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Antifaschismus

Selbstverständlich kein Verbrechen

Antifaschismus: Selbstverständlich kein Verbrechen
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Nicht einmal der Ku-Klux-Klan gilt in den USA als inländische Terrororganisation – "die Antifa" hingegen schon. Der Mannheimer Historiker Richard Rohrmoser, der die Geschichte der Bewegung erforscht, sieht darin ein Einfallstor für Unterdrückung von Oppositionellen aller Couleur.

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Es kam nicht überraschend, dass Donald Trump im September 2025 die antifaschistische Bewegung per Präsidialdekret als "Domestic Terrorist Organization", also als inländische Terrororganisation einstufen ließ. Bereits im Frühjahr 2020, als nach der Tötung von George Floyd durch einen weißen Polizisten viele Millionen Menschen weltweit gegen Rassismus und Polizeigewalt demonstrierten, kündigte der US-Präsident diesen Schritt an. Damals wie heute ist dieses Ansinnen in doppelter Hinsicht absurd: Zum einen ist "die Antifa" ein heterogenes und loses Netzwerk von Gruppen und Einzelpersonen, die sich gegen Faschismus, Rassismus, Rechtsextremismus und autoritäre Aktivitäten und Strukturen einsetzen. Die antifaschistische Bewegung basiert auf einer Idee und ist kein eingetragener Verein, erst recht kein Bundesverband; sie hat daher keine Anschrift, kein Büro, keine Finanzstrukturen und keine offiziellen Sprecher:innen. Zum anderen existiert die Kategorie "inländische Terrororganisation" weder bei der Bundespolizei FBI noch beim US-Heimatschutzministerium. Noch nicht einmal der nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg im Jahr 1865 entstandene militant-rassistische Geheimbund Ku-Klux-Klan (KKK) wird demnach als "inländische Terrororganisation" bewertet.

Richard Rohrmoser, Jahrgang 1987, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Zeitgeschichte der Universität Mannheim. Er hat über zivilen Ungehorsam gegen die nukleare Aufrüstung in Mutlangen promoviert. 2022 veröffentlichte er sein Buch "Antifa. Porträt einer linksradikalen Bewegung von den 1920er-Jahren bis heute" im Verlag C.H. Beck. Es war die erste Publikation über die historische Entwicklung der Bewegung, die wissenschaftlichen Standards gerecht wird.  (ks)

Insofern könnte Trumps Präsidialdekret auf den ersten Blick als ein weiteres Beispiel seiner großspurigen Symbolpolitik betrachtet werden. Tatsächlich stellt diese Politikentscheidung jedoch ein Symptom der akuten Demokratiebedrohung dar. Sie hat das Potenzial zur umfassendsten autoritären Attacke auf das politisch linke Lager in den USA seit der McCarthy-Ära in den 1950er-Jahren. In dem Dekret ist die Rede von einem "Muster politischer Gewalt", das sich zum Ziel setzt, "rechtmäßige politische Aktivitäten zu unterdrücken und die Rechtsstaatlichkeit zu behindern", weshalb ihre Geldgeber:innen zur Verantwortung gezogen werden müssen. Die extrem rechte Aktivistin und Influencerin Laura Loomer bezeichnete die politische Linke in diesem Zusammenhang als "nationales Sicherheitsrisiko" und Trumps stellvertretender Stabschef, Stephen Miller, befeuerte das Klima noch weiter, indem er auf X schrieb: "In den vergangenen Tagen haben wir gelernt, wie viele Amerikaner in einflussreichen Positionen – Sozialarbeiter, Justizangestellte, Krankenschwester und -pfleger, Lehrer, Regierungsangestellte, sogar Leute im Verteidigungsministerium – tief und gewaltsam radikalisiert wurden."

Auch Ungarn und die Niederlande wollen Antifa-Verbot

Konkret bedeutet Trumps Einstufung der antifaschistischen Bewegung als Terrororganisation zwar keine neuen Befugnisse oder Kompetenzen für die Polizei, allerdings soll sich diese stärker dazu aufgefordert sehen, gegen Antifa-Aktivist:innen vorzugehen. Eine Gruppe von linken Demonstrant:innen, von denen Einzelpersonen beispielsweise ein T-Shirt oder einen Kapuzenpullover mit dem Logo der Antifa-Bewegung – eine nach links wehende schwarz-rote Doppelfahne umrundet von einem roten Rettungsring – tragen, könnte somit unter dem Generalverdacht des Terrorismus fallen. Eine derartig behauptete diffuse Bedrohungslage stellt wiederum ein Einfallstor für autoritäre Reaktionen und Unterdrückungsmechanismen gegen Oppositionelle aller Couleur dar. Insofern verwundert es kaum, dass kurze Zeit nach Trumps Einstufung der antifaschistischen Bewegung als Terrororganisation der illiberale Ministerpräsident Ungarns, Viktor Orban (FIDESZ-Partei), sich dieser Einschätzung per Dekret anschloss. Zuvor hatte bereits der Rechtspopulist Geert Wilders beim niederländischen Parlament einen Antrag zur Prüfung eines Antifa-Verbotes eingereicht, dem eine Mehrheit von insgesamt sechs Parteien, darunter die liberal-konservative Regierungspartei VVD, am 18. September zustimmte.

