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Baden-Württemberg besucht Burundi

Vesperbrettle in der Kaffee-Plantage

Baden-Württemberg besucht Burundi: Vesperbrettle in der Kaffee-Plantage
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Erstmals seit 2014 reiste wieder eine offizielle politische Delegation des Landes nach Burundi. Das Netzwerk zwischen Baden-Württemberg und dem ostafrikanischen Kleinstaat soll wieder intensiviert werden.

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Der ostafrikanische Binnenstaat Burundi, nahe dem Äquator gelegen, ist eines der kleinsten – und zugleich ärmsten – Länder in Afrika. Auf einer Fläche von 27.800 Quadratkilometern leben derzeit rund 12,5 Millionen Einwohner:innen in dem Land, das wegen der Hochebenen und der grünen Landschaft manche als "die Schweiz Ostafrikas" bezeichnen. Die Bevölkerung wächst rapide und ist entsprechend jung: Der Altersdurchschnitt liegt bei 17,7 Jahren, die Jugendarbeitslosigkeit ist weit überdurchschnittlich hoch. Größte Stadt (rund 500.000 Einwohner:innen) und wirtschaftliches Zentrum ist Bujumbura, das an den Tanganyikasee grenzt. Seit 2020 gibt es Bemühungen zur Etablierung einer neuen politischen Hauptstadt, Gitega, der ehemaligen Königsstadt. Wichtigste Sprache ist Kirundi, ein kleiner Teil der Bevölkerung spricht auch Französisch. 90 bis 95 Prozent der Bevölkerung leben von oder mit der Landwirtschaft (Subsistenz-Wirtschaft). Einer der Hauptexportartikel ist Kaffee. Politisch ist Burundi, auch mit den seit 2005 wiederholt abgehaltenen Wahlen, ein autokratisch geführter quasi Einparteienstaat.  (sj)

Die Szenerie hat etwas Operettenhaftes, von der Symbolik her Überladenes. In einem offenen Militärparadewagen fährt der Staatspräsident Evariste Ndayishimiye in das Stadion von Gitega ein und umrundet zwei Mal das Rasenfeld. Es ist der Tag der Feiern zum 61. Jahrestag der Unabhängigkeit Burundis von den Kolonialmächten. Der 55-Jährige läuft im Anschluss zu Fuß durch die Reihen des martialisch auftretenden burundischen Militärs.

Im Stadion von Gitega, das 2020 zur politischen Hauptstadt von Burundi wurde, spricht der Staatspräsident das Thema Korruption an, nennt deren Bekämpfung als wichtiges Ziel. Es ist in dem ostafrikanischen Kleinstaat, der seit fast vier Jahrzehnten partnerschaftliche Beziehungen zu Baden-Württemberg pflegt, eines der drängendsten Probleme. Ndayishimiye, der seit Juli 2020 formal im Amt ist, will sich um alle Bürger:innen kümmern und "wie ein Vater der Burunder regieren", sagt er. Dann zeichnet er beispielhaft einen Offizier aus, der den Skandal mit überhöhten Tankabrechnungen bei der burundischen Polizei aufdeckte.

Der Staatspräsident redet volksnah, gilt als einer der wenigen, die sich nicht selbst die Taschen vollstopfen. Der Ex-General beschwört die Einigkeit des Landes: Es gebe keine Hutus, keine Tutsis – das Land sei für alle Burunder da. Der ostafrikanische Staat litt lange Zeit unter ähnlichen ethnischen Konflikten wie das Nachbarland Ruanda.

Seit 2021 herrscht bei den Kontakten wieder Tauwetter

Es sind Signale, die auch die Besucher aus Baden-Württemberg hoffnungsfroh stimmen. Eine 14-köpfige Delegation unter der Leitung von Staatssekretär Rudi Hoogvliet (Grüne) wird im Stadion ausdrücklich begrüßt in der Ansprache des Staatspräsidenten; als einzige in einer Reihe von Botschaftsvertretern und Diplomaten. Die Besucher aus dem Südwesten Deutschlands sind gern gesehen. 2014 schon sollten mit einem neuen Partnerschaftsabkommen die Beziehungen verfestigt werden. Die Kontakte waren seit 2015 aufgrund der politisch unsicheren Situation eingefroren; seit 2021 herrscht nun wieder "Tauwetter". Es ist die erste offizielle politische Reise seit Langem, die Hoogvliet anführt. Mit dabei sind zwei Abgeordnete des Landtags, Vertreter der Kirchen und Hochschulen, der Wirtschaft und Kommunen sowie der landeseigenen Stiftung Entwicklungs-Zusammenarbeit (SEZ).

