Korrektur des letzten Absatzes: Eine weitere Ausnahme für Freude existiert beim Don. Mittwoch, día de plaza – wörtlich: Tag des Platzes – heißt konkret: Wochenmarkt. Eine Querstraße weiter, rund um den großen Sportplatz herum, wird gefeilscht, gewogen und geratscht. Der nuschelnde ältere Herr mit seinem soliden Angebot an Nüssen ist mir nach einer Weile zu anhänglich und aggressiv im Kundenmanagement ("Weißer, du warst letzte Woche gar nicht da! Was war los?").
Die Gemüsehändler schreien laut, haben aber gutes Gemüse. (Klingt nach einem fairen Kompromiss.) Die ältere Frau direkt neben der Kirche mit dem sehr dichten grauen Haar lächelt bei jedem Wetter. Sie hat auch allen Grund dazu: Sie verkauft ein einziges Produkt, chicharrón, frittierte Schweineschwarte. Da ihre Marktanalyse hervorragend war, kann sie mit einem steten, nie abebbenden Strom an Kund:innen rechnen. Ich kaufe manchmal für 50 Pesos, aber nicht jede Woche – der Darmkrebs kann gerne noch etwas warten. Anfangs habe ich dem Don nur ein Stück abgegeben, Halleluja, die Freude – sonst einmal im Schaltjahr – kehrt in sein Gesicht zurück. Dann stieg ich zum mittwöchentlichen Schweinebauch-Versorger des Dons auf. Zehn Pesos Arterienverkalkung, nur für Eulogio – immer gerne. Die Freude in seinen Augen ist mehr wert als die Zehn-Pesos-Münze mit den Insignien Mexikos.
Seine Tätigkeit ist eine dieser omnipräsenten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, die die ganze Agavenrepublik durchziehen: der Tür-Aufmacher, der Parkplatz-Einweiser oder – mein Favorit – der Desinfektionsgel-in-die-Hand-Verteiler (eine Erscheinung der Pandemie, versteht sich).
Humor ist alternativlos
Jedes Quartal quatscht der Don mal beiläufig von seinem rancho irgendwo in Morelos, und wie er dort hinziehen wird, wie er uns alle hier in der Straße verlassen wird, all die señoras chismosas – die tratschenden älteren Damen – und all die Hunde, Katzen und Taxifahrer verlassen wird. Natürlich ist nie was passiert. Don Eulogio wird bis zu seinem Ableben sitzen – und warten und sterben, gemächlich vor sich hinsterben, mit Scheißlaune.
Als dann mal am helllichten Tag in einer Bude nahe dem großen Baum eingebrochen wurde, unweit der Wohnung mit den sektenartigen Nachbarn in ihren weißen Gewändern, da beteuerte der Don seine Fähigkeiten im Zweikampf: Er habe ja den schwarzen Gürtel in Judo, sagt er. Kein Zwinkern, keine besondere Modulation der Stimme – aber dieser subtile Glanz in den Augen, das leichte Grinsen, das darauf hinweist: Natürlich hat er den nicht. Es ist eine Art Rückversicherung, sich selbst und den anderen gegenüber, dass er hier der Boss ist und bleibt, dass wir sicher sind. Außer halt als die Bude ausgeräumt wurde, aber bueno, que se le hace, was soll man da schon tun?
Don Eulogio hat mir eines der wichtigsten Konzepte in Mexiko beigebracht: Humor als Eskapismus. Auf einem absolut brutalen Niveau. Als eine Art Ausflucht. Die Kriminellen aus Jalisco haben einen Widersacher geköpft, den Kopf neben einen Geldautomaten gelegt, dann hat ihn ein Hund durch die Gegend getragen – haha! Das hat sogar jemand gefilmt, heftig. "Nos reímos de todo", wir lachen einfach über alles, "Todo es broma", alles ist ein Witz. Der Mexikaner ist ein humoristischer Anti-Lindner. Hier lautet die Devise: Besser falsch lachen als gar nicht zu lachen.
Und das ist ein sinnvoller, notwendiger Schutzmechanismus: Mit fast 200.000 Morden (alleine unter der letzten Regierung López Obradors), knapp 130.000 Verschwundenen, der Großteil davon seit dem Jahr 2006, über 52.000 nicht identifizierten Leichen und einer immensen Straflosigkeit – da ist Humor alternativlos.
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