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Chronik einer Privatisierung

Das Ende der Majolika

Chronik einer Privatisierung: Das Ende der Majolika
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Die Karlsruher Majolika-Manufaktur schließt zum Jahresende. Nach der Übernahme durch den Immobilieninvestor Christoph Gröner machte sie nicht nur bei Kontext regelmäßig Schlagzeilen. Rekonstruktion einer gescheiterten Privatisierung mit Hilfe interner Dokumente.

Die Karlsruher Keramikmanufaktur Majolika schreibt seit 120 Jahren mehr als ein Drittel der gesamten Karlsruher Kulturgeschichte mit. 1901 gründete der badische Großherzog Friedrich den Betrieb als "Großherzogliche Majolika-Manufaktur". Lange war das Land Baden, dann Baden-Württemberg Eigentümer, bevor 1999 die Landesbank übernahm. Im Zuge der Finanzkrise trennte sich die Bank 2011 von der Manufaktur und gab sie für einen symbolischen Euro in die Hände der Stadt Karlsruhe, die sie ihrerseits in eine Stiftung übertrug. Die Immobilie wurde von der städtischen Gesellschaft KVVH übernommen. Den Betrieb der Majolika bezuschusste die Stadt bis 2022, allerdings floss dieses Geld zum größten Teil als Miete zurück an die städtische Gesellschaft.

Durch eine Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz erhielt die Kontext-Wochenzeitung nun Einblicke in interne Protokolle und Schriftwechsel aus der Stadtverwaltung, die die bisherige Berichterstattung zu einer Chronik verdichten.

September 2022: Die Majolika-Stiftung gibt bekannt, die Majolika-Manufaktur an die Gröner Group um den in Karlsruhe geborenen Immobilienunternehmer Christoph Gröner verkauft zu haben. Der Kaufpreis: 50.000 Euro. "Die Gröner Group ist ein sehr aktives, äußerst erfolgreiches Unternehmen mit zahlreichen Großprojekten und bedeutenden städtebaulichen Vorhaben in und um Karlsruhe", sagt der Stiftungsvorstand Klaus Lindemann. Auch der Majolika-Stiftungsrat und Kulturbürgermeister Albert Käuflein (CDU) erklärt, ein "gutes Gefühl" zu haben. Gröner habe ein "großes Interesse an der Manufaktur", daher gehe er davon aus, dass der Investor "die traditionsreiche Manufaktur in eine gute Zukunft führen wird."

Gröner selbst schweigt länger zum Erwerb der Majolika-Manufaktur und verkündet dann, die Majolika als Kunst- und Kulturstätte erhalten und das Bildungsprogramm stärken zu wollen. Er betont, dass die Majolika-Manufaktur entgegen der Angaben des Verkäufers nicht von der Gröner Group gekauft wurde, sondern von seinem Family Office. In den Registern wird aber Gröners CG Gewerbepark Ettlingen als Eigentümerin geführt, die Verbindungen zu einem alten Geschäftsfreund zeigt.

Februar 2023: Knapp sechs Monate nach der Übernahme befindet sich die Majolika-Manufaktur im freien Fall: eine faktisch eingestellte Produktion, abgebrochene Aufträge, die Auflösung des Bildungs- und Kursprogramms und eine Belegschaft, die vergeblich nach Verantwortlichen suchte. In der Majolika gibt der Karlsruher Immobilienunternehmer Thomas Heeger den Ton an. Bereits ein Jahr zuvor hatte Finanzbürgermeisterin Gabriele Luczak-Schwarz (CDU) Heeger über die Konditionen zum Erwerb der Majolika-Immobilie informiert und bat um ein Konzept für die künftige Nutzung. Heeger ist ehemaliger Gröner-Vertrauter. Die beiden starteten in den 1990er-Jahren in Karlsruhe gemeinsame Immobiliengeschäfte und waren danach auch gemeinsam in Leipzig aktiv. Die offizielle Zusammenarbeit endete, als sie sich nach gemeinsamen Geschäften in den 2000er-Jahren wegen Betrugsvorwürfen die Anklagebank teilten. Heeger zog sich danach aus der Öffentlichkeit zurück. In der Majolika trat er unter dem Namen Thomas Scherer auf. Nachdem Kontext die Zustände öffentlich macht, wird die Belegschaft und Käuflein informiert, dass sich der Investor zurückziehen wolle.

