KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Palantir in Baden-Württemberg

Polizeiarbeit aus der Blackbox

Palantir in Baden-Württemberg: Polizeiarbeit aus der Blackbox
|

Datum:

Ein Millionendeal hinter verschlossenen Türen: Baden-Württemberg kauft von der US-Firma Palantir die umstrittene Software Gotham ein. Jetzt ringen Regierung, Polizei und Kritiker:innen um Vertrauen, Kontrolle und Grundrechte.

Es war wie ein Lockangebot im Elektromarkt: fünf Jahre Software für 25 Millionen Euro, sofort zuschlagen. Ein Staatssekretär im Innenministerium von Thomas Strobl (CDU) tat genau das – im Alleingang, ohne Rechtsgrundlage, ohne den Koalitionspartner einzuweihen. So landete Baden-Württemberg bei Palantir, jener US-Firma, die sonst Geheimdienste und Militär beliefert. Die Grünen erfuhren aus der Zeitung von dem, was ihr Innenpolitiker Oliver Hildenbrand später ein "Palantir-Desaster" nannte. Einsetzen darf die Polizei Palantir bislang nicht, es fehlt die Rechtsgrundlage.

Mit Palantir sollen große Datenmengen zu verarbeiten und für die Polizei auswertbar werden. Die Software verknüpft Daten aus verschiedenen Quellen und stellt Zusammenhänge zwischen Personen, Orten und Ereignissen auch visuell dar. Das verändert vor allem, wie Ermittler:innen Daten abrufen und miteinander vergleichen können. Die Polizei kann Querverbindungen zwischen Fällen prüfen und Spuren systematisch abgleichen.

Mit einer Neufassung des Polizeigesetzes will die Landesregierung den Einsatz von Palantir als "Verfahrensübergreifende Recherche- und Analyseplattform (VeRA)" legalisieren. Der Entwurf ist Ergebnis eines grün-schwarzen Deals nach einem Koalitionsstreit: Für die Grünen gibt es laut SWR 1.500 Hektar mehr für den Nationalpark im Schwarzwald, für die Schwarzen eine Rechtsgrundlage für Palantir. Ohne das neue Polizeigesetz bliebe die millionenschwere Software ungenutzt. Herausgehandelt haben die Grünen zudem eine parlamentarische Kontrollkommission und die Zusage, Palantir nur befristet zu nutzen – möglichst bald soll eine europäische Alternative folgen. Derzeit läuft der Palantir-Vertrag über fünf Jahre.

Sekunden statt Tage

Bis Anfang 2026 soll das neue Polizeigesetz, das den Einsatz der Palantir-Software Gotham regelt, im Landtag verabschiedet werden. Danach wird nochmal etwas Zeit vergehen, bis baden-württembergische Polizist:innen Palantir tatsächlich nutzen könnten. Im zweiten Quartal 2026 und damit mehr als ein Jahr nach Vertragsabschluss sei das System einsatzbereit, heißt es vom Landesinnenministerium. "Der Aufbau der Infrastruktur und die Tests brauchen ihre Zeit."

In Hessen, Bayern und Nordrhein-Westfalen sind Palantir und ähnliche Software schon länger im Einsatz. Im Strobl-Ministerium macht eine Geschichte aus Hessen die Runde, in der mit Palantir ein Terroranschlag verhindert worden sein soll. Vor sieben Jahren habe die hessische Polizei Hinweise auf einen geplanten Anschlag erhalten. Durch den Einsatz einer Analyseplattform habe sie Daten im Umfang von 150 Leitzordnern auswerten können. Der automatisierte Abgleich der Daten habe zur Ermittlung und Festnahme des Tatverdächtigen geführt, der später verurteilt wurde. "Ohne den Einsatz der Analyseplattform hätten diese entscheidenden Informationen erst 36 bis 48 Stunden später vorgelegen – damit wäre der Anschlag höchstwahrscheinlich erfolgt", heißt es dazu aus dem Innenministerium. Was jetzt tagelang mühsam zusammengesucht werden muss, soll künftig in Sekunden zur Verfügung stehen, hofft Innenminister Strobl.

