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Klimaschutz in Baden-Württemberg

CDU im Bremserhäuschen

Klimaschutz in Baden-Württemberg: CDU im Bremserhäuschen
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Größen der Landes-CDU haben 2021 unterschrieben, Baden-Württemberg in einer Regierung mit den Grünen zum "Klimaschutzland Nummer eins in Deutschland und Europa" zu machen. Mittlerweile können sich die Koalitionspartner nicht einmal mehr auf die Bewertung wissenschaftlicher Fakten einigen.

Es geht um die Zukunft der Klimapolitik im Land und damit um die Zukunft insgesamt. In einer Zeit, in der die Themen Ökologie und Klimaschutz so wenig Konjunktur haben wie schon lange nicht mehr. Das ist paradox nach dem wärmsten März seit Beginn meteorologischer Aufzeichnungen oder angesichts der Niedrigwasserstände an Rhein und Bodensee mit Auswirkungen auf Güterschifffahrt und Tourismus. Aber irgendwie scheinen Hitze, Dürre, Starkregen und Stürme im Lebensgefühl vieler inzwischen eingepreist zu sein als entweder unabänderlich oder doch noch rechtzeitig zähmbar. Dabei spricht für letzteres immer weniger.

Von der früheren Top-Priorität

Im Juli 2021 hatten die Chefs der Koalitionsfraktionen Andreas Schwarz (Grüne) und Manuel Hagel (CDU) den neuen Klimasachverständigenrat als einen von fünf Punkten des "fortschrittlichsten und modernsten Klimaschutzgesetzes in Deutschland" gerühmt. "Klimaschutz hat für uns Top-Priorität", so Hagel damals. Es werde nicht nur geredet, "sondern wir handeln, zügig und effektiv". Von beidem ist wenig geblieben. Der Klimasachverständigenrat ist per Gesetz verpflichtet, regelmäßig Bericht zu erstatten. Unmissverständlich prophezeit er, dass das Land die Reduktion des Treibhausgasausstoßes auf 36,3 Millionen Tonnen um 17 Prozent verfehlen wird. Die Klimaexpert:innen sehen den Tatbestand einer "drohenden erheblichen Zielverfehlung" als erfüllt an. Deren Bericht wird laut Paragraf 16 "nach Beschlussfassung durch die Landesregierung dem Landtag zugeleitet". Wird eine drohende erhebliche Zielabweichung festgestellt, "beschließt die Landesregierung möglichst innerhalb von vier Monaten nach der Beschlussfassung über den Bericht die erforderlichen Landesmaßnahmen". So weit die Theorie. In der Realität ist diese Zielabweichung zwar festgestellt, die vier Monate sind verstrichen – passiert ist jedoch nichts. Trotz dieses dringenden Hinweises der Klima-Fachleute: "Die verbleibende Zeit der laufenden Legislaturperiode muss eine Zeit der Umsetzung sein, nicht mehr der Ziele und Strategien." Das werde darüber mitentscheiden, ob "Baden-Württemberg als wirtschaftlich prosperierender Standort mit hoher Lebensqualität erhalten werden kann". Natur- und Umweltschutzverbände haben sich mehrfach und immer lauter ähnlich geäußert. Der Rat empfiehlt unter anderem "zur Gestaltung eines verlässlichen Rahmens auf Landesebene": die Einführung von Beteiligungsmodellen zur Beschleunigung des Ausbaus der erneuerbaren Stromerzeugung, ein Finanzierungsmodell für die grüne Wärmewende und neue Wärmeinfrastruktur, eine Modernisierungs- und Aktivierungskampagne für fossil beheizte Gebäude, die Forcierung von Maßnahmen des Carbon Managements, den konsequenten Kapazitätsausbau im ÖPNV oder Anreize für die Konsumenten zur Reduktion des Fleischkonsums bei gleichzeitigem Umstieg auf heimische Qualitätsprodukte.  (jhw)

Der Klimasachverständigenrat, der die Landesregierung – wie von ihr ausdrücklich gewollt – unabhängig berät, drängt zu schärferen Maßnahmen, um die ambitionierten, im Koalitionsvertrag festgeschriebenen Ziele zu erreichen. Die sind nicht nur unter Druck, sondern längst unter den Tisch gefallen ist überdies, in welchem Geist sie formuliert wurden. Denn es ist seit 2021 die Losung ausgegeben, "so schnell wie möglich entlang des 1,5-Grad-Ziels Klimaneutralität mit Netto-Null-Emissionen zu erreichen, spätestens im Jahr 2040".

Diesen Ambitionen steht nun also die Warnung des Expert:innenrats gegenüber. Das Land drohe den CO2-Zielwert für 2030 nicht zu erreichen, heißt es im Gutachten des Rats. Konkret drohe eine "erhebliche Zielverletzung".

