KONTEXT:Wochenzeitung
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Mit Che am Tresen

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Ein CDU-OB rettet eine linke Kneipe in Ravensburg. Ein ehemaliger Pfarrer würde dort gerne mit Che Guevara und Jesus trinken und in den Bundestag einziehen. Als unabhängiger Linker. Oberschwaben ist auch nicht mehr das, was es einmal war.

Che Guevara steht am Tresen, trinkt sein Weizenbier, und Jesus auch. Beide, der Revolutionär und der "erste Kommunist", singen den Räuberhöhlen-Blues, zusammen mit ihm. Stefan Weinert ist begeistert. Ja, das wäre eine coole Nummer. Und damit der Besucher einen Eindruck davon hat, wie das klingen könnte, bekommt er gleich eine Kostprobe zu hören. "Wenn du die Freiheit liebst, dann tu's, sing mit mir den Räuberhöhlen-Blues", trägt Weinert vor, der Hannes Wader zuneigt. Danach ist man überzeugt, dass es in Oberschwaben anders zugehen würde, wenn der Mann mit der Gitarre sein Ziel erreichen würde: den Bundestag. "Wenn du auf den Mount Everest willst", sagt er, "dann peile den Mond an".

Das ist ein langer Weg. Der 66-jährige Rentner, der früher Finanzbeamter, dann Pfarrer und Sozialarbeiter war, tritt als Unabhängiger im Wahlkreis Ravensburg an, was dort genau so aussichtslos ist wie anderswo, aber irgendwie passt es auch. Südlich von Ulm bis hinunter zum See wimmelt es von Querköpfen, die keine Lust auf CDU, Kirche und Adel haben, lieber Paradiesvögel sind. Solche wie er eben. Bunt und frei. Mit der Kirche hat er's nicht mehr, mit den Parteien auch nicht, bei der SPD war er schon, bei der Linken ebenso. Sie beförderten nur die Verdrossenheit, sagt er. Bei ihm und den anderen.

An Laternenpfählen klebt er schon – als Boxer

Deshalb fährt er die Solotour, die bereits an den Laternenpfählen klebt. Der Kandidat als Faustkämpfer. "Ich boxe Sie raus", steht über seinem Foto. Das erstaunt, wenn man ihn auf dem Sofa sieht, mit der Klampfe, den grauen langen Haaren, dem Vollbart und den Küken auf den Kissen. Der kann doch keine Fliege klatschen. Seine Botschaft richtet sich erstrangig an die bedürftigen Leute, die es in Oberschwaben auch gibt. Das sind natürlich mehr als jene fünf, die in seine erste Wahlveranstaltung gekommen sind. Aber es gilt: sich nicht unterkriegen lassen. "Die Wahrheit teilt ihr Schicksal mit der Einsamkeit", schreibt er zum Ravensburger Rutensonntag, dem kollektiven Gelage.

Das findet selbstverständlich auch in der Räuberhöhle statt, wo Weinert gerne Che und Jesus treffen würde, und von der die Betreiber glauben, sie sei so systemrelevant wie die Deutsche Bank. Nun kriegen die schon einiges hin, die Frauen und Männer um den Vereinsvorsitzenden Made Höld, aber noch reicht das Netzwerk nicht ins Jenseits. Der grüne Minister Manfred Lucha, der früher mal in der Kneipe gejobbt hat, Gast geblieben ist und das Lokal zum Weltkulturerbe erklären will, muss reichen. Ebenso der schwarze Oberbürgermeister der Stadt, Daniel Rapp, der sich stolz ein Hemd der Spaßguerilla ("Jeder Mensch braucht eine Höhle") überstreift und sich als Retter feiern lässt. Doch dazu später.

Zurück zu Stefan Weinert. Der Mann meint es ernst mit seiner Mission zugunsten der Randgruppen in der Gesellschaft, den Abgehängten und Vergessenen, ob mit oder ohne Migrationshintergrund. Jeder müsse bekommen, was er für ein menschenwürdiges Leben brauche, sagt er. Also weg mit Hartz IV. Lange genug hat er im Landratsamt als Sozialarbeiter geschafft, um zu wissen, dass Oberschwaben nicht das barocke Himmelreich ist, das der frühere Landrat Widmaier ("König Kurt") stets gepriesen hat. Hier gibt's die Tafel ebenso wie den Obdachlosentreff, die Drogis und Messies wie die Oma, die ihr Heizöl nicht bezahlen kann. Nur in der Summe vielleicht nicht so viele. Schönredner nennt er Politiker, die ihren Wählern das Blaue vom Himmel runter beten. Er will der Menschen Nachbar sein, ganz bodennah, was ihm bei seiner Biographie und den jetzigen Lebensumständen nicht schwer fällt. Drei kleine Zimmer unterm Dach, 1200 Euro Rente, kein Auto. 220 Unterstützer hat er in kürzester Zeit gefunden, um kandidieren zu können.