In den USA werden nun bereits Erinnerungen an die traumatische Ära des berüchtigten republikanischen Senators Joseph McCarthy aus Wisconsin wach, der während seiner Amtszeit von 1947 bis 1957 aus Furcht vor den "Roten" ("Red Scare") eine Welle enormer antikommunistischer Hexenjagden, Einschüchterungen und politischer Repressionen losbrach. Dabei hat die Antifa-Bewegung in der US-amerikanischen Geschichte bisher keine sonderlich starke Rolle eingenommen. Entstanden ist die "Antifaschistische Aktion" (kurz: Antifa) in Deutschland in den 1920er-Jahren, als sich KPD, SPD und Gewerkschaften zum Ziel setzten, die Machtübernahme der Nationalsozialisten durch eine breite Einheitsfront noch zu verhindern. Jedoch existierten zu lange zu viele innerlinke Konflikte zwischen diesen Parteien, als dass sie den Machtantritt Hitlers und den daraus resultierenden Zweiten Weltkrieg sowie den singulären Zivilisationsbruch des Holocausts noch verhindern konnten. Nach 1945 etablierten sich zunächst antifaschistische Akteure wie die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) oder der Kommunistische Bund (KB), bevor zu Beginn der 1980er-Jahre die autonomen Antifa-Gruppen in Erscheinung traten. Diese charakterisieren sich seither insbesondere durch ihre Hierarchiekritik, Staatsskepsis und ihre potenzielle Gewaltbereitschaft zur Bekämpfung von Rassismus und Rechtsextremismus.

Nach diesem Vorbild entstand mit dem "Anti Racist Action Network" im Jahr 1987 die erste dokumentierte antifaschistische Gruppe in den USA. Ironischerweise ereignete sich dies ausgerechnet in Minneapolis im Bundesstaat Minnesota, wo George Floyd brutal getötet wurde, die Anti-Rassismus-Proteste des Jahres 2020 ihren Ursprung hatten und Präsident Trump erstmals ein Antifa-Verbot forderte. Nach der Gründung des "Anti Racist Action Network" dauerte es jedoch noch zwei Jahrzehnte, bis mit der 2007 gegründeten "Rose City Antifa" aus Portland (Oregon) die erste autonome linke Gruppe auch die Bezeichnung "Antifa" in ihrem Namen hatte. Die Tatsache, dass autonome antifaschistische Gruppen in den USA erst derart spät entstanden sind, lässt sich zum einen durch eine fehlende Tradition dieser Bewegung auf dem nordamerikanischen Kontinent, zum anderen aber ebenso durch das antikommunistische Klima und die starke Stigmatisierung der radikalen Linken in der McCarthy-Ära erklären.

Antifa-Gruppen als Frühwarnsystem

In Deutschland dagegen hat die antifaschistische Bewegung nicht nur eine lange, sondern eine ebenso konflikt- und krisenreiche Geschichte. Zu den zentralen Reibungspunkten zählt die kontrovers diskutierte Frage, ob der situationsbedingte Einsatz von Gewalt sowohl gegen Sachen als auch gegen den politischen Feind legitim ist, was autonome Gruppen oftmals befürworten. Ebenso intensiv streitet die Szene darüber, inwiefern sie mit bürgerlichen Bündnissen – wie zum Beispiel bei den jährlichen Protesten gegen Rechtsextremismus im Kontext des Gedenkens an die Bombardierung Dresdens – kooperieren soll oder ob dezidiert friedliche Protestaktionen naiv und unwirksam sind. Demnach stellt sich für die antifaschistische Bewegung die Frage, ob staatliche Schritte zur Bekämpfung von Rassismus und Rechtsextremismus begrüßenswert sind oder ob diese nicht eher aktionistischen Symbolpolitik wie die Verbotsversuche der NPD in den Jahren 2003 und 2017 sind.

Bei all diesen Kontroversen und der medialen Fokussierung auf einzelne Gewalttaten wie etwa der Leipziger "Hammerbande" oder den Attacken einiger Linksradikaler auf Rechtsextreme beim Budapester "Tag der Ehre" im Jahr 2023 dürfen die historischen Errungenschaften der Antifa nicht übersehen werden: In der Geschichte der Bundesrepublik hat die antifaschistische Bewegung durch eigeninitiatives Engagement stark zur Bekämpfung von Nationalismus, Rassismus und Rechtsextremismus beigetragen und als normative Korrektivkraft für staatliche Defizite operiert. Oftmals konnte sie als "Frühwarnsystem" rassistische und rechtsextreme Straftaten vereiteln oder nachträglich aufdecken und hat insbesondere im Kontext der pogromartigen Gewaltwelle in den 1990er-Jahren die bürgerliche Zivilgesellschaft für die Notwendigkeit von linker Gegenwehr sensibilisiert. Ebenso hat die antifaschistische Bewegung bedeutsame Leistungen in den Bereichen Aufklärungs-, Bildungs- und Gedenkstättenarbeit erbracht, sodass sie durchaus als eine "soziale Bewegung" als Triebkraft für einen sozialen Wandel bezeichnet werden kann. Bei allen historischen Unterschieden trifft dies sowohl auf die Szene in der Bundesrepublik als auch in den USA zu – ebenso wie der von der deutschen Musikerin und Holocaust-Überlebenden Esther Bejarano stets wiederholte Appell: "Antifaschismus ist eine Selbstverständlichkeit."

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