Am Zug ist die Landesregierung, am Zug sind nach den Regeln, die sich die Koalition im Klimaschutz gegeben hat, die einzelnen Ministerien. Von "so schnell wie möglich" ist jedoch keine Rede mehr. Stattdessen stiftet das unschuldige Adjektiv "erheblich" anhaltend Unruhe. Der Duden bietet "ansehnlich, außerordentlich, beachtenswert und beachtlich" als Synonyme an. Die helfen aber auch nicht weiter, weil die Bandbreite zu groß ist für eine exakte Festlegung des Begriffs. Schon seit Sommer 2024, als der Bericht öffentlich wurde, schwillt die grün-schwarze Debatte über die Bedeutung darüber mal an und mal ab.

Grüne Jugend: Wir müssen uns stärker durchsetzen

Der Knackpunkt, der hinter der Interpretation dieses einen Wortes steckt, ist die Frage, was einer Gesellschaft zugemutet werden kann, vom Tempolimit bis zur Kompostnutzung, von der Umstellung einschlägiger Förderprogramme bis zum Angebot in Mensen und Kantinen. Die Grüne Jugend will genau darauf Antworten sehen. Ihre Solidarität ist aufgebraucht oder zumindest stark strapaziert. Sie möchte die von der Mutterpartei mitverantwortete Hängepartie beim Kampf gegen Erderwärmung nicht länger hinnehmen. "Die Wahrheit ist doch", sagt die Landesvorsitzende Tamara Stoll im Gespräch mit Kontext, "wir führen die Landesregierung, wir stellen den Ministerpräsidenten." Das müsse Konsequenzen haben, "und das muss auch die CDU anerkennen".

Der Nachwuchs nimmt für sich in Anspruch, lange stillgehalten zu haben. Ein Austritt des Führungsteams im Südwesten wie auf Bundesebene im vergangenen Herbst war nie Thema. Die Grüne Jugend versteht sich als Brückenbauerin hin zu den Klimaaktivist:innen. Inzwischen sieht sie sich aber außerstande, positive Botschaften zu überbringen. "Wir müssen vor allem in unserer Kernkompetenz, dem Klimaschutz, vorankommen und uns stärker durchsetzen", verlangt Stoll. Tim Bühler, ihr Co-Vorsitzender, nimmt den Umgang unter den Koalitionspartner:innen in den Blick: "Wir dürfen uns von der CDU nicht weiter am Nasenring herumführen lassen."

Weniger Vorschriften, aber mehr Klimaschutz

Doch die anhaltende Selbstbeschäftigung der Ampelkoalition, die mutwillig immer neu angeheizte, Verunsicherung säende Debatte um das Gebäudeenergiegesetz oder die scharfe Tonlage gegenüber den Grünen aus Kreisen von Union, FDP oder weiten Teilen der Wirtschaft legen ganz andere Einschätzungen offen. Laut Infratest Dimap hatten schon vergangenen Herbst im Baden-Württemberg-Trend 64 Prozent der Befragten und damit ein gutes Fünftel mehr als noch im Frühjahr 2024 dieser Aussage zugestimmt: "Die Grünen wollen uns zu viele Vorschriften machen, wie wir zu leben haben." Die Verwirrung des Publikums im Stammland wird offenbar darin, dass zugleich 47 Prozent verlangen, die Partei sollte sich wieder mehr um Klimaschutz kümmern.

Natürlich konnte den Strateg:innen in der CDU dieses Verlangen nach einer Quadratur des Kreises nicht entgehen. Der ohnehin in Sachen Ökologie angestammte Platz im Bremserhäuschen ist ziemlich komfortabel. Und die sogenannte Machtbarkeitsillusion, also die reichlich naive und von Wunschdenken getränkte These, irgendwie werde schon alles wieder gut – insbesondere dank neuer Erfindungen –, lässt sich aus Sicht der Schwarzen vergleichsweise leicht verkaufen. Jedenfalls im Vergleich zu Maßnahmen, die doch nur wieder verunglimpft werden als ungehörige Eingriffe in den persönlichen Lebensstil. 

Das Duo an der Spitze der Grünen Jugend beschwört aber nicht nur die CDU, endlich umzudenken, sondern die eigene Partei ebenso. "Die Landesregierung muss gemeinsam die Erheblichkeit anerkennen und die Komplexität der Zielverfehlung", sagt Bühler, der in der Grünen-Fraktion des EU-Parlaments arbeitet. Da der Klimarat von der Koalition eingesetzt wurde, könne es doch nicht sein, "dass die Erkenntnisse, die er vorlegt, von der CDU blockiert werden". Und Stoll, die Nachhaltige Unternehmensführung an der Uni Ulm studiert, nimmt erwartbaren Gegenargumenten schon mal den Wind aus den Segeln und will nicht gelten lassen, der Ukrainekrieg oder Trump hätten eben alles geändert. Diese Krisen seien ernst "und wir müssen Antworten darauf finden, aber der Klimakrise ist es egal, ob sie gerade als wichtig wahrgenommen wird oder nicht".

