Kein Live-Faktencheck der Redaktion, kein Kopfschütteln von Kamala Harris, keine feuilletonistische Einordnung zur Historie des rassistischen Narrativs vom fiffifressenden Fremden kann daran etwas ändern. In Springfield, they're eating the dogs. Tausende Nachrichtenformate auf der ganzen Welt ordnen ein und recherchieren. Erklären, dass Migranten natürlich NICHT unsere Haustiere fressen. Immer und immer wieder. NEIN, Migranten fressen NICHT unsere Haustiere. Darüber redeten wir. Rund um die Uhr. Trump hat ein Duell, das er vor den Augen von Millionen von Menschen verloren hat, gewonnen.
Nichts an diesem Spruch hat Trump dem Zufall überlassen. Springfield ist nach Washington der zweithäufigste Städtename in den USA. Nicht umsonst leben die Simpsons in Springfield. Springfield ist überall. In Springfield, they're eating the dogs. Trumpismus auf höchstem Niveau.
Gut möglich, dass der gesamte Matchplan für dieses TV-Duell lediglich darin bestand, diesen einen Satz möglichst wirkmächtig unterzubringen. Das Gemeine: Man kann nichts dagegen tun. Derlei Wahnsinn auf solcher Bühne lässt sich schlecht ignorieren. Schon gar nicht in einer Welt, in der Aufmerksamkeit Geld bedeutet.
In Deutschland reüssieren die Nazis auf dieselbe Weise. Halbseidene Gestalten wie Friedrich Merz schließen aber beispielsweise mit Zahnarztanekdoten zusehends auf. Das Resultat ist der kollektive Wahn, demzufolge die Bundesrepublik derzeit unter der untragbaren Last einer imaginierten Massenmigration restlos einbreche und dem nach jüngsten Umfragen mittlerweile gut 80 Prozent der Bundesrepublik anheimgefallen sind.
Araber im Supermarkt oder zu hohe Mieten?
Dass Politiker lieber auf Inszenierung als auf Inhalte setzen – die Erkenntnis dürfte Sie jetzt nicht vom Hocker hauen. Erfolgreiche Politakteure haben seit jeher ein eher strategisches Verhältnis zur Wahrheit. Es fällt aber auf, dass auch die Wähler selbst ihre politische Positionierung gar nicht mehr von den tatsächlichen Umständen ihres eigenen Lebens abhängig machen.
Dass etwa das Gros der AfD-Wähler vom AfD-Programm am meisten geschädigt würde – geschenkt, wurde längst festgestellt, alter Hut. Überdies erzählten mir aber jüngst Haustürwahlkämpfer, dass häufig "die Araber im Supermarkt" zunächst als oberste Dringlichkeit angemahnt würden, wenn man sich bei den Wählern vor Ort nach deren Problemen erkundigt. Erst im Laufe des weiteren Gesprächs trete dann in aller Regel zutage, dass wohl doch viel eher die hohen Mieten oder die Medikamentenpreise den Menschen zu schaffen machen und "die Araber im Supermarkt" letztlich gar keine Rolle spielen. Diese Leute übernehmen also eine Problemanalyse, die ihnen Medien pausenlos eintrichtern, und ignorieren die Realität ihres eigenen Lebens. Daraus folgt eine bizarre, aber derzeit weitverbreitete Haltung: "Mir geht es ganz gut, aber unserem Land ganz schlecht." Wie das?
Möglich macht's die Mediatisierung der Politik, die zwangsläufig zu ebenjener Mediokratie respektive Mediendemokratie führte, in der wir heute leben. Selbstredend mag man etwa im Fall Trump als einigermaßen vernunftbegabter Mensch immer wieder fragen, wie um alles in der Welt es einem Kandidaten für ein politisches Amt zum Vorteil gereichen soll, wenn er im Fernsehen wie der umnachtete Typ in der S-Bahn wirkt, neben dem man nach dem gescheiterten Versuch rascher Gesprächsabebbung durch freundliche Kurzangebundenheit irgendwann aufsteht und sich woanders hinsetzt. Was Politikinteressierte nur oft vergessen: Für gar nicht so Wenige ist Politik eben nicht die übergeordnete Frage nach den gemeinsam auszugestaltenden Regeln unseres Zusammenlebens. Sondern schlichtweg eines von vielen Dingen, für die man sich interessieren kann oder halt nicht. Wie Ziegenyoga, Kaugummikunst und Magnetfische.
