber auch abseits der Straße kämpft Peta gegen Quälerei und Ausbeutung von Wild-, Nutz- und Haustieren. Aktuell ruft die Organisation im Internet zum Boykott des weltweit größten Reiseveranstalters Tui auf. Weil der Konzern mit Sitz in Hannover Reisen zu Meereszoos auf Teneriffa und in den USA anbietet, in denen Schwertwale zu Shows bei dröhnender Popmusik gezwungen werden. Und immer wieder machte Peta Schlagzeilen mit heimlich gedrehten Videos aus Ställen, die das Leiden der Massentierhaltung in der deutschen Landwirtschaft dokumentieren.

Auch Ulrike Folkerts und Timo Hildebrand warben schon für Peta

Etliche Prominente machten mit Peta schon gemeinsame Kampagnen-Sache. Die Ludwigshafener "Tatort"-Kommissarin Ulrike Folkerts rief dazu auf, Tierquälerei dem Verein zu melden. Star-Friseur Udo Walz engagierte sich mit einem Kaninchen im Arm gegen Tierversuche. Schauspielerin Franka Potente ließ sich im Schweinestall mit einer "armen Sau" unter dem Slogan "Vegan rettet Tierleben" ablichten. "Ich bin stolz darauf, den Weg mitzugehen", sagt der ehemalige VfB-Torhüter Timo Hildebrand zum Jubiläum. Noch als Fußballprofi zog er sich für ein Plakatmotiv einen blutigen Torwarthandschuh an, um gegen Pelztierhandel zu demonstrieren. Über Peta fand er auch zur veganen Lebensweise und stieg im März 2014 als Gesellschafter und Markenbotschafter einer veganen Supermarktkette ein.

"Peta handelt in der Tradition sozialer Befreiungsbewegungen, die sich gegen die Misshandlung Unterdrückter einsetzen", sagt Harald Ullmann, Gründer und 2. Vorsitzender von Peta Deutschland. Man arbeite jeden Tag mit Engagement und Hochdruck daran, die Öffentlichkeit über Missstände aufzuklären und die Empathie für unsere Mitlebewesen zu fördern. Denn Tiere existierten um ihrer selbst willen – "und nicht, damit der Mensch ihr Fleisch essen, ihre Milch trinken oder ihre Haut tragen kann", so Ullmann.

Sind nur Veganer wahre Tierschützer? Es gäbe viele Gründe, vegan zu leben, versichert Peta in einer Broschüre. Gesundheitliche etwa bei Diabetes. Und um Klima und Umwelt zu schützen, die durch Urwaldrodungen für Futtermittelanbau oder Nitrateintragungen ins Grundwasser gefährdet seien. Oder um knapper werdende Bodenressourcen zu schonen, die ein rasant steigender Welternährungsbedarf beanspruche.

Widerspruch kommt hier von der Wissenschaft. Nach einer US-Studie schneidet vegane Ernährung hinsichtlich Nachhaltigkeit und Ernährungssicherheit nur mittelmäßig ab. Zwei Formen der Mischernährung mit geringen Mengen Fleisch sowie die lakto- und ovo-lakto-vegetarische Ernährung, könnten mehr Menschen satt machen und seien damit nachhaltiger. Der Grund: Bei veganer Ernährung bleiben zu viele Flächen ungenutzt. Auf Weideland zum Beispiel kann oft nichts angebaut werden, da der Boden es nicht hergibt.

Rechtsethisch sei die Behandlung von Tieren nicht zu rechtfertigen

Zumindest in Deutschland, wo Fleisch, Wurst und Eier Schnäppchenware sind, haftete den veganen Tierschützern von Peta lange der Ruch einer Sekte an. "Kompletter Unsinn", beteuert Ullmann. Veganer seien schon längst keine Exoten mehr, ergänzt er. "Nach aktuellen Studien leben in Deutschland 1,3 Millionen Menschen vegan. Tendenz steigend." Zudem leben nicht alle Peta-Unterstützer vegan.

Man handle ethisch, wofür auch das E in Peta stehe. "Dies fußt auf der Erkenntnis, dass Tier und Mensch in vielen Bereichen vergleichbar sind", erklärt Peta-Justiziar Krishna Singh. Tiere hätten die gleiche Instinkte und Gefühle wie Menschen, betont er. Das in der DNA verschlüsselte Erbgut männlicher Schimpansen sei der DNA eines männlichen Homo Sapiens ähnlicher als die DNA zwischen männlichen und weiblichen Menschen. Dies werfe juristische und gesellschaftliche Fragen auf – etwa hinsichtlich des fundamentalen Rechtsgrundsatzes, wonach Gleiches gleich zu behandeln ist. "Vom rechtsethischen Standpunkt aus lässt es sich nicht rechtfertigen, Wesen weniger Schutz zu gewähren, die in gleicher Weise Schmerz und Angst verspüren und darunter ebenso leiden wie ein Mensch", erläutert Singh. Gleiches gelte für das Recht auf Freiheit oder das Recht auf Leben. Nicht nur Peta fordert deshalb, Mensch und Tier rechtlich gleichzustellen. Als Ergänzung zur Aufnahme des Tierschutzes ins Grundgesetz, was 2002 erfolgte.

