Baden-Württembergs Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) ist eine entschiedene Anhängerin von Deregulierung. Keine Woche ohne einschlägige Forderungen, mal an die EU, früher offensiv an die Ampelkoalition, jetzt etwas zurückhaltender an die Bundesregierung aus Union und SPD. Immer in eigenem Namen, immer unabgesprochen mit dem grünen Koalitionspartner in Stuttgart. Angeblich geht es der promovierten Diplom-Kauffrau aus der Industriellenfamilie Kraut (Bizerba SE & Co KG, Balingen, 4.500 Beschäftigte, Umsatz 2024/25: 830 Millionen Euro) um Bürokratieabbau und Technologieoffenheit. Tatsächlich aber sollen Standards aller Art gesenkt oder gleich ganz verschrottet werden.
"Wir sollten unseren Unternehmen wieder mehr Vertrauen schenken", verlangt die Ministerin in einer Reaktion auf das geänderte deutsche Lieferkettengesetz. Ihr reicht nicht, dass die Bundesregierung die Berichtspflicht für Firmen gestrichen hat. Sie fordert, auch die Dokumentationspflicht abzuschaffen. Ganz offenbar glaubt sie nicht an die Fähigkeit der Hersteller, bei Einhaltung humanitärer und – eigentlich nicht unerheblich für eine Christdemokratin – auch christlicher Pflichten, wettbewerbsfähig zu bleiben. Vielmehr unterstellt sie, dass "Made in Germany" ohne ausbeuterischen Neokolonialismus nicht funktioniert.
Dabei könnte Hoffmeister Kraut ganz andere Wege gehen und sich auf Produzenten berufen, die ein strenges Lieferkettengesetz befürworten, hierzulande und anderswo in Europa. Genauer gesagt: Sie müsste sogar. Denn nach den Zahlen von Unicef arbeiten weltweit 54 Millionen Kinder, viele auf Kakaoplantagen. "Der Kakao für die bei uns so beliebte Schokolade wird vor allem in Côte d'Ivoire und Ghana angebaut", schreibt das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen in einer aktuellen Analyse der Situation, "und leider werden für diese schwere Arbeit nach wie vor Kinder eingesetzt."
So unterschiedliche Anbieter wie die Erfinder:innen der quadratischen Schokolade aus Waldenbuch oder der ebenfalls weltweit tätige Steirer Josef Zotter mit den rechteckigen Täfelchen in kreativer Verpackung ("Ei am from Austria") bejahen eine einschlägige Sorgfaltspflicht ohne Abstriche. "Unser Ziel ist es, transparente Lieferketten zu haben und eng mit den Menschen zusammenzuarbeiten, die den Kakao für uns anbauen", erläutert Ritter-Sport (Umsatz 2024: 605 Millionen Euro) die eigenen Kakao-Partnerschaften. "Wir machen keinen Unterschied bei den Arbeitsbedingungen für unsere eigenen Mitarbeiter*innen oder unserer Lieferant*innen", schreibt Zotter (Umsatz 2024: 38 Millionen Euro) in der staatlich zertifizierten Umwelterklärung mit der Begründung: "Wir tragen Verantwortung für alle Beteiligten."
Ausbeutung mit langer Tradition
Dieses Bekenntnis müsste nicht nur auf dem Papier längst für die europäische Wirtschaft insgesamt gelten. Und alle Beteiligten hätten sehr viel Zeit gehabt in den Jahren immer neuer Rekordgewinne, sich genau darauf einzustellen. Schon 2011 hatte die EU per Richtlinie die Mitgliedsstaaten verpflichtet, einen Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte aufzulegen. 2015 verabschiedeten die Vereinten Nationen die 17 Ziele der Agenda 2030, an die sich Deutschland gebunden hat. Kinderarbeit sollte bis 2025 beendet und Zwangsarbeit bis 2030 abgeschafft sein. "Der mangelnde Fortschritt ist universell", schrieb UN-Generalsekretär António Guterres in seiner Zwischenbilanz vor zwei Jahren, "aber es ist überdeutlich, dass die Entwicklungsländer und die ärmsten und verletzlichsten Menschen der Welt die Hauptlast unseres kollektiven Versagens tragen."
0 Kommentare verfügbar
Schreiben Sie den ersten Kommentar!