Gut 60 Millionen Menschen in Deutschland dürfen wählen, gut 16 Millionen interessieren sich laut Umfragen des Instituts für Demoskopie Allensbach "besonders" für Politik. In den letzten fünf Jahren gaben alljährlich konstant etwa 20 Prozent der Befragten offen an, sich überhaupt nicht für Politik zu interessieren. Sagen wir mal: Das sind die, die nicht wissen, was ein Ministerpräsident ist.
Weitere 33 Prozent antworten mit: "Interessiert mich auch, aber nicht so sehr". Das sind die, die wissen, wie ihr Ministerpräsident heißt. Damit ist die Hälfte der Bevölkerung in puncto mündige Entscheidung schon mal raus, wählen darf sie aber freilich trotzdem. Und auf Seiten der interessierten Hälfte warten unter Anderen noch jene, die angeben, sich für Politik zu interessieren und dabei ihre Informationen ausschließlich aus "Bild"-Zeitung, "heute-show", "Markus Lanz" oder dem Telegram-Kanal von Michael Wendler beziehen. (Jaja, schon gut, diese Reihung war nicht ganz redlich: Eine dieser vier Quellen ist durchaus seriöser als die anderen. Entschuldigen Sie, Herr Wendler!)
In Springfield they're eating ...
Eine Vielzahl der Wahlberechtigten erreicht herkömmliche Politik deshalb schlichtweg nicht. Anders der Trumpismus: Ein Maximilian Krah knallt mit seinem Tiktok-Trash locker auch den 50 Prozent der offen Desinteressierten ins Smartphone, ebenso der Dauerwurstmampfer Markus Söder, und sei's auf Umwegen über andere aufmerksamkeitsbedürftige Influencer, die den Quark spöttisch teilen. Wenn dann am nächsten Sonntag wirklich Bundestagswahl ist, stehen die Chancen gar nicht schlecht, dass der zum Smartphone gehörige Mensch den vielen Wahlaufrufen nachkommt und die Einzigen wählt, die er kennt: Krah und Söder. Oder anders formuliert: Wenn Stefan Raab und Dieter Bohlen morgen eine Partei gründen, holen sie aus dem Stand 15 Prozent.
Glauben Sie nicht? Beweisen Sie mir doch erstmal das Gegenteil. Sie wollen Erhebungen, Studien und Belge zu meiner These? Haha, haben Sie nicht aufgepasst? Die Zeit des Quellenverweises ist vorbei. In Springfield, they're eating the dogs. Ich jedenfalls habe von Meister Trump gelernt und werde mir hier nicht länger die Finger beim Faktenfinden aufreiben.
Was habe ich in der Vergangenheit Zeit verschwendet, weil ich es genau wissen wollte: Selbst den Korrekturen der Faktenfinder misstrauend, untersuchte ich vermeintliche Wahrheiten auf statistische Fehleranfälligkeiten oder entscheidungspsychologische Verzerrungsphänomene, auf Prävalenzfehler, Verfügbarkeitsheuristik und illusorische Korrelation. All das: passé! Künftig behaupte ich einfach irres Zeug. Friedrich Merz frisst kleine Katzen! Christian Lindner nascht Hamster! Markus Söder lebt heimlich vegan!
Apropos Tiere: Leser:innen dieser Kolumne wissen um mein Faible für George Orwell. In seiner Animal Farm streiten die Schweine Napoleon und Snowball um die Gunst der Wählerinnen und Wähler, aber die sind hin und her gerissen: "Die Tiere hörten zuerst Napoleon zu, dann Snowball, und konnten sich nicht entscheiden, wer Recht hatte; tatsächlich fand immer derjenige ihre Zustimmung, der gerade sprach." So sin se, die Leut: Glauben einfach dem, dem sie zuletzt gelauscht haben. Oder das, was sie am häufigsten hören. Es geