Der Historiker, Jahrgang 1987, untersucht schwerpunktmäßig Protestgeschichte, hat über Zivilen Ungehorsam gegen die nukleare Aufrüstung in Mutlangen promoviert. Seine Erkenntnisse über die Antifa hat er 2022 im "Porträt einer linksradikalen Bewegung: Von den 1920er-Jahren bis heute" zusammengefasst. Und, so seltsam das bei über 100 Jahren Antifa-Geschichte klingt: Rohrmoser ist der erste, der zur historischen Entwicklung der vielschichtigen Bewegung eine Publikation vorgelegt hat, die wissenschaftlichen Ansprüchen gerecht wird. Es hätte zwar Verfassungsschutzberichte gegeben oder auch Eigendarstellungen von Antifa-Gruppen in linksradikalen Medien. Allerdings wären die jeweils "nicht so ganz fachwissenschaftlich" sagt Rohrmoser im Gespräch mit Kontext. Zum Beispiel, wenn man dann in einem antifaschistischen Infoblatt "plötzlich etwas von 'Bullenschweinen' liest".
Angefangen hat es mit der Anfrage eines Jugendzentrums, ob Rohrmoser als Historiker nicht einmal einen Vortrag zur Antifa-Geschichte halten wolle. Zu diesem Zeitpunkt hat er ein Volontariat beim C. H. Beck Verlag absolviert, der das Thema interessant fand und das Potenzial für ein Buch erkannte. Bei seinen Recherchen hat Rohrmoser gelernt, wie stark sein Forschungsgegenstand als Projektionsfläche dient. "Viele, die sich an den Debatten über die antifaschistische Bewegung beteiligen, interpretieren den Begriff so, dass dieser ihren schablonenhaften Standpunkten und ihrem vorkonstruierten Weltbild entspricht", urteilt er.
Was ist aus dem antifaschistischen Konsens geworden?
Selbst in gut gebildeten Kreisen kursierten Mythen und Halbwissen, meint Rohrmoser und erzählt anekdotisch: "Als ich angefangen habe, dieses Buch zu schreiben und davon im Freundes- und Bekanntenkreis erzählt habe, kam auch ganz oft von Leuten, die beispielsweise Politik und Geschichte studiert haben: 'Ach ja, die Antifa, das ist ja noch so ein letztes Zerfallsprodukt der RAF.' Da herrscht das Bild vor, die Antifa sei irgendwie in den 80er- oder 90er-Jahren entstanden." Das war zwar die Phase, in der sich bundesweit autonome Antifa-Gruppen gründeten und öffentlich in Erscheinung traten. Doch eine positive Bezugnahme auf Terrorismus habe er bei seinen Arbeiten nicht als wesentliches Merkmal der Szene identifizieren können. Ganz im Gegenteil: "Wenn man ein gemeinsames Ziel der vielen Strömungen dieser heterogenen Bewegung erkennen kann, dann: dass sie sich gegen Faschismus und die damit verbundenen Charakteristika engagieren. Oder wenn man es positiver formulieren will, ist es eine Bewegung für humanistische Grundwerte."
Hoppla. Ob das keinen Ärger gibt in einem Diskursklima, in dem zum Beispiel der Historikerkollege Jan Behrends die Antifa als "ein Produkt aus der Giftküche des Stalinismus" bezeichnet? Gilt man mit solchen Aussagen nicht schnell als Verharmloser linker Gewalt? Rohrmoser verweist trocken auf die Fakten. Damit sich Auschwitz nicht wiederhole, sei die politische Neuordnung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg einmal von einem antifaschistischen Konsens geprägt gewesen. Nach den historisch beispiellosen Zivilisationsbrüchen des Nationalsozialismus hätten etwa die Garantie der Menschenwürde, der Schutz der Freiheit des Einzelnen und die Gewaltenteilung Einzug ins Grundgesetz gefunden.
Erst "im Kontext des entstehenden Kalten Krieges und der antikommunistischen Feindbildkonstruktion" sei aus dem "antifaschistischen" ein "antitotalitärer Konsens" geworden. Heute, sagt Rohrmoser, würden große Teile der Bevölkerung mit dem Begriff Antifaschismus etwas Anrüchiges verbinden. Und dieser Eindruck werde durch eine "fatale Symbiose zwischen der Szene und den Medien verstärkt". Das Bild sei stark geprägt durch vermummte Chaoten, die Polizist:innen angreifen oder Barrikaden in Brand setzen, "weil Gewaltausschreitungen stets reichlich publizistischen Sauerstoff liefern und die stärkste Resonanz in der Öffentlichkeit zur Folge haben". Weniger aufregend sind da ein Adorno-Seminar im klandestinen Zirkel oder auch Aktivist:innen, die sich bei schlechtem Wetter im Gebüsch verstecken, um völkische Zeltlager zu observieren.
Besseres Frühwarnsystem als der Verfassungsschutz
Doch gerade die Recherchearbeit der Antifa-Bewegung wird sogar vom Bayerischen Verfassungsschutz honoriert, der Erkenntnisse aus der Szene in seine Berichte einfließen lässt. "Durch ihre akribischen Chronologien und Dokumentationen sind sie über rechte Aktivitäten und Strukturen oftmals schneller im Bilde als die staatlichen Institutionen und besser informiert als die Medien", schreibt Rohrmoser. Somit waren viele Antifa-Aktive nicht verwundert über die Medienberichte zum Monatsanfang, wonach AfD-Nachwuchs bei einer Wanderung über Arbeitslager für Juden nachgedacht haben soll. Auch dass der Faschist Björn Höcke schon vor fünf Jahren seine Absichten aufschrieb, ein "großangelegtes Remigrationsprojekt" anzustoßen und dabei "wohltemperierte Grausamkeiten" in Kauf zu nehmen, ist in kundigen Kreisen altbekannt.
Laut Rohrmoser hätten Antifa-Aktive "durch sorgfältige Recherche- und Enttarnungsarbeit" als Frühwarnsystem bereits "viele rassistische und rechtsextreme Straftaten vereiteln" können. Ein Stück weit kompensiert die Szene damit sogar das Versagen der offiziellen Geheimdienste. Zur Erinnerung: Nachdem der Verfassungsschutz den NSU-Terror übersehen hatte, sollte ein gewisser Hans-Georg Maaßen als neuer Präsident das Vertrauen in die Behörde wieder herstellen – heute gilt er selbst als gesichert rechtsextrem. Antifaschistische Gruppen hatten schon früh auf Maaßens Gesinnung hingewiesen.
7 Kommentare verfügbar
Karl P. Schlor
am 28.02.2024mit ihm verwandt? Wäre dann eine gewisse Vergangenheitsbewältigung des einst die Antifa
streng verurteilenden Professors der Uni Hohenheim!