Aktionen unter dem Deckmantel des Tierschutzes gab es auch in den vergangenen Monaten. Am Nachmittag des 24. Juni etwa marschierten Kameraden der Neonazipartei "Die Rechte Enzkreis", einer Abspaltung der NPD, in Niefern (Enzkreis) auf. Dort gastierte der Circus Bely, Eigenangaben zufolge "die größte Zirkus-Tierschau in Baden-Württemberg!". Das traditionsreiche Zirkusunternehmen legt Wert auf eine artgerechte Tierhaltung, hat keine Elefanten, Giraffen, Löwen oder Bären im Programm und ist somit von der Diskussion über die Haltung von Wildtieren im Zirkus gar nicht betroffen. Geboten wird stattdessen eine vielfältige Mischung aus Tierdressuren und Akrobatiknummern.
Das hat die Neonazis nicht weiter gestört. Sie verteilten dennoch ihre Flugblätter unter dem Motto "Manege frei für Quälerei". Der propagandistischen Auffassung der Neonazis nach haben "Tiere weder im Zirkus noch im Zoo etwas zu suchen" und "die Freiheit ebenso verdient, wie wir Menschen".
Mitglieder der NPD Leipzig tauchten am 11. April bei einer Veranstaltung des Circus Afrika in Leipzig auf und forderten "Keine Tierquälerei weltweit und schon gar nicht auf deutschem Boden!". Tage zuvor weilte der Circus Afrika im sächsischen Eilenburg und wurde von Aktivisten der NPD-Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten (JN) Nordsachsen aufgesucht. In einer Presseerklärung namens "Schluss mit dem Zirkus – Den Protest auf die Straße tragen" gaben die Jung-NPDler kund: "Da die Bundesregierung lieber daran interessiert ist alten Menschen, welche 40 Jahre geschuftet haben die Rente zu kürzen, ganze Wohngebiete mit Scheinasylanten zu fluten, Zocker-Banken zu retten, anstatt vernünftige Tierschutzgesetze zu entwerfen. So lange wird unser Protest weitergehen. Eilenburg ist unsere Stadt und hier haben Tierquäler nichts zu suchen!"
Die in rechtsextremer Propaganda immer wieder thematisierten Tierschutzbelange haben jedoch lediglich untergeordnete Bedeutung. Sie dienen – wie die Agitation der JN Nordsachsen dokumentiert – als Transportmittel für fremdenfeindliche Argumentationen.
Rassenbiologie unter dem Deckmantel des Tierschutzes
Unter dem Deckmantel des politisch unverfänglichen Themas Tierschutz wollen Rechtsextremisten ihre klassischen Feindbilder transportieren. Man gibt sich als Tierschutz-Kümmerer und besetzt damit ein populäres Thema. Dank bürgernahem Auftreten und gemäßigt erscheinender Außendarstellung erfahren sie Zustimmung und hoffen auf Sympathiegewinn. Gleichzeitig soll Nachwuchs rekrutiert werden. Tierschutz wird auf diese Weise als Türöffnerthema benutzt, um zu rassebiologischen Positionen überzuleiten.
Im Rahmen ihrer Strategiediskussion propagierte das NPD-Parteiblatt "Deutsche Stimme" bereits im Jahr 2000 das Aufgreifen und die Besetzung von "weichen" Themen wie Tierschutz. Dies sei, so die "Deutsche Stimme", "geradezu der Schlüssel zur langfristigen Schaffung von befreiten Zonen". Skeptischen Parteikameraden hielt das braune Propagandablatt entgegen: "Die harten Themen, für die die NPD bisher bekannt war, werden durch neue Strategien weder entwertet noch aufgegeben. Im Gegenteil: sie werden bei verbesserter Akzeptanz der NPD weitaus besser vermittelbar sein können als bisher."
Neben eigenen Aufmärschen und Flyer-Verteilaktionen versuchen Neonazis auch, Tierrechtsprotest zu unterwandern. So mobilisierte die Tierbefreiungsoffensive Saar e. V. am 8. Juli zu einer Protestveranstaltung gegen die Tierhaltung in Zirkussen in Neunkirchen. Vor Ort fanden sich in der zweitgrößten Stadt des Saarlandes auch ein Dutzend Neonazis aus dem Saarland und Rheinland-Pfalz ein.
Das Thema "Tierschutz im Zirkus" steht auch bei Neonazis im benachbarten Ausland auf der Tagesordnung. Im Oktober 2014 verteilten Aktivisten der Partei National Orientierter Schweizer (PNOS) gleichnamige Flugblätter an Zürcher Haushalte. Man wolle so lange weiterkämpfen, "bis kein Zirkus mehr ein Programm anbietet, das Tiere beinhaltet", hieß es in einer PNOS-Presseerklärung.
Tierliebe als Vehikel, um gegen Juden und Muslime zu hetzen
Das aus Tierschutzgründen umstrittene "Schächten" ist in der extrem rechten Szene ein beliebtes Thema, um gegen Juden und Muslime zu hetzen. Dabei wird das religiös bedingte Schächten als Beispiel für "fremdländische, barbarische und anachronistische Sitten und Bräuche" angeprangert.
Vor wenigen Tagen wurde im Internet die Landschlachterei Piepmeier im niedersächsischen Elsfleth (Landkreis Wesermarsch im Oldenburger Land) Opfer rechter Attacken. Piepmeier schlachtet halal, also Fleisch nach den Gesetzen des Koran. Weil Pegida-Gründer Lutz Bachmann Piepmeier in Facebook Tierquälerei vorwarf und zum Boykott aufrief, ging es auf deren Facebook-Profil zeitweilig drunter und drüber. Die traditionsreiche Metzgerei wurde als "Tierquäler" und "Muselmänner" beschimpft.
Judith Wolter, damals Funktionärin von Pro NRW, einer rechtsextremen Kleinpartei, erklärte 2007: "Ein Tierschutz, der beim Schächten endet, ist keiner!" Der NPD-Kreisverband Berlin-Lichtenberg hetzte 2011 gegen das Schächten, da dies "nur gewisse ethnische Minderheiten für ihre merkwürdigen Eßgewohnheiten so fordern". Im NPD-Parteiprogramm heißt es: "Tierquälerei – wie beispielsweise das kulturfremde Schächten – ist ein Verbrechen und strafrechtlich streng zu ahnden."
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Atzko
am 30.07.2015