Sieben Männer sprechen über Technologie

Nicht nur der Klimasachverständigenrat und die Jugend, auch Umwelt- und Verkehrsministerium drängen. Nach der Osterpause sollen Gespräche wieder aufgenommen werden. Die CDU-Fraktion will jedoch bei einem Expertengespräch erst einmal – wieder – Grundsätzlichem nachgehen, etwa der Frage, wie die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen sind. Das Augenmerk dieser Runde liegt ausweislich der aufgeführten Firmenvertreter hauptsächlich auf Maßnahmen des technischen Klimaschutzes, deren Umsetzung zwingend sei, "um die vollständige Treibhausgasneutralität in unserem Land zu erreichen und gleichzeitig ein attraktives Vorbild für andere Länder zu sein", wie es in der Einladung heißt.

Dass es drei Männer sind – Hagel sowie die beiden Klima- und Energieexperten der CDU Albrecht Schütte und Raimund Haser –, die ihrerseits vier Männer empfangen werden, um sich über "die Potenziale der Kohlenstoffabscheidung, des Kohlenstofftransports, der Wasserstoff-Elektrolyse, der technischen Fotosynthese und synthetischen Gasen auszutauschen", ist schon schmerzlich im Jahre des Herrn 2025 und unter dem Aspekt der Gleichberechtigung. Unterirdisch ist jedoch, mahnende Stimmen und ausgerechnet die Vorsitzende des eigenen Klimasachverständigenrats Maike Schmidt angesichts der unterschiedlichen Einschätzungen gerade nicht zu hören, beide Seiten nicht mit den Argumenten der jeweils anderen zu konfrontieren.

Ein Grund liegt auf der Hand: Als Leiterin des Fachgebiets Systemanalyse am Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg, seit fast zwei Jahrzehnten in der anwendungsorientierten Forschung tätig, könnte Schmidt der CDU ein Licht aufsetzen. Erst kürzlich war sie in der Grünen-Landtagsfraktion zu Gast, sogar in einer Runde von Amtschefs aus den vom Klimawandel besonders betroffenen Ministerien, um einmal mehr darzulegen, wie sehr die Zeit drängt. Sie versucht bei ihren Auftritten, mit der (Selbst-)Täuschung aufzuräumen, neue Technologien könnten vorrangig entscheidend werden auf dem erfolgreichen Weg zur Klimaneutralität. Deren Entwicklungszyklen "sind einfach viel länger, als sich ein normaler Politiker vorstellen kann", stellte sie vor Ostern bei einer Veranstaltung im Stuttgarter Theaterhaus kurz und bündig fest. Und weiter: "In den nächsten fünf Jahren werden wir in Baden-Württemberg keine neuen Technologien mehr sehen, die wir heute noch nicht kennen." Deshalb könnten die auch "unsere Klimaziele nicht retten". Ihre Konsequenz: Es müssen eben doch neue, konkrete Maßnahmen auf den Tisch.

Die Grüne Jugend verwandelt die Steilvorlage. "Unser Appell lautet ganz klar: Die CDU darf nicht ignorieren, was die Wissenschaft im Auftrag der Landesregierung belegbar präsentiert, und zwar, dass allein mit technischem Fortschritt und neuen Technologien unsere Klimaziele niemals zu erreichen sind", sagt Bühler. Ob die Botschaft ankommt, muss bezweifelt werden. Das sei aber erst recht kein Grund stillzuhalten, findet Stoll. Wenn stimme, "dass Klimaschutz gerade als nicht so wichtig wahrgenommen wird, dann ist es doch die Aufgabe der Grünen, gerade in Baden-Württemberg und gerade nach 14 Jahren mit grüngeführten Landesregierungen, dass es wieder ganz nach oben rückt." Denn das sei enkelgerechte Politik.

Und Enkel:innen melden sich auch lautstark zu Wort. In einer gemeinsamen Erklärung mit dem Titel "Wer mehr weiß, kann mehr verändern" verlangen der Landesschüler:innen-Beirat und der Jugendrat für Klima zu Wochenbeginn, Fragen von Nachhaltigkeit, Klima und Ökologie deutlich mehr Gewicht in Schule und Unterricht einzuräumen. Denn Bildung sei der Schlüssel, und "Wissen, wie es so schön heißt, ist Macht". Diese Macht müsse gerade mit Blick auf die Zukunft junger Menschen in deren Händen liegen. Eine konkrete Forderung wäre schnell, schnörkellos und ganz ohne Streit über die Interpretation von Begriffen umzusetzen, wenn der Wille bei Grünen und CDU vorhanden ist: Landesweit soll ab sofort Jahr für Jahr ein Tag der ökologischen Nachhaltigkeit an allen Schulen stattfinden, an dem Eigenverantwortung und kreative Mitgestaltung im Mittelpunkt stehen – der gegenwärtig, aber vor allem der dereinst noch viel stärker von der Erderwärmung Betroffenen.

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2 Kommentare verfügbar

  • Claudio
    vor 2 Tagen
    Antworten
    14 Jahre und wieviel Windkraftwerke wurden hier gebaut? Ich seh ehrlich gesagt nichts davon. Auch nicht die großen Solarparks. Inzwischen ist die Speichertechnologie im kommen die den nicht produzierten Strom der nicht vorhandenen alternativen Kraftwerke speichern könnte.
    Klimaneutral strom…
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