Für das Innenministerium sind solche Beispiele Beweis genug: Palantir rettet im Zweifel Leben. Doch während die CDU die Software als Wundermaschine feiert, sehen Kritiker darin vor allem den Einstieg in automatisierte Massenüberwachung. "Mehr Kunst als Ermittlungsarbeit", meint Steffen Schnürer vom Chaos Computer Club (CCC) Tübingen: Man kippe so lange Daten ins System, bis das gewünschte Ergebnis herauskomme. Selbst bei 99,9 Prozent Trefferquote könnten massenhaft falsche Verdächtigungen entstehen – mit echten Menschen als Kollateralschaden. Auch Franziska Görlitz von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) warnt. Palantir verarbeite nicht nur Daten von Verdächtigen, sondern auch von Opfern und Zeug:innen. "So landet man schon bei der Anzeige eines Fahrraddiebstahls in der Datenbank", sagt sie.

Von Paypal zum Lieblingswerkzeug der Geheimdienste

Palantir ist nicht nur Technik, sondern auch Ideologie. Mitgründer Peter Thiel gilt als einer der Vordenker des US-Rechtsrucks, Unterstützer von Donald Trump und Gegner liberaler Demokratie. "Ich glaube nicht länger, dass Demokratie und Freiheit kompatibel sind", sagte er schon 2009. Kritik äußerte er auch am Frauenwahlrecht.

2003 gründete er Palantir mit anderen Tech-Unternehmern, basierend auf PayPal-Technologien zur Betrugserkennung. Früh investierte die CIA Investmentfirma In-Q-Tel. Aus der anfänglich "erweiterten Intelligenz" aus maschineller Rechenpower und menschlicher Analyse wurde das Standardwerkzeug der US-Geheimdienste. Heute ist Palantirs Gotham weltweit im Einsatz.

Palantir wuchs schnell, das Herz der Software bleibt bis heute undurchsichtig. Gotham gilt bis heute als Blackbox: Niemand außerhalb des Unternehmens weiß genau, nach welchen Kriterien Daten verknüpft oder Verdächtige markiert werden. Der Quellcode ist geheim, selbst Parlamente und Datenschützer haben keinen Einblick. Die baden-württembergische Landesregierung verspricht sicherzustellen, dass keine Polizeidaten abfließen können. Palantir werde ausschließlich offline, getrennt vom Internet eingesetzt werden. Zudem sei die Software auf Schlupflöcher (Backdoors) untersucht worden. "Das Fraunhofer Institut hat den Quellcode untersucht und keine Funktionalitäten festgestellt, die einen unzulässigen Datenabfluss oder einen unautorisierten Systemzugriff ermöglichen", so das Innenministerium auf Kontext-Anfrage. Auch das Unternehmen habe versichert, dass die Software keine Hintertüren für einen Datenabfluss habe.

"Palantir bleibt ein Rätsel"

Schnürer beruhigt das nicht. "Es ist naiv, auf die Versprechungen von Peter Thiel zu vertrauen." Und er widerspricht dem Innenministerium: Das Fraunhofer-Institut konnte den Quellcode der Palantir-Software nicht einsehen. Stattdessen sei die aktuell installierte Version in einem sogenannten Black-Box-Test überprüft, also darauf, ob Daten nach Außen gelangen oder unzulässige Zugriffe möglich sind. "Das war erstmal eine ordentliche Untersuchung, aber beim nächsten Update könnte alles überfällig sein." Das Innenministerium verweist darauf, dass Backdoors auch bei Updates vertraglich ausgeschlossen seien.

"Palantir bleibt ein Rätsel. Keiner weiß, wie es arbeitet", sagt Schnürer. Seine Sorge: Ein System, trainiert mit den Vorurteilen seines Gründers, könnte politisch gefärbte Ergebnisse liefern. Außerdem: "Jeder Euro für Palantir finanziert Demokratiefeinde."

