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Internationaler Tag der Pressefreiheit am 3. Mai

Die zwei Formen der Gewalt

Internationaler Tag der Pressefreiheit am 3. Mai: Die zwei Formen der Gewalt
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Mexiko ist eines der tödlichsten Länder für Journalist:innen. Erst vor ein paar Tagen wurde der Lokaljournalist Roberto Carlos Figueroa erschossen. Zum Tag der Pressfreiheit berichtet die bekannte Journalistin Jesusa Cervantes über den Staat als Täter, die Rolle des organisierten Verbrechens – und einen Hoffnungsschimmer.

Frau Cervantes, Sie schreiben über Verstrickungen von Politik und organisierter Kriminalität, über Korruption, über in Auftrag gegebene Morde an Kolleg:innen. Ist Ihr Todeswunsch denn so sehr ausgeprägt?

Ich habe tatsächlich überhaupt kein Verlangen danach zu sterben. Ich möchte leben, sogar gesund alt werden. Der Punkt ist: Journalismus in Mexiko ist unglaublich stressig. Das Stresshormon Cortisol ist ständig erhöht, das führt zu einer ganzen Reihe an Krankheiten. Aber es ist auch so: Mexiko ist ein sehr diverses Land. Als ich vor knapp 30 Jahren nach Mexiko-Stadt kam, interessierte weder die Politiker noch die Leser der Zeitungen, was in den Bundesstaaten passierte. Das führte dazu, dass sich in den Staaten das cacicazgo [Kazikentum] herausbilden konnten. Der Kazike ist eine Person, die sehr viel Macht konzentriert, nicht unbedingt Teil des politischen Spektrums, aber es dennoch dominiert. Er ist die Person, die wirklich die Macht besitzt. Alles konzentrierte sich auf die Hauptstadt, denn nur dort gab es Arbeit für Journalisten.

Die Grenzgängerin

Jesusa Cervantes ist 57 Jahre alt. 35 davon hat sie bereits dem Journalismus gewidmet. Sie ist Gründerin des Mediums "La Crónica de Mexicali". In dieser Stadt, der US-mexikanischen Grenzstadt Mexicali, ist sie auch geboren. Cervantes hat bei so ziemlich jeder namhaften Zeitung des Landes gearbeitet: Reforma, El Economista, La Jornada, El Universal, Proceso. Cervantes hat Drohungen und Verfolgung durch einflussreiche Politiker überlebt. Sie widmet sich Themen, die den Mächtigen unbequem sind. 2012 gewann sie den Walter-Reuter-Journalistenpreis für ihre Reportage über den polemischen "Fall Monex".  (mo)

Aber die Tatsache, dass diese Zentralisierung jetzt nicht mehr existiert, trug sicher auch etwas Positives zum Journalismus bei.

Auf jeden Fall. Zum einen fokussieren sich die Leser jetzt nicht mehr bloß auf das, was in der Hauptstadt passiert. Zum anderen gibt es mehr Möglichkeiten, Journalismus überall zu betreiben. Ich musste damals aus dem Bundesstaat Baja California in die Hauptstadt emigrieren. Es gab bei uns im Norden lediglich "offiziellen" Journalismus, das hieß, wohlwollend über die jeweilige Landesregierung zu schreiben. Das wurde gut bezahlt. Wer kritischen und unabhängigen Journalismus machen wollte, der musste alles selbst machen, eine eigene Zeitung. Da blieb eigentlich nur die Migration in die Hauptstadt.

Die Medienschaffenden, die am häufigsten umgebracht werden, sind genau die in den Bundesstaaten oder in den Gemeinden. Manchmal sind sie sogar ziemlich unbekannt. Es trifft fast nie die reichweitenstarken Hauptstadtjournalisten. Warum?

Es gibt zwei Arten der Gewalt gegen Journalisten hier in Mexiko. Eine Form ist die, die von den Politikern ausgeht. Ich erwähnte gerade das Kazikentum in den Staaten, in der Provinz. Wer sich anmaßt, über den lokalen Kaziken zu schreiben, der wird häufig bedroht. Wie im Falle von Regina Martínez. Sie war Reporterin im Bundesstaat Veracruz und meine Kollegin bei der Zeitschrift Proceso. In ihrem Fall kam der Auftrag zu ihrem Mord vom Gouverneur von Veracruz. Ein Typ namens Javier Duarte, der jetzt im Knast sitzt.