März 2023: Anfang März trifft sich der Karlsruher Oberbürgermeister Frank Mentrup (SPD) mit Gröner in Berlin. "Die Ankündigung einer Abwicklung der Majolika ist vom Tisch", sagt Mentrup danach. Gröner habe ihm auch versichert, die Majolika-Immobilie weiterhin erwerben zu wollen. Kurz darauf besucht Gröner erstmals die Majolika, entschuldigt sich und verspricht, sich künftig selbst um den Betrieb und die angestrebte Übernahme der Immobilie zu kümmern. Er habe zuvor keine Zeit gehabt, wolle aber die Majolika jetzt auch offiziell allein mit seinem Gröner Family Office führen, sagt er gegenüber Kontext. Mit einer Verkleinerung der Manufaktur sowie der Quersubventionierung ihres Betriebs durch die Vermietung ungenutzter Flächen an Start-ups, als Boardinghouses und Kursräume wolle er die Majolika erhalten.

Als Oberbürgermeister Mentrup vorab von der Teilnahme der Badischen Neuesten Nachrichten (BNN) bei Gröners Besuch in der Majolika erfährt, warnt er ihn. Er solle gegenüber der Presse berücksichtigen, "dass diese weiter an der Geschichte strickt, dass Sie die Stadt mit öffentlich gemachten Äußerungen unter Druck setzen (wollen)", so Mentrup in einer E-Mail. Gröner beschwichtigt, vom Termin würde es nichts "Spektakuläres zu berichten geben" und er denke, "dass die BNN dabei ist sollte uns nicht beunruhigen". Die Teilnahme von Kontext wehrt Gröner hingegen ab, sagt, das Zeitfenster seines Besuchs stehe noch nicht fest. Das von der Stadt für die Abgabe der Immobilie verlangte Konzept bleibt er derweil ebenso schuldig wie Nebenkostenzahlungen in Höhe von 40.000 Euro seit seiner Übernahme. Er gehe davon aus, dass die Stadt ihm den offenen Mietzins stunde oder zumindest einer Ratenzahlung zustimme, schreibt Gröner am 14. März 2023 an die Finanzbürgermeisterin.

Juli 2023: Gröner kommt erneut nach Karlsruhe, um seine Pläne mit der Finanzbürgermeisterin und dem Kulturbürgermeister zu besprechen. Er brauche dringend Klarheit, ob und wann er auch die Majolika-Immobilie übernehmen könne. Bislang sei die Manufaktur ein Zuschussbetrieb. Um auf dem Gelände eigene Mittel erwirtschaften zu können, plane er dort unter anderem mit folgenden Einrichtungen: Kunsthandwerk, Künstler-Café, Kaffeerösterei, Radreparaturen, Schuhmacher, Lebensmittelveredelung, Betriebswohnungen und Boardinghouse. Das Stadtplanungsamt informiert Gröner über die Herausforderungen des Geländes, die sich vor allem aus dem umliegenden Naturschutzgebiet ergeben. Die Finanzbürgermeisterin bittet Gröner dringend darum, die Frage der offenen Mietzahlungen zu klären. Zudem solle er einen Wirtschaftsplan vorlegen, in dem die Majolika Manufaktur als "echter Betrieb, in dem tatsächlich produziert wird" berücksichtigt ist. Dies geht aus dem Protokoll eines Treffens Gröners mit zwei Karlsruher Bürgermeister:innen hervor.

September 2023: Zur Sitzung des gemeinderätlichen Majolika-Begleitgremiums kommt Gröner wieder nach Karlsruhe. Einen geforderten Wirtschaftsplan hat er nicht dabei, dafür setzte er der Stadt ein Ultimatum. Binnen 18 Monaten wolle er die Immobilie übernehmen, sonst müsse er die Manufaktur abwickeln, sagte Gröner den Gemeinderäten. Die Majolika-Manufaktur warb wenige Wochen zuvor auf ihrer Internetseite noch mit Osterdekorationen und halbierte ihre Öffnungszeiten.

Februar/März 2024: Nachdem Gröner auch ein Konzept mit Wirtschaftsplan vorlegt, werden die Verhandlungen zwischen Gröner und der Stadt während des Winters konkreter. Die Pläne von Gröner stoßen jedoch bei Parkplätzen und mit dem angrenzenden Naturschutzgebiet an Grenzen. Das Stadtplanungsamt bringt ein Parkhaus ins Spiel, doch auch dafür gibt es keinen Platz. Zur Fortführung der Verhandlungen will sich OB Mentrup bei den Gemeinderatsfraktionen versichern, ob sie überhaupt bereit seien, die Majolika-Immobilie noch an Gröner abzugeben. Eine Mehrheit des Gemeinderats lehnt das ab. Zu groß ist mittlerweile das Misstrauen.