Knapp 40 Jahre Partnerschaft

Seit 1984 bestehen offizielle partnerschaftliche Beziehungen zwischen Burundi und Baden-Württemberg, die mehrfach wegen Bürgerkrieg und politischen Krisensituationen für längere Phasen unterbrochen waren, während die Kontakte auf privater, zivilgesellschaftlicher oder kirchlicher Ebene oftmals weiterliefen. In dem Land bestanden vergleichbare ethnische Konflikte wie im benachbarten Ruanda. Offizielle politische Delegationsbesuche gab es zuletzt 2014 und lange davor zu Beginn der 1990er-Jahre. 2015 und 2022 waren einzelne Parlamentarier vor Ort. Mit dem aktuellen Koalitionsvertrag von 2021 hat sich die grün-schwarze Landesregierung vorgenommen, die Kontakte zu vertiefen. "Mittlerweile hat sich die politische Lage deutlich verbessert und das kleine Land wurde von den Sanktionslisten gestrichen", heißt es in einer Pressemitteilung des Staatsministeriums. Dabei setzen Stuttgart und die Bundesregierung in Berlin unterschiedliche Akzente. Auf der Homepage des Auswärtigen Amtes heißt es zur innenpolitischen Situation in Burundi: "Der Aktionsspielraum von Medien, regierungskritischer zivilgesellschaftlicher Kräfte und der politischen Opposition ist stark eingeschränkt. Von schweren Menschenrechtsverletzungen wie Folter, Mord und Verschwindenlassen wird immer wieder berichtet."  (sj)

Es sind vielfältige Einblicke, die die Gruppe in einem dicht vollgepackten Programm während der sechstägigen Reise bekommt – etwa beim Besuch einer Doktorandenschule an der Universität in Bujumbura oder dem 2018 etablierten Deutschzentrum. Letzteres soll mit dem Erlernen der Sprache die Kontakte vertiefen und wird dabei maßgeblich unterstützt von der SEZ. "Sprache ist die Grundlage der Partnerschaft und auch für eine gelingende Demokratie", sagt Hoogvliet vor Absolventen der Deutschkurse. In Bujumbura wird auch die 1999 von einer Deutschen gegründete Hilfsorganisation "Fondation Stamm" besucht, deren Primarschule und Krankenhaus besichtigt. Sehr weit gediehen sind zudem Gespräche der Verwaltungshochschule Kehl zur Etablierung einer Verwaltungsausbildung an der Universität in Bujumbura.

Der burundische Vize-Außenminister Ferdinand Bashikako beschwört das Bestreben seines Landes, sich "ein neues Image" verpassen zu wollen. Stabilität werde großgeschrieben, sagt er, auch mit Blick auf die weitere Zusammenarbeit. Bashikako wünscht sich von Gesprächspartner Hoogvliet, dieser möge sich bei der Bundesregierung in Berlin "für mehr Gehör einsetzen". Noch die schwarz-rote Vorgänger-Koalition im Bund hatte 2015 die bilaterale Zusammenarbeit mit Burundi auf Eis gelegt. 2020, unter Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU), wurde zudem beschlossen, die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) abzuziehen. Diese löst aktuell ihre Büroräume in Bujumbura auf, bis zu 42 Mitarbeiter:innen waren hier seit 1975 tätig. Während gleichzeitig Baden-Württemberg die Kontakte intensivieren möchte – auf sozialer, wirtschaftlicher und zivilgesellschaftlicher Ebene.