Die zweite Form der Gewalt geht von …

… den kriminellen Gruppen aus. Die erste, die der Politiker, hat in Mexiko schon immer existiert. Die zweite, die zugenommen hat und nun dominiert, ist die der organisierten Kriminalität. Ich meine damit zum Beispiel die großen Kartelle, die in den USA etwa von der Drogenvollzugsbehörde DEA identifiziert wurden: etwa das Sinaloa-Kartell oder das Kartell Jalisco Neue Generation. Aber warum gerade die Journalisten in der Provinz und nicht in der Hauptstadt?

Genau das frage ich mich auch. Sie werden sicher eine Antwort darauf haben.

In den Gemeinden der mexikanischen Provinz interessieren sich die Menschen nicht für die Hauptstadtpresse. Sie interessieren sich für ihre Gemeinde. Sie interessieren sich dafür, wer in ihrer Gemeinde Geld stiehlt und was damit gemacht wird. Wenn Sie jetzt einen Bericht veröffentlichen mit handfesten Beweisen, dass ein lokaler Politiker Geld gestohlen hat, dann fängt dieser Lokalpolitiker an, Sie zu drangsalieren, zu verfolgen. Dann entsteht Gewalt. Das ist die erste Form der Gewalt gegen Journalisten, die ich erwähnte. Auch bei der zweiten Form, die von den kriminellen Gruppen ausgeht, sind Regionaljournalisten gefährdeter.

Wieso?

Weil diese Zonen meistens auch die Regionen sind, in denen die Drogen der Kartelle entweder angebaut, produziert oder Richtung USA transportiert werden. Mexiko ist ein riesiges Land. Vor allem im Vergleich mit Deutschland. Es ist immer schwierig, ein derart großes Land unter Kontrolle zu bekommen. Zudem schicken die großen Sender ja keine Reporter aus der Hauptstadt – sie greifen in ihrem Netzwerk auf Landeskorrespondenten vor Ort zurück. Wenn die dann über die Narcos [Drogenkriminelle, Mitglieder krimineller Gruppen, Anm. d. Red.] berichten, wen greifen die Narcos dann an? Natürlich den Korrespondenten vor Ort.

Verantwortlich für den Mord an ihrer Kollegin Regina Martínez war Ex-Gouverneur Javier Duarte, ein hochrangiger Repräsentant des Staates. Ist der Staat zumeist Täter?

Man muss definieren, was mit Staat genau gemeint ist. In Mexiko haben wir drei staatliche Ebenen: die nationale, an deren Spitze der Präsident steht; die Landesebene, die vom jeweiligen Gouverneur repräsentiert wird, und die lokale Ebene mit ihren Behörden vor Ort. Wenn jemand behauptet, die Aggressionen kommen direkt aus dem Präsidentenpalast, wäre ich damit nicht einverstanden. Wenn der Staat verantwortlich ist, dann als geistiger Urheber. Behörden beauftragen oder arbeiten in solchen Fällen meist mit Kriminellen zusammen.

Gefährlicher ist es nur im Krieg

Mexiko ist laut Reporter ohne Grenzen das gefährlichste Land für Journalist:innen, das nicht als aktives Kriegsgebiet definiert wird. Das CPJ (Commitee to Protect Journalists) sieht Mexiko als gefährlichstes Land der westlichen Hemisphäre für Journalist:innen. Seit 1992 dokumentiert das CPJ ausführlich alle Morde an Berichterstatter:innen – alleine seit dem Jahr 2000 wurden in Mexiko 141 Medienschaffende getötet. Seit 2012 existiert ein staatliches Schutzprogramm. Geholfen hat die Maßnahme kaum.  (mo)

Die schmutzige Arbeit wird outgesourct.