Denn die Realität sei immer noch eine andere. "Tiere werden in unserem Gesellschafts-, Rechts- und Wirtschaftssystem trotz aller Lippenbekenntnisse als bloße Objekte, als Waren und Wirtschaftsgüter behandelt", betont der Jurist. Masttiere oder Milchkühe würden zu Hochleistungsmaschinen gezüchtet und "buchstäblich bis aufs Blut" ausgebeutet, Affen in Labors bei Experimenten gequält, Wildtiere in Zirkussen entwürdigt und in Zoos eingesperrt, zu Taschen verarbeitet und zu genetischen Ersatzteillagern für menschliche Bedürfnisse gezüchtet.

Die Unterdrückung von Tieren, weil es eben "nur Tiere" sind, sei eine Form spezifischer Diskriminierung, so Singh. Vergleichbar mit der rassistischen Herabsetzung von Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe, der sexistischen Erniedrigung von Frauen wegen ihres Geschlechts oder von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung. In Analogie zu Begriffen wie "Rassismus" und "Sexismus" verwende die Wissenschaft hierfür den Ausdruck "Speziesismus", sagt Singh.

Mehr Diffamierungen – die Auseinandersetzung hat sich geändert

Zwischen Tiere schützen und Tiere nützen klafft naturgemäß ein Interessenkonflikt. Wobei die "Tiernützer" in der Politik heute zahlreich vertreten seien, wie Singh mit Blick auf den Lobbyismus der Landwirtschaft ausführt: "Früher fand die Auseinandersetzung direkt mit einzelnen Betroffenen wie Landwirten, Jagdverbänden, Zirkussen und Lebensmittelherstellern statt". Inzwischen habe sich der Kampf um Tierrechte aber auf die juristisch-politische Ebene verlagert. Einzelne politische Akteure versuchten, unliebsame Organisationen öffentlich zu diffamieren, sagt Singh. "Davon ist nicht nur Peta betroffen, sondern auch die Deutsche Umwelthilfe, die Seenotrettung, Fridays for Future oder Attac".

Erfolgsgeschichten

Peta Deutschland wurde 1994 in Hamburg gegründet. Seit 2014 befindet sich der Hauptsitz der Organisation in Stuttgart, eine Niederlassung gibt es in Berlin. Peta hat Partnerorganisationen in Frankreich, England, den Niederlanden, Australien, Asien, Indien und den USA. Der Verein ist als gemeinnützig und besonders förderungswürdig anerkannt. Aktuell hat Peta 1,5 Millionen Förderer hierzulande, die dem Verein jährlich rund 7,5 Millionen Euro spenden. Zusätzlich kommen rund eine halbe Million Euro aus Nachlässen. Genug, um neben Kampagnen auch den fast 100-köpfigen Mitarbeiterstab des Vereins zu finanzieren.

2001 verbot Deutschland den Import wildgefangener Elefanten, nachdem Peta enthüllt hatte, dass Elefantenbabys für hiesige Zoos in Südafrika gefangen und misshandelt wurden. 2008 erreichte Peta, dass in der Circus-Krone-Show „Stars in der Manege“ keine Wildtiere mehr auftreten. Die EU verbot den Import von Hunde- und Katzenfell, nachdem unter anderem Peta aufdeckte, dass die Tiere auf chinesischen Märkten teils lebendig gehäutet werden. Seit 2010 transportiert die Lufthansa als Reaktion auf eine Peta-Kampagne keine Katzen und Hunde mehr zu Versuchslaboren. 2012 stellte das ZDF nach jahrelangen Protesten die Serie „Unser Charly“ ein – Peta hatte aufgedeckt, dass für die Dreharbeiten „ausgemusterte“ Schimpansen in heruntergekommenen „Auffangstationen“ dahinsichten. Anfang 2019 schloss nach 25 Jahren Peta-Kampagnen die letzte deutsche Pelztierfarm. Und auf Forderung von Peta haben sich über 100 deutsche Städte entschlossen, Zirkussen mit Wildtieren keine öffentlichen Flächen zur Verfügung zu stellen – darunter Stuttgart, Karlsruhe und Düsseldorf. (jl)

Heute würden sogar politische Institutionen gegründet, um Nichtregierungsorganisationen wie Peta zu diskreditieren. Als Beispiel nennt er die neoliberale Denkfabrik "Prometheus – Das Freiheitsinstitut", die 2014 vom FDP-Bundestagsabgeordneten Frank Schäffler gegründet wurde. Prometheus ist Teil des Atlas Network, das weltweit neoliberale und libertäre Organisationen gründet, fördert und koordiniert. Zu seinen Sponsoren gehören ExxonMobile, Philip Morris und die Stiftungen der US-Milliardäre Charles G. Koch und David H. Koch.

