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Zum Glück gibt’s Friedrich Merz

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Demokratie heißt doch: Machen, was die Mehrheit will. Leider stehen unserem Mehrheitswillen Minderheitenrechte im Weg. Noch. Denn zum Glück gibt's Friedrich Merz, meint unser Kolumnist.

Während ich diese Zeilen schreibe, liege ich mit einer ausnahmsweise mal nicht alkoholinduzierten Magenverstimmung im Bett. Vor wenigen Minuten habe ich mir mein Essen nochmal durch den Kopf gehen lassen. Würfelhusten gehabt. Den Porzellangott angebetet. Oral ejakuliert. Sie wissen schon. Ein Geräusch gemacht, das klingt wie der Name einer isländischen Popmusikerin. (Björk.) Kein besonders feinziselierter, aber irgendwie auch ein politischer Kommentar meines Körpers.

Justament klingelte es zudem an der Wohnungstür. Zwei Jünglinge hatten sich Zugang zum Treppenhaus verschafft: "Wir sind von den Grünen!" Das hatte mir gerade noch gefehlt. "Dürften wir ein paar Informationen dalassen zur Bundestagswahl?" Danke, mir ist schon schlecht. Habe ich nicht gesagt, wollte die Jungdemokraten ja nicht politikverdrießen.

Nicht wenige erklären derzeit, sie könnten ob der gegenwärtigen Wahlumfragen kotzen. Ich hingegen kann es tatsächlich. Auslöser ist aber wohl nicht Faschismus, sondern eher Fischismus. Leider ist mir noch keine Möglichkeit eingefallen, wie ich die Schuld an meinem Unwohlsein den Asylsuchern in die Schuhe schieben kann, aber ich bin ja auch kein CDU-Mitglied.

Der Linken indes scheint es gut zu gehen. Im Netz feiert sie sich selbst. Ein gängiges Internet-Meme zeigt in fünf Großaufnahmen einen Sportler, der nach einem Wettkampf mit seiner errungenen Medaille posiert und triumphierend Sektflaschen knallen lässt, ehe wir ihn im sechsten Bild, einer Totalen, auf dem dritten Platz neben den eigentlichen Gewinnern sehen. So wirkt derzeit die Linke auf mich, nur dass sie nicht mal auf dem Treppchen steht.

Trotzdem ist's erfreulich, dass Heidi Reichinnek ihre Partei mit TikTok-Videos womöglich über die 5-Prozent-Hürde hievt. Und wenn Jan van Aken im ZDF dem zwischenblökenden Hein Blöd von der AfD ein "Jetzt halten Sie doch mal Ihren rechten Rand" um die Eselsohren haut, spürt man, dass zumindest bei der Linken begriffen wurde, wie man mit derlei Typen umgehen muss.

"Mitte-rechts" sind mittlerweile die Grünen

Anders als im Ersten, wo neuerdings Politikerinnen ob der Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus die Augen verdrehen dürfen, ohne aus der Sendung zu fliegen. Wo die Moderatorin nachhakt: "Warum verdrehen Sie die Augen?" Wo die Augenverdreherin antwortet: "Mach ich nicht." Wo der Moderatorin nichts einfällt außer dem denkwürdigen Satz: "Ach so, dann hab ich das nur gesehen." Das war keine politische Talkshow, sondern "Biedermann und die Brandstifter" in fünf Sekunden. Wobei zur Ehrenrettung von Max Frischs Brandstifter zu sagen ist, dass nämlicher auf die Frage, ob er denn einen Brand legen werde, nicht mit "Mach ich nicht" antwortet, sondern einfach nur lacht. Der Untertitel des Dramas lautet übrigens "Ein Lehrstück ohne Lehre". Wäre auch ein schöner Untertitel für das sonntägliche ARD-Fortsetzungsdrama "Caren Miosga".

Die Lehrenleere stellt sich in Umfragewerten so dar: Die Linke steht mit ihrem Programm, von dessen Steuersenkungen die meisten Menschen im Land stärker profitieren würden als von allen anderen Programmen, bei 5 Prozent. Die Brandstifter dagegen, deren Wahlprogramm die Überreichen noch reicher machen soll, dürfen mit gut 20 Prozent der Stimmen aller Biedermänner und -frauen rechnen. Demokratie ist das beste Argument gegen Demokratie.

Wer einwendet, man könne "Biedermann und die Brandstifter" ja nicht nur als Warnung vor dem Nationalsozialismus, sondern auch vor der kommunistischen Machtübernahme lesen, dem sei gesagt: Stimmt! Aber was hat Kommunismus mit der deutschen Linken zu tun? Die vertritt nach dem gesamtgesellschaftlichen Rechtsruck der letzten Jahre nurmehr sozialdemokratische Positionen. Die Seite "politicalcompass.org" versucht, Parteien in die wirtschaftlichen Kategorien links und rechts einzuteilen und darüber hinaus in die gesellschaftspolitischen Felder "Autoritär" und "Liberal". Daraus ergibt sich eine interessante Grafik: Die Linke befindet sich mittlerweile beinahe in der Mitte des politischen Spektrums, während SPD, Grüne, Union und AfD allesamt auf der rechten Seite zu finden sind. Wer von sich sagt, er sei "mitte-rechts", müsste demnach die Grünen wählen.