Nicht nutzen will die Landesregierung nach eigenen Angaben ein Palantir-Modul, das die Datenanalyse mit Hilfe Künstlicher Intelligenz ermöglicht. Im Gesetzesentwurf fehle jedoch der Ausschluss der Nutzung von Künstlicher Intelligenz bei der Ermittlungsarbeit, sagt die GFF-Juristin Görlitz. "Was Palantir macht, ist viel mehr als ein einfacher Datenabgleich. Es lassen sich komplexe Analysen und Personenprofile erstellen." Die GFF hatte 2023 erfolgreich beim Bundesverfassungsgericht gegen die Palantir-Nutzung in Hessen und Hamburg geklagt. Das Gericht hat dem Einsatz solcher Systeme mit großen Datenmengen klare Grenzen gesetzt. "Aus unserer Sicht sind im Entwurf der Landesregierung die Voraussetzungen des Bundesverfassungsgerichts nicht eingehalten", sagt Görlitz, die sich eine Klage der GFF gegen den Palantir-Einsatz in Baden-Württemberg ausdrücklich vorbehält.

Teure Übergangslösung oder Dauerproblem?

Im Innenministerium wird der Einsatz von Palantir "als Übergangslösung für einen begrenzten Zeitraum" betrachtet. Langfristig soll ein europäischer Anbieter übernehmen. Airbus und Schwarz Digits, die Digitalsparte der Lidl-Gruppe, werden derzeit im Ministerium favorisiert. Doch Schnürer vom CCC ist skeptisch, wie schnell eine andere Lösung bereitstehen könnte. Dass Palantir so dominant ist, habe auch strukturelle Gründe. Europäische Firmen konnten bislang keine vergleichbaren Produkte entwickeln, weil der Markt für solche Anwendungen hier faktisch nicht existierte. Massendatenanalysen dieser Art waren rechtlich nicht zulässig, entsprechende Investitionen fanden kaum statt. Schnürer bringt es so auf den Punkt: "Vieles von dem, was Palantir tut, war in Europa bislang illegal. Daher haben europäische Anbieter gar nichts entwickeln können." Dazu fürchtet er den Lock-In-Effekt, der besagt: Je größer der Zeit- und Ressourcenaufwand, um ein System einzuführen und umzustellen, desto eher bleibt man beim bestehenden System. Auch Görlitz fürchtet angesichts des auf 27 Millionen Euro geschätzten Aufwands für die Übergangsnutzung von Palantir: "So viel Geld verringert den Anreiz, sich um etwas neues zu kümmern."

Trotz Kritik in der eigenen Basis werden die Grünen dem Gesetz wohl zustimmen. Zu viel Geld ist bereits geflossen, zu groß der Wunsch, das Thema vor dem Wahlkampf abzuräumen. Für Schnürer ist die Debatte damit keineswegs beendet. Das Aktionsbündnis "Kein Palantir in Baden-Württemberg" will am 4. Oktober erneut Druck aufbauen und ruft ab 14 Uhr zu einer landesweiten Kundgebung auf dem Stuttgarter Schlossplatz. Schnürer warnt: "Unsere Sicherheit wird an die erstbeste KI weggegeben, ohne dass man weiß, was in fünf Jahren damit ist."

Wir brauchen Sie!

Kontext steht seit 2011 für kritischen und vor allem unabhängigen Journalismus – damit sind wir eines der ältesten werbefreien und gemeinnützigen Non-Profit-Medien in Deutschland. Unsere Redaktion lebt maßgeblich von Spenden und freiwilliger finanzieller Unterstützung unserer Community. Wir wollen keine Paywall oder sonst ein Modell der bezahlten Mitgliedschaft, stattdessen gibt es jeden Mittwoch eine neue Ausgabe unserer Zeitung frei im Netz zu lesen. Weil wir unabhängigen Journalismus für ein wichtiges demokratisches Gut halten, das allen Menschen gleichermaßen zugänglich sein sollte – auch denen, die nur wenig Geld zur Verfügung haben. Eine solidarische Finanzierung unserer Arbeit ermöglichen derzeit 2.500 Spender:innen, die uns regelmäßig unterstützen. Wir laden Sie herzlich ein, dazuzugehören! Schon mit 10 Euro im Monat sind Sie dabei. Gerne können Sie auch einmalig spenden.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


0 Kommentare verfügbar

Schreiben Sie den ersten Kommentar!

Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!