Von Bedeutung ist die Erfassung des Autoritären Syndroms, weil es den Blick auf antidemokratische Potenziale jenseits von politischen Parteipräferenzen freilegt. Als Beispiel taugt die Pandemie: Neben den restlos abgedrifteten Virusleugnern auf der einen Seite, deren Autoritäres Syndrom sie in die Arme von Sektenführern und Telegram-Gurus trieb, beobachtete man auf der anderen Seite den ein oder anderen regierungstreuen Autoritätsaggro, der beim Sinnieren über Strafen für Corona-Regelbrecher in lustvolle Rage geriet – beide Typen sind nicht nur Nervensägen, sondern bergen auch das Potenzial, zur Gefahr für die liberale Demokratie zu avancieren (Und die wollen wir dieser Tage ja verteidigen. All ihren Mängeln zum Trotz. Siehe Vermögensverteilung.).
Überdies befasst sich die Autoritarismus-Studie mit dem Wahlverhalten von Menschen, denen sie ein "geschlossen rechtsextremes Weltbild" attestiert. Wenig überraschend: Bei der Auswertung im Jahre 2022 erklärten 57 Prozent der Menschen mit geschlossen rechtsextremem Weltbild, die AfD zu wählen. Anno 2020 waren es nur 32 Prozent. Damals gab noch jeder Fünfte dieser Klientel der CDU seine Stimme. Und jetzt kommt's: 2014, da war die AfD allerdings auch gerade mal ein Jahr alt, hatten die meisten der Befragten mit geschlossen rechtsextremem Weltbild noch angegeben, SPD zu wählen: 24,6 Prozent (knapp dahinter: die CDU mit 21,4 Prozent). Das mag zunächst irritieren: Warum wählen Rechtsextreme SPD?
Profitieren auch Sie von Unterwerfungsbereitschaft
Womöglich lag es am "Sieg" in Si(e)gmar Gabriel, aber entscheidender ist meines Erachtens die autoritäre Submission. Das Phänomen des Mitläufereffekts (auch Bandwagon-Effekt) kennen wir vom Fußball: Der FC Bayern erfreut sich vieler Fans. Offenkundig nicht, weil die Vereinsführung aus Kriminellen und Cholerikern sonderlich sympathisch wäre, sondern schlicht, weil er oft gewinnt. Will ich zu den Siegern zählen, werde ich Bayernfan. Und will ich mich nach der nächsten Bundestagswahl als Wahlsieger fühlen, wähle ich die Partei, die in Umfragen obenauf ist. Früher bedeutete das: Christ- oder Sozialdemokraten. Das Autoritäre Syndrom zieht uns zur Stärke hin.
Ich weiß, was Sie jetzt denken: Was genau hat die SPD denn bitte mit Stärke zu tun? Und es stimmt: Gefühlt sind die starken Zeiten der SPD seit Äonen passé. Aber ich darf daran erinnern, man vergisst es so schnell, dass diese Partei derzeit immerhin den Kanzler stellt.
Ebenjener Kanzler hatte vor der Wahl bekanntlich Führung versprochen. Nicht wenige Leitartikler werfen Scholz regelmäßig vor, dieses Versprechen nicht gehalten zu haben. Dabei könnte man auch leitartikeln, dass es doch ganz schön ist, wenn ein deutscher Kanzler sich eben nicht als omnipotenter Führer geriert. Tempi passati respektive quod erat demonstrandum: Wir wollen es autoritär!
Und hier setzt mein Lösungsvorschlag für die gegenwärtige politische Krise an: Ob er sich nun voll und ganz der militärischen Macht von USA und Nato, der kräftigen Knute Putins oder neuerdings auch den wirtschaftsstarken Chinesen unterwerfen möchte – der Deutsche will sich unterordnen, der Deutsche braucht Ansagen. Als liberale Demokraten können wir das beklagen und jammern und zuschauen, wie die AfD einen Deutschen nach dem anderen mit ihren Ansagen einsackt. Oder wir machen es uns zunutze, dass Rechtsextremismus mit einer überdurchschnittlich hohen Unterwerfungsbereitschaft einhergeht: Indem wir ein autoritäreres Auftreten an den Tag legen und selbst die Ansagen machen. Wer sich am Begriff "Autoritarismus" stört, der möge es "wehrhafte Demokratie" nennen.