Kein Bock mehr auf Rechtsstaat

Auch die Bevölkerung ist mit nach rechts gerückt. Man mag zwar noch ein Problem mit der AfD als Partei haben, ihre rechtsradikalen Inhalte werden aber zusehends begrüßt. Die Lehre aus Weimar scheint für viele darin zu bestehen, dass die SPD dem Rassenwahn hätte verfallen müssen, um die Nazis von der Macht fernzuhalten. Der Araberabneigung zum Trotz hält man es hierzulande wohl mit dem arabischen Sprichwort: "Geschieht nicht, was du willst, so wolle, was geschieht." In Umfragen sprechen sich mittlerweile Mehrheiten für einen europarechtswidrigen Migrationskurs aus. "Mehrheit der Bevölkerung für Rechtsbruch" wäre mal eine tolle "Bild"-Schlagzeile.

Häufig heißt's, die Bevölkerung könne "nicht mehr hören, was alles nicht gehe". Dem zugrunde liegt die verkürzte, aber weitverbreitete Annahme, Demokratie bedeute, dass geschehen soll, was die Mehrheit in einem Land wünscht. Ohne Menschenrechte und Rechtsstaat wäre das allerdings nicht selten Faschismus. Unserem Mehrheitswillen stehen leider, leider Minderheitenrechte im Weg. Doch selbst Vertreter der vorgeblichen Mitte haben darauf offenbar keinen Bock mehr. Zürnende CDU-Leute schimpfen auf "Scheiß-Gerichte", pfeifen auf Europarecht und Genfer Flüchtlingskonvention oder wollen menschenrechtlich inspirierte Gesetze wie das Lieferkettengesetze "mit der Kettensäge wegbolzen" (Habeck, nicht CDU).

Auch der kommende Kanzler (nicht Habeck) scheint immer weniger Lust auf Recht und Ordnung zu haben. Sein Skandalvorstoß im Bundestag bringt ebendieses verkürzte Verständnis von Demokratie ganz gut zum Ausdruck: Merz sagt, er suche für seine rechtswidrigen Vorhaben Mehrheiten in der demokratischen Mitte, aber wenn die Demokratie diesen Vorhaben im Weg steht, dann macht er es eben mit dem Faschismus.

Zu Recht wurde der CDU-Chef deshalb als Steigbügelhalter geschmäht. Allein: Wenn nun nach der Wahl Grüne oder SPD in die Merz-Koalition eintreten, machen sie sich damit dann nicht zum Steigbügelhalter des Steigbügelhalters? Und wer ist eigentlich der dumme Gaul, an den dieser Steigbügel gehalten werden muss? Sind das wir, das Volk? Hält uns Friedrich Merz bald die Möhre vors Maul?! Uargh, nie mehr will ich diese Steigbügelmetapher hören.

Gegen Merz ist Frank Nopper ein Political Animal

Doch ob nun GroKo oder GrüKo: Mit El Merzo bekommen wir zum ersten Mal einen Jockey, der noch nie zuvor geritten ist. Der Mann war nie Ministerpräsident, nie Minister, nicht mal Kuhkaffbürgermeister. Gegen Friedrich Merz ist Frank Nopper ein Political Animal. Jeder Klassensprecher hat mehr Regierungserfahrung als Friedrich Merz. Was ihm an Übung in puncto Exekutivverantwortung fehlt, das macht er durch seine fehlende Impulskontrolle wieder wett. Zum Glück leben wir in recht entkrampften und kaum erhitzten Zeiten, sodass wir als tiefenentspannte Gesellschaft einen alle vier Wochen vollkommen freidrehenden Bundeskanzler, der machtenthusiasmiert zur Not auch Grundrechte absägt, locker aushalten. Was soll da schon schiefgehen?

Mit einem Satz hatte der Merzinator allerdings recht: "Vier Prozent für die FDP sind vier Prozent zu viel". Der Vier-Prozent-Macher Lindner hat derweil angekündigt, in keine Regierung mit den Grünen eintreten zu wollen. Auf die Regierungsabsagen von Tierschutzpartei, Piraten und Volt warten wir noch.

Unklar nur, wieso in einem Land, in dem also gut 95 Prozent aller Stimmen auf Parteien rechts der Mitte fallen, Friedrich Merz als Kanzlerkandidat so unbeliebt ist. FDP- und AfD-Wähler müssten doch sehr zufrieden mit Merzens Marschrichtung sein. Und die Grünen- und SPD-Anhänger wählen ihre Partei im Wissen, für den Juniorpartner unter Friedrich Merz zu stimmen. Insofern ist der in Bayern auch "Fotzenfritz" gerufene Backpfeifenfriedrich doch ein Kanzler, unter dem wir alle gut und gerne leben können. Also abgesehen von den fünf Prozent Spinnern in der politischen Mitte.

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