Etliche davon dürften dem Verein "Freunde der Räuberhöhle 2012" entstammen, der sich vor fünf Jahren gegründet hat, um die echten Räuber zu bekämpfen. Jene von der Kapitalfront, die sie beim Bürgerlichen Brauhaus Ravensburg vermuten. Das ist der Eigentümer der Kneipe. Klar, dass die Brauerei das verratzte Gasthaus in bester Lage einem profitableren Zweck zuführen wollte. Ein schickes Hotel sollte es werden. Nur, so einfach war das nicht, weil sich die 800 Freunde um Made Höld mit immer neuen Aktionen querlegten. Wenn's sein musste mit erfundenen Fledermäusen im Gewölbekeller, mit einem Mülleimerrennen vor der Haustür, dem Kauf von Brauhaus-Aktien, oder dem Angebot, <link https: www.kontextwochenzeitung.de gesellschaft wir-nehmen-ihn-1293.html _blank external-link>Edward Snowden in der Kultkneipe Asyl zu gewähren. Das öffentliche Echo, selbst von der "Schwäbischen Zeitung", dem Monopolisten vor Ort, wohlwollend verstärkt, ist bis in die Brauerei und ins Rathaus vorgedrungen.

Als Retter der Räuberhöhle ist der OB der Held

Und dort sitzt in Daniel Rapp ein Schultes, der zu den weichen Standortfaktoren wohl auch eine Kultkneipe wie die Räuberhöhle zählt. Ihm ist es jetzt tatsächlich gelungen, den Brauern ein Ersatzobjekt anzubieten, wo sie ihr 120-Zimmer-Hotel bauen können. Made Höld, der oberschwäbische Spitzenspaßguerillero, bescheinigt Rapp gar ein "geniales Verhandlungsgeschick", und grinst dabei, wie er immer grinst, wenn ihm wieder ein Coup gelungen ist. (Wie jüngst, als er es hingekriegt hat, die Höhle auf einer österreichischen Briefmarke zu verewigen). Der OB gilt fürderhin als der Retter der Räuberhöhle – das macht sich gut. Insbesondere dann, wenn die Wiederwahl im nächsten Jahr ansteht und sich ein Tor zu einer Wählerschicht auftut, die normalerweise nicht der CDU nahesteht. Man schaue sich nur den Oberbürgermeister in der Feiertruppe vor der Räuberhöhle an, die Daumen oben und in ein T-Shirt gewandet, das er während des Rutenfestes nicht mehr ausziehen mochte. So sehen Helden aus.

Stefan Weinert (<link https: www.abgeordnetenwatch.de profile stefan-weinert _blank external-link>mehr hier) hat nicht mitgefeiert. Er traut den Brüdern und Schwestern aus dem Politikbetrieb nicht, glaubt noch nicht an die finale Rettung der alternativen Schankstätte, warnt Höld vor einer "Traumwelt", und der kontert seinerseits, es könne auch passieren, dass ein "Komet auf die Höhle" falle. Weinert erzählt von seinem Sohn Frederik, der 2006 bei der Landtagswahl als Unabhängiger kandidiert und 0,7 Prozent erreicht hat. Heftig angefeindet vom roten und grünen Establishment, das um die (wenigen) Stimmen fürchtete.

Höld berichtet von seinem Wahlkampf für den Bundestag anno 2005, ebenfalls als Autonomer. Er ist damals gegen Oswald Metzger ins Feld gezogen, nur um ihn zu ärgern, den Grünen, der später bei der CDU landete. Am besten hat ihm der Kreuzlesfang am Baggersee Grenis bei Amtzell gefallen, am FKK-Strand. Als nackter Kandidat, erinnert er sich, habe er mindestens drei Stimmen aus diesem Beritt erhalten. Von den bürgerlichen Parteien habe sich da keiner hin getraut.


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3 Kommentare verfügbar

  • Thomas Albert
    am 29.07.2017
    Antworten
    Finanzbeamter, Pfarrer und Sozialarbeiter? Schlimmer geht es nicht mehr oder?
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