Im Kollegiengebäude K II der Uni im Stuttgarter Stadtzentrum kursieren schon lange Geschichten. Ein großer Wandteppich von Ida Kerkovius, hieß es einmal vor langer Zeit, sei aus dem elften Stock entfleucht. Der Pavillon auf dem Dach der zehnstöckigen Hochhausscheibe mit Blick auf den Schlossplatz, ursprünglich gedacht als "Forum der Begegnung von Wissenschaft und Politik", sei mit repräsentativen Kunstwerken ausgestattet gewesen. Die seien alle weg. Und in Fellbach sei gar ein Picasso verschwunden.
Doch Picassos Lithografie "Tête de femme" von 1957 fand sich wieder an einem ungewöhnlichen Ort: in einem Flur neben dem Kopiergerät, vergilbt und verblasst, aber nicht gestohlen. Und einen Wandteppich von Ida Kerkovius hat es an der Universität nie gegeben. Dies lässt sich einer Datenbank entnehmen, welche die Staatliche Vermögens- und Hochbauverwaltung bereits auf eine <link http: www.rechnungshof.baden-wuerttemberg.de de veroeffentlichungen denkschriften _blank>frühere Mahnung des Rechnungshofs im Jahr 2005 hin angefertigt hat. Baden-Württemberg ist damit das einzige Bundesland, das seinen Kunstbestand vollständig inventarisiert hat. Rund 3500 Werke sind verzeichnet, 500 davon nicht mehr auffindbar. Diesem Verzeichnis entnimmt auch der Rechnungshof seine aktuellen Zahlen.
Von der Bauhaus-Schülerin Ida Kerkovius fehlt nicht etwa ein großer Wandteppich, sondern ein kleines Pastell. Karola Lake, die Geschäftsführerin der Kunstkommission des Landes, könnte dazu viel erzählen. Doch für ein offizielles Statement verweist sie auf die Pressestelle des Finanzministeriums. Die Nerven sind angespannt: 500 verschollene Kunstwerke, das macht eine gute Schlagzeile, die sich Zeitungen und Fernsehen nicht entgehen lassen.
Aber die Geschichte der Kunstwerke, die Professoren aus ihren Dienstzimmern mit nach Hause nahmen, ist keineswegs neu. Sie war an der Universität schon vor mehr als zwanzig Jahren verbreitet. "In einer Suchaktion müht sich die Universität Stuttgart derzeit, in Hörsälen und Studierstuben verlorengegangene Kunst wiederzubeschaffen", war bereits vor 20 Jahren in Medienberichten zu lesen: "Den Bürokraten war im letzten Jahr aufgefallen, dass zwischen der offiziellen Liste staatseigener Kunstwerke und dem Bestand an der Uni erhebliche Lücken klafften."
Verschätzt
Schon damals war die Rede von 30 verschollenen und elf wiedergefundenen Werken, aber auch von zwei Kunstwerken, die im aktuellen Bericht des Rechnungshofs nun wieder genannt sind: die Farblithografie "Signes et météores" von Joan Miró und der Holzschnitt "Segelschiffe" von Lyonel Feininger. Von Ersterer, Auflage 100, wurde 2010 im Auktionshaus Ketterer in München ein Exemplar für 4800 Euro verkauft, vom zweiten eins für 3050 Euro.
Bei dem verschwundenen Werk der Kerkovius könnte es sich um jenes "Gemälde mit dem Titel 'Ischia'" handeln, dem in einem "Spiegel"-Artikel ein "Schätzwert 30 000 Mark" zugeschrieben wurde. Ein Pastell gleichen Titels hat kürzlich die Städtische Galerie Böblingen erworben, für einen "niedrigen fünfstelligen Betrag". Dasselbe Werk hatte das Kunsthaus Lempertz drei Jahre zuvor noch für 4840 Euro versteigert. Es ist nicht das aus der Stuttgarter Universität; es stammte von einem hessischen Privatsammler, der es direkt von der Künstlerin erworben hatte. Aber die Zahlen deuten darauf hin, dass der Schätzwert zu hoch angesetzt war.
Bei den verschollenen Werken handelt es sich häufig um Druckgrafiken, die freilich nicht alle an der Uni, sondern auch in Büros und Krankenhäusern an den Wänden hingen. Große Namen sind eher die Ausnahme. Mit der Anschaffung wollte das Land auch lokale Künstler fördern.
Der Verlust von 500 Kunstwerken deutet sicher auf gravierende Mängel hin, nicht unbedingt aber auf eine generelle Selbstbedienungsmentalität der Professoren. Die Staatsanwaltschaft hat vor zwanzig Jahren ermittelt – offenbar ohne Ergebnis. Heute sind die Fälle längst verjährt. Auch mangelndes Kunstverständnis und fehlende Verantwortlichkeiten mögen eine Rolle gespielt haben. Dies soll sich nun ändern: Eine Person soll immer zuständig sein.
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