Schäfflers Partei, die FDP, brachte im vergangenen Jahr auch einen Antrag in den Bundestag und Landesparlamente ein, "die das Ziel haben, Peta mundtot zu machen", so Singh. Geht es nach der FDP, soll Vereinen die steuerbegünstigende Gemeinnützigkeit aberkannt werden, wenn deren Repräsentanten gegen geltende Strafgesetze verstoßen oder zum Rechtsbruch aufrufen. Namentlich erwähnt wird Peta, deren führende Köpfe Straftaten wie Einbrüche in Viehställe legitimieren würden. "Der Antrag unterstellt Peta eine vermeintliche Nähe zu Gewalttaten. Fakt ist, dass Peta keine Straftaten begeht und noch nie welche begangen hat", sagt Singh.

Ein Standpunkt, der sich auf hohe Instanzen der Justiz berufen kann. In einer Anhörung des zuständigen Bundestags-Finanzausschusses zum FDP-Antrag Mitte Februar hatte Ulf Buermeyer, Richter am Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin, die Aussage, Stalleinbrüche seien im Regelfall eine Straftat, als "steile These" bezeichnet. Buermeyer verwies auf eine Entscheidung eines Gerichts, das einen Stalleinbruch als Notstand bewertet habe. Zuvor hatte der Bundesgerichtshof im Mai 2018 allerdings Stalleinbrüche durch Tierschützer zur Beschaffung von Videomaterial zwar grundsätzlich als Hausfriedensbruch gewertet. Der BGH anerkannte die Verbreitung des rechtswidrig beschafften Videomaterials durch TV-Sender unter bestimmten Bedingungen für zulässig.

Ob das so bleibt? Auch die Union will die staatliche Repression gegen Tierschützer verschärfen. "Wir wollen Einbrüche in Tierställe als Straftatbestand effektiv ahnden", konnten die CDU-/CSU-Verhandler 2018 im Koalitionsvertrag einfügen.

Peta selbst hat kein Klagerecht

Dass sich die Auseinandersetzung in eine juristisch-politische Dimension verlagere, zeige sich nicht zuletzt auch am neuen Tierschutzgesetz, ergänzt Singh. Statt den Schutz der Tiere zu stärken, erhöhe sie das Leiden, weil mit dem Gesetz das Ende der betäubungslosen Ferkelkastration weiter hinausgezögert wurde. Dies sei verfassungswidrig, so Singh. Deshalb habe man die Länderregierungen aufgerufen, dagegen Verfassungsklage einzureichen.

 "Wir selbst haben leider keine Klageberechtigung", verweist Singh darauf, dass die grün geführte baden-württembergische Landesregierung Peta das Verbandsklagerecht bis heute verweigert. Warum, beantwortete ein Urteil des Stuttgarter Verwaltungsgerichts vom 30. März 2017, vor dem Peta auf Anerkennung klagte. Demnach war die Ablehnung "als mitwirkungs- und verbandsklageberechtigte Tierschutzorganisation” rechtens, weil der Gesetzgeber nur solchen Organisationen prozessuale Sonderrechte verleihen wollte, "die über eine demokratische Struktur verfügten". Dies sei nur über ordentliche, zur Entscheidung über die Ausrichtung des Vereins berufene Mitglieder, nicht hingegen über Fördermitglieder gewährleistet, so das Urteil.

Tatsächlich hat Peta Deutschland nur sieben Mitglieder, mit der britisch-amerikanischen Peta-Gründerin Ingrid Newkirk als Vorsitzende. Die Spender werden als Fördermitglieder geführt. Eine Vereinskonstruktion, die etwa auch die Umweltschutzorganisation Greenpeace hat. "Wir wollen durch unsere Arbeit überzeugen", bekräftigt Harald Ullmann, sich weder von Urteilen noch Anträgen aufhalten zu lassen, um weiterhin für Tierrechte zu kämpfen.


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2 Kommentare verfügbar

  • Dr. Edmund Haferbeck
    am 12.06.2019
    Antworten
    PETA hat genau das Gegenteil bezweckt und dies ist massenhaft publiziert worden: Mit der Kampagne "Der Holocaust auf Ihrem Teller" stellte PETA eine Assoziation (keinen Vergleich) zum Grauen des Holocaust her - und erinnerte daran. Als Tierrechtsorganisation ist es mehr als legitim, den…
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