Es ist unglaublich schwierig, die geistige Urheberschaft zu beweisen. Man wird wahrscheinlich nie Tonaufnahmen in die Hände kriegen, auf denen ein ranghoher Politiker im Gespräch mit dem Auftragsmörder zu hören ist, während der ihm sagt: "Töte bitte diese Journalistin".

Das Mandat des amtierenden Präsidenten Andrés Manuel López Obrador (AMLO) neigt sich dem Ende zu. Er führte die sogenannten "mañaneras" ein, morgendliche Pressekonferenzen inklusive Fragerunde für Journalist:innen. Das war ein absolutes Novum. Doch er nutzt die Konferenzen auch gerne als Plattform, um Medien zu kritisieren, die ihm nicht in den Kram passen.

Es steht dem Präsidenten nicht zu, ein Urteil darüber zu fällen, welcher Journalist einen guten und wer einen schlechten Job macht. Das gehört nicht zu seiner Funktion als Präsident.

Aber er macht es dennoch gerne.

Ja, er macht es gerne – sollte das aber nicht tun. Denn er hat viele Menschen, die ihm folgen, viele haben ihn gewählt. Er ist beliebt. Wenn AMLO sagt, dass der Journalist Max Mustermann ein schlechter Journalist ist und ihn angreift, bringt dass den Journalisten Mustermann in Gefahr. Damit bin ich nicht einverstanden. Bei den morgendlichen Pressekonferenzen kommen zudem gerne mal die zu Wort, die gut über die Regierung des Präsidenten sprechen.

Klingt nach einem wenig demokratischen Auswahlprozess. Die Hoffnung zu Beginn seiner Amtszeit war groß: darauf, dass sich der Umgang mit Journalist:innen bessert.

Früher gab es überhaupt keine Interviews mit dem mexikanischen Staatschef. Gar keine Möglichkeit, Fragen zu stellen. Alles war hermetisch abgeriegelt, ein militärischer Generalstab kümmerte sich darum, dass niemand dem Präsidenten auch nur nahekam.

Also zumindest eine kleine demokratische Reform.

Nicht nur das. López Obrador ist auch ein gewiefter Stratege, wenn es um Kommunikation geht – er ist der erste, der die Macht der Sozialen Medien wirklich nutzt. Er spricht die Menschen Mexikos auf sozialen Plattformen direkt an, womit er den Umweg über die Medien gar nicht benötigt.

Wie lange sind Sie bereits Journalistin?

Seit rund 35 Jahren.

Sie wirken noch ziemlich fit. Vor allem, wenn man an all des Stresses und die konstante Angst denkt, die diese Arbeit hier mit sich bringt.

Alles hat seinen Preis. Ich habe Krebs bekommen. Brustkrebs. Ich bin mehrfach im Krankenhaus gelandet. Mir musste der Blinddarm entfernt werden. Eine ganze Reihe an Krankheiten. Alles wegen dem Stress. Ich habe auch Kokain konsumiert, jahrelang.

Sie haben gekokst?

Klar. Als der zapatistische Aufstand in Chiapas 1994 losging, war ich knapp ein halbes Jahr dort. Wunderbares Koks damals, quasi ungeschnitten.

Im Januar damals, als alles begann?

Ja. Für die Zeitung Reforma, als die gerade entstand. Wir sind damals in den frühen Morgenstunden losgegangen, um die Zapatisten zu suchen. Wir wussten nicht, wo wir sie finden würden. Wir sind einfach rein in den Urwald von Chiapas in der Hoffnung, mit Glück den Subcomandante Marcos zu treffen. Um zwei Uhr morgens dachte ich mir irgendwann: Mein Gott, wie halten die nur alle durch? Und naja, der Trick war eben: koksen. Um mehr Zeit zu haben, zu schreiben, mehr Energie für die Recherche zu haben.

Alles für den Job.

Alles für den Job. Was für ein Schwachsinn. Alles wegen des Egos. Journalisten und ihr riesiges Ego.

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1 Kommentar verfügbar

  • Philippe Ressing
    vor 2 Wochen
    Antworten
    Eine Mutige und clevere Journalistin - ob man bei uns viele von Ihrer Sorte findet.....? Chapeau
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