Lifehack: Konflikte lösen durch Gewaltandrohung
Ist natürlich nicht ganz einfach, von heute auf morgen autoritär zu agieren. Drum fangen Sie langsam an. Üben Sie's zunächst bei Ihrem Nachbarn. Wenn der Ihnen das nächste Mal während der Kehrwoche hinterherblökt: "Hee, des Treppenhaus isch aber net gscheit gwischt!", dann sagen Sie in Zukunft nicht mehr wie bisher: "Oh, Verzeihung, da sag ich meinen Barista-Kurs sofort ab und wisch gleich nochmal ordentlich durch…", stattdessen sagen Sie: "I wisch dir glei oina, du liadriger Drecksack!". Fragt er "Wie bitte?", so sagen Sie: "Hörsch schlecht, oder was? Bevor du mir hier Putztipps gibsch, putz du erschmal deine Ohren!". So geht klare Kommunikation nach Top-Down-Prinzip. Ihr autoritär-unterwürfiger Nachbar wird es Ihnen danken.
Falls Sie Bedenken bezüglich der Praxistauglichkeit meines Vorschlags haben: Ich selbst habe mithilfe von autoritärem Auftreten in einer Stuttgarter Spelunke mal eine Schlägerei verhindert, indem ich zwei fremden Männern, die bereits mit geballten Fäusten aufeinander losstürmten, einfach nur laut und deutlich angesagt habe: "Nein, ihr zwei schlagt euch jetzt nicht! Ich will hier in Ruhe mein Bier trinken." Sie haben meine Autorität akzeptiert. Und stattdessen mich verprügelt. Nein, kleiner Scherz. Sie sind beide ihrer Wege gegangen. So sorgen wir mit autoritärem Auftreten für eine friedliche Welt.
Dann klappt's auch mit dem Nachbarn. Wenn selbiger verkündet: "Ich wähle AfD!", so erwidern Sie: "Nein, du mit deinem geschlossen rechtsextremen Weltbild wählst jetzt mal wieder schön SPD so wie früher auch, Freundchen!" Er wird auf Sie hören, hat er sich doch mittlerweile die Ohren geputzt.
So, und die besorgten Bürger hören jetzt mal mir zu!
"Wir müssen den besorgten Bürgern zuhören", lautete das Motto der letzten Jahre. Gebracht hat es uns so viel wie ein streikender Fahrradkurier. Denn das Gegenteil wäre richtig gewesen: Wir müssen den besorgten Bürgern Ansagen machen! Imperativ statt diskursiv! Let's get autoritär!
Und was gibt es Autoritäreres als ein Verbot? Auch ich war in der Verbotsfrage lange hin- und hergerissen. Bis ich mir einen Überblick darüber verschafft habe, wer alles gegen einen AfD-Verbotsantrag opponiert: Markus Söder, Sigmar Gabriel, Friedrich Merz, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Joachim Gauck, Hubert Aiwanger, Wolfgang Grupp, Uschi Glas, Thomas Anders – da war die Sache für mich klar.
Auch die Angst vor Aufständen oder gar Bürgerkrieg in Folge eines Verbots ist völlig überzogen. Wir sind hier immer noch in Deutschland. Machen wir endlich Gebrauch von der hiesigen Obrigkeitshörigkeit. Sagen wir den Leuten: Rechtsextremismus ist hier verboten. Und Bürgerkrieg auch. Dann akzeptieren die das schon. Drum retten Sie die liberale Demokratie! Werden Sie autoritär!
Und ja: Ein Verbot schafft das rechtsextreme Weltbild nicht aus der Welt. Trotzdem ist's allemal besser, wenn Rechtsextreme dann wieder ihre alte Heimatpartei wählen: die SPD. Die ist, wenn schon nicht sozial, so immerhin demokratisch.
Cornelius W. M. Oettle spricht am kommenden Samstag, 26. Oktober im Rahmen der Kundgebung "Wir müssen mehr tun! Gemeinsam gegen rechts – für eine bessere Demokratie" auf dem Schlossplatz in Stuttgart. Kommen Sie da hin, das ist ein Befehl!
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