Schwäbisch Hall erlebte Anfang Februar diese neue Art von Winter: Plusgrade, azurblauer Himmel, und am Kocher-Ufer schlagen die ersten Bäume aus. Dort, im städtischen Globe Theater, treffen sich zum achten Mal die vielbeschriebenen Weltmarktführer:innen. Die Doyenne des baden-württembergischen Maschinenbaus, die Trumpf-Vorstandsvorsitzende Nicola Leibinger-Kammüller, gibt die Tonlage vor, entwirft ihr Bild von Deutschland nach dem Politikwechsel, am liebsten mit einer CDU/CSU-FDP-Bundesregierung, versteht sich. Klimaschutz ist ihr ein unterkomplex gestreiftes Randthema: Denn hätten die Menschen endlich wieder Freude an Leistung und Arbeit, könnten sie privat mehr in diesen Bereich investieren.
Der Stammsitz von Trumpf, einem Unternehmen mit weltweit rund 18.000 Beschäftigten und mehr als fünf Milliarden Euro Umsatz, ist seit mehr als hundert Jahren Ditzingen. In der Gemeinde im Stuttgarter Speckgürtel liegt die Temperatur im Mittel schon 2,4 Grad über dem Referenzwert aus dem Jahr 1990, die Zahl der Hitzetage hat sich mehr als verdreifacht, von fünf auf 17, die der Frosttage halbiert. Schon um fast vier Grad wärmer sind die Winter. Die Lage im Kreis Ludwigsburg und im Großraum der Landeshauptstadt ist kaum anders oder noch ärger. Trockenperioden werden länger und trockener, Böden weniger fruchtbar, die Niederschlagsmengen im Winter und Starkregenfälle nehmen zu.
Seit gut drei Wochen ist der neue Klimaatlas des Landes online. Über 700 Milliarden Daten der vergangenen sieben Jahrzehnte sind ausgewertet und werden fortgeschrieben. Kommune für Kommune wird anklickbar für die interessierte Öffentlichkeit, Daten werden zusammengefasst und Szenarien entwickelt. In einem erweiterten Bereich können sich Fachleute bedienen. "Karten und Szenarien gibt es schon lange, aber die Detailschärfe ist neu", freut sich Umweltministerin Thekla Walker (Grüne) und spricht von einer "unglaublich wichtigen Grundlage für alle Städte und Gemeinden", überhaupt für alle Menschen, weil zum ersten Mal auf diese Weise Know-how geteilt werde.
Kein Thema im Wahlkampf
Das Angebot hätte im Wahlkampf ein zusätzlicher Push sein können für einen Sachverhalt, der künftige Generationen viel mehr beschäftigten wird als die Höhe von Schuldenbergen. Weil das Thema aber insgesamt im Ranking, anders als 2021, keinen Spitzenplatz einnimmt, bleibt die öffentliche Aufmerksamkeit bescheiden. Erst recht, wenn Differenzierung gefragt ist, wenn beispielsweise wie jüngst der einschlägige Expert:innenrat in seinem Jahresgutachten sowohl Lob als auch Tadel verteilt. Noch seien die gesteckten Ziele zu erreichen, mit erheblichen Anstrengungen allerdings, vor allem im Verkehrsbereich, urteilt das hochkarätig besetzte Gremium. Und dann, wenn die Finanzierungslücke bei öffentlichen Investitionen von einem mittleren bis hohen zweistelligen Milliardenbetrag pro Jahr geschlossen werde.
Selbst Natur- und Umweltverbände kämpfen nicht wirklich erfolgreich um Aufmerksamkeit in diesen Wochen. "Wir Menschen schaffen es bisher nicht, die Gefahr zu begreifen, die uns durch einen Klimakollaps droht, und entsprechend konsequent zu handeln", diagnostiziert Sylvia Pilarsky-Grosch, die Landesvorsitzende des BUND Baden-Württemberg, gerade mit Blick auf das Info-Angebot im Klimaatlas. "Je länger wir den ökologischen Wandel hinauszögern, desto höher werden die Folgekosten für uns als Gesellschaft", erinnert Nabu-Landeschef Johannes Enssle an eine vielfach wissenschaftlich belegte Tatsache. Und er lobt den Klimaatlas, weil der "schonungslos aufzeigt, wo die Reise hingeht, wenn wir nicht schnell genug handeln".
In der letzten Sitzung dieses Bundestags am Dienstag dieser Woche versucht Grünen-Spitzenkandidat und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck alles, um bei der Opposition Gehör und Verständnis zu finden – doch was ihm überwiegend von deren Bänken entgegenschallt, ist Häme. Noch einen Versuch, zur rechten Zeit aufzuwecken und aufzuwachen, wagen die "Fridays for Future" mit dem republikweiten Klimastreik am Valentinstag. In Stuttgart geht es um 15 Uhr auf dem Marktplatz los.
Unternehmen verschleppen Klimaschutz
Für Mittelstand und Familienunternehmer:innen, für den Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) Siegfried Russwurm, für die FDP, aber auch für die Kommunalverbände im Land stören Klimaaktivist:innen dagegen vor allem den Betrieb. Sie sind mit ganz anderen Strategien unterwegs im Kampf gegen die Erderwärmung. Weiter und oft wider besseres Wissen wird der Irrglaube genährt, dieser sei ohne Verhaltensveränderung beizukommen. Der Wechsel, allein oder vor allem auf technische Innovationen zu setzen, ist ungedeckt. Vor allem aber sollen, statt Ambitionen zu steigern, Zeitschienen gestreckt und auf diese Weise Treibhausgasemissionen langsamer gesenkt werden.
In Baden-Württemberg streben laut dem Koalitionsvertrag von 2021 Grüne und CDU an, "so schnell wie möglich entlang des 1,5-Grad-Ziels Netto-Null-Emissionen zu erreichen, spätestens im Jahr 2040". Das Datum könnte im bundesweiten Gleichklang auf 2050 geschoben werden, weil erst dann auch die EU klimaneutral sein möchte. Leibinger-Kammüller nimmt für sich in Anspruch, schon vor Corona die damalige schwarz-rote Koalition im Bund vor der Abwanderung von Produktionsstätten durch überzogenen Klimaschutz gewarnt zu haben. Inzwischen ortet sie "Planwirtschaft der Ampel" und "Ideologie der Grünen".
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