April/Mai 2024: Ende April teilt Gröner der Stadtverwaltung mit, dass er den Geschäftsbetrieb der Majolika einstellen werde. Unter den gegebenen Umständen sei er nicht bereit, weiter Mittel für den Fortbestand der Produktion bereitzustellen, begründete der Investor den Schritt. Pro Monat müsse er bis zu 40.000 Euro für den Betrieb der Majolika zuschießen. Schon Ende Mai solle die Manufaktur daher geschlossen werden. Die Karlsruher Stadtspitze sucht daraufhin wieder das Gespräch mit Gröner. Dabei droht Gröner Klage gegen die Stadt zu erheben. Sie habe ihn "glauben gemacht", dass er die Majolika-Immobilie übernehmen könne, so das Protokoll eines internen Treffens.

Parallel sucht die Stadtverwaltung nach "führenden Keramikunternehmen" des Landes, hofft, dort Interessenten für die Übernahme der Manufaktur zu finden. Dem Kulturbürgermeister Käuflein wird über einen Mittelsmann ein an der Majolika interessierter Investor aus Frankfurt vorgeschlagen, den er an Gröner vermittelt. Die ausstehenden Nebenkostenzahlungen bleibt Gröner bis dato ebenso schuldig wie die fällige Vergütung an die früheren Majolika-Aufsichtsräte. Innerhalb des städtischen Tochterunternehmens KVVH wird eine Räumungsklage gegen Gröner diskutiert. Rechtlich sei eine Kündigung und Klage möglich, da Gröner die Mietzahlungen eingestellt hat.

Oktober 2024: Die KVVH kündigt Gröner den Mietvertrag wegen ausstehender Zahlungen in Höhe von 70.000 Euro. Die nicht geleisteten Nebenkosten sind dabei nicht eingerechnet. Gröner wehrt sich. Der "vorgefundene Mietvertrag" sei "in vielerlei Hinsicht untragbar", die Forderungen daher zum Teil unrechtmäßig, schreibt sein Anwalt. Gröner sieht sich derweil einer neuen Welle von Insolvenzanträgen gegen Teile seines Konzerns gegenüber. In der finanziellen Lage ist Gröner auch über jeden Euro froh, den der laufende Räumungsverkauf in der Majolika einbringt.

Dezember 2024: Während zwei Gütetermine um die Mietstreitigkeiten vor dem Landgericht Karlsruhe verschoben werden, kommt es für Gröner im Dezember knüppeldick. Die Polizei rückt gleich dreimal mit einer Razzia auf seine Firmengelände in Berlin und Leipzig vor. Hintergrund sind der Verdacht auf Insolvenzverschleppung und auf Veruntreuung von Arbeitsentgelt. Am Tag nach der ersten Razzia erreicht ein Gläubiger auch noch ein Privatinsolvenz-Verfahren gegen Gröner. Nach einer Millionenzahlung hat das Amtsgericht Leipzig dieses Verfahren am vergangenen Freitag wieder aufgehoben. Nicht abgewendet ist bislang allerdings das Insolvenzverfahren gegen die Firma Gröner Group. Während der Immobilieninvestor mit der Pleite kämpft, ist für Januar ein dritter Anlauf für den Gütetermin in Sachen Majolika-Miete angesetzt. Mit einer schnellen Entscheidung ist nicht zu rechnen.

Zum Jahresende sind die letzten Beschäftigten der Majolika-Manufaktur gekündigt und das Keramik-Handwerk in Karlsruhe ist Geschichte. Einer, der Zeit seines Lebens eng mit der Majolika verbunden ist, ist Günther Oettinger (CDU). "Die Majolika ist in Baden-Württemberg zu Hause und hat Karlsruher Identität", sagt er gegenüber Kontext. Während seiner Zeit als Ministerpräsident nutzte er Keramikprodukte der Majolika als Gastgeschenk und versuchte sich auch als EU-Kommissar in Brüssel für die Majolika einzusetzen. "Die Kreativität und die Fähigkeit aus Ton etwas zu machen, finde ich grandios. Das habe ich immer bewundert." Die Welt habe sich allerdings gewandelt. Traditionelle Keramikproduktion sei in der Moderne kaum mehr wirtschaftlich möglich. "Wenn ein Investor Rendite sucht, wird er sich schwer tun", sagt Oettinger. Einem Investor müsse der kulturelle Wert wichtig sein. Oettinger selbst ist auch im Aufsichtsrat des Gröner-Konzerns. An der Entscheidung für den Kauf der Majolika-Manufaktur sei er aber nicht beteiligt gewesen, sagt Oettinger. "Mich hat er dazu nicht um Rat gefragt."

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3 Kommentare verfügbar

  • Gerald Wissler
    vor 3 Wochen
    Antworten
    Was hat die Stadt eigentlich bewogen, überhaupt zu verkaufen ?
    Die Landesbank hat bestimmt nicht für einen symbolischen Preis verkauft, damit die Stadt 49.999 Euro Spekulationsgewinn machen kann.
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