Burundis Bio-Kaffee im Weltladen

Zum Programm gehört auch ein Treffen mit Burundis Landwirtschafts- und Umweltminister Sanctus Niragira. Der ehemalige Rektor der "Université du Burundi", erst seit wenigen Monaten im Amt, ist einer der ersten Politiker, die nicht Ex-Militär sind oder aus der Rebellenbewegung der Bürgerkriegszeit kommen. Im Gespräch mit ihm werden bestehende Kontakte zu den Hochschulen Rottenburg und Hohenheim angesprochen, besonders aber Agro-Forst-Projekte, eine Art Mischkulturanbau, die vom Land Baden-Württemberg auch finanziell gefördert werden. Angewandt werden sie etwa bei Kaffeeplantagen, um die Erosion der Landschaft zu verhindern und zugleich die Erträge zu verbessern.

Bei einem Besuch von zwei Kaffee-Kooperativen in der Hochebene von Gitega, etwa 100 Kilometer östlich von der früheren Hauptstadt Bujumbura, erläutern Weltpartner-Geschäftsführer Thomas Hoyer und Kaffeebauer Melance Hakizimana die Vorzüge der Anbaumethode. In drei benachbarten Dörfern auf der Hochebene haben sich etwa 1.260 Kleinbauern zusammengeschlossen, mehr als 300 von ihnen produzieren Bio-Kaffee nach Richtlinien von "Naturland", und die Zahl der Bio-Produzenten wächst beständig. Der Kaffee wird seit 2014, mit Hilfe der SEZ und des Landes, in mittlerweile 200 Weltläden im Südwesten als "Café du Burundi" vertrieben, Kooperationspartner ist die Faire-Trade-Gesellschaft "Weltpartner" in Ravensburg. Die Arabica-Kaffeebohnen wurden zum wichtigen Symbol der Länderpartnerschaft. Zum Abschied erhält Kaffeebauer Melance von den Besuchern ein Vesperbrettle mit der Aufschrift "The Länd". Ob er mit dem Schriftzug etwas anfangen kann? Vermutlich nicht. Trotzdem hält er breit lächelnd das Geschenk in die Kamera.

Menschenrechte und Pressefreiheit: Lage ist schwierig

Solch hoffnungsvolle Entwicklungen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass innenpolitisch in Burundi noch längst nicht eitel Sonnenschein herrscht. Denn trotz aller Beteuerungen der Minister, die zu Gesprächen empfangen, und des burundischen Staatspräsidenten: In dem autokratisch regierten Land mit einem quasi Einparteienstaat – dominiert von der einstigen "Rebellenpartei" CNDD-FDD – agiert die Regierung kritisch bis feindlich gegenüber Presse und Zivilgesellschaft. "Wir haben eine Mafia im Finanzsektor", sagt ein Menschenrechtsaktivist bei einem Treffen mit der Delegation aus Baden-Württemberg. Es scheine so, als ob der Staatspräsident eine Vision habe, aber das müsse sich noch in den Taten zeigen. "Die regierende Partei steht unter dem Einfluss des Militärs", sagt ein anderer. Auch die burundischen Kommunen können nicht unabhängig agieren. Das lässt Fragen offen, ob eine kommunale Zusammenarbeit – etwa mit Städtepartnerschaften – möglich sein könnte.

Bei einem Akteurstreffen, das von der gut vernetzten Stiftung SEZ organisiert ist, gibt es auch Gespräche mit Journalistinnen und Journalisten. Eine junge Radioreporterin berichtet, sie sei vor wenigen Wochen aus dreijähriger Haft entlassen worden und versuche jetzt "wieder ins normale Leben zurückzufinden". Auch ein Mitarbeiter der einzigen regierungskritischen Wochenzeitung "IWACU", der zugleich für "Reporter ohne Grenzen" arbeitet, sitzt mit am Tisch des Akteurstreffen. Seit 2016 ist ein Redakteur von "IWACU" verschwunden – vermutlich ist er ermordet und irgendwo verscharrt worden –, mehrere andere Journalist:innen sind in den vergangenen Jahren verhaftet und zu teils mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Der Gründer von "IWACU", Antoine Kaburahe, ging 2015 ins belgische Exil, ebenso wie der Anfang 2015 zeitweilig inhaftierte populäre Rundfunkjournalist Bob Rugurika – beide sind bislang nicht zurückgekehrt nach Burundi.

Infolge der politischen Krise 2015, in der es um die Auseinandersetzung um eine – laut Verfassung – nicht erlaubte dritte Wiederwahl des Staatspräsidenten Pierre Nkurunziza ging, waren nach Angaben der Deutschen Botschaft in Bujumbura insgesamt etwa 1.200 Menschen getötet worden und rund 500.000 Burunder:innen in die Nachbarländer Kongo, Ruanda und Tansania geflohen. Nkurunziza, im Amt seit 2005 und im Juni 2020 (mutmaßlich an einer Corona-Infektion) gestorben, hat aus seiner Amtszeit eine bewaffnete Miliz aus ehemaligen "Rebellen" hinterlassen, die "Imbonerakure", die nicht in das zivile Leben integriert sind. Bis zu 10.000 militante "Imbonerakure" sorgen weiter für Angst in der Bevölkerung – noch heute verschwinden immer wieder Menschen. Und dennoch liegen viele Hoffnungen auf dem jetzigen Staatspräsidenten Ndayishimiye, dem Ex-General, der schon zusammen mit Nkurunziza im Bürgerkrieg kämpfte.

Hoogvliets Grußwort wird landesweit übertragen

Und doch will Staatssekretär Rudi Hoogvliet mit der Reise in eines der ärmsten Länder der Welt "eine gute, faire Partnerschaft auf Augenhöhe" neu anstoßen. Das ist auch Ziel des baden-württembergischen Koalitionsvertrages von 2021, der Landtag debattierte zuletzt im Mai über das Thema. Die Landesregierung setze sich auch "beim Bundesentwicklungsministerium für unser Partnerland Burundi ein", sagt Hoogvliet. Man wolle zudem die spezifischen Stärken eines Bundeslandes ausspielen: "die Verknüpfung und Unterstützung verschiedener zivilgesellschaftlicher Akteure und der Universitäten", wie er es nennt.

Ähnlich äußern sich die beiden Landtagsabgeordneten der Delegation, Sebastian Cuny (SPD) und Stefan Teufel (CDU). Die Partnerschaft werde geprägt "vom direkten Miteinander der handelnden Menschen aus Zivilgesellschaft, Kirchen und Organisationen", sagt Cuny. Die staatlichen Ebenen seien "keine unmittelbar Handelnden der Partnerschaft". Die deutsche "Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit" (GIZ) spielt da offenbar weniger eine Rolle. Teufel wünscht sich dagegen, "die GIZ sollte sich in Burundi wieder vollständig engagieren". Gleichzeitig lobt er das Engagement der landeseigenen SEZ "als beispielhaft".

Die SEZ setzte in Bujumbura, dem wirtschaftlichen Zentrum und der früheren Hauptstadt des Landes, in dem sich auch weiterhin die Ministerien befinden, als Höhepunkt der Reise ein besonderes Zeichen: Im Beisein der Delegation aus Baden-Württemberg und des burundischen Vize-Außenministers Ferdinand Bashikako wurde ein mit zwei Mitarbeiterinnen permanent besetztes Verbindungsbüro der Stiftung eröffnet. Das Büro solle, so heißt es, eine vertiefte Zusammenarbeit im Land selber ermöglichen und auch mit jenen Burunderinnen und Burundern, die sich in Baden-Württemberg engagieren. Die Pläne dafür wurden lange gehegt, waren aber erst nach 2021 wieder konkret denkbar.

Aber wohl niemals zuvor hat die Partnerschaft zwischen Baden-Württemberg und Burundi eine derart große Präsenz in Ostafrika wie bei den Feiern zum 61. Jahrestag der Unabhängigkeit im Stadion von Gitega: Von Staatspräsident Ndayishimiye wird Staatssekretär Hoogvliet spontan für ein Grußwort unter den "Baldachin" des Redners auf das Rasenfeld gebeten. Hoogvliet bezeichnet die Partnerschaft vor etwa 18.000 Zuhörern im Stadion "als eine der ältesten zwischen Deutschland und Afrika". Seine von einer Dolmetscherin ins Französische übersetzten Worte gehen live über die burundischen Radio-Sender und das staatliche Fernsehen an Hunderttausende Zuhörer im ganzen Land. Fotos von seinem Auftritt kursieren derweil online und auf Twitter in ganz Ostafrika. Über mangelnde öffentliche Präsenz kann sich der Besuch aus dem Südwesten jedenfalls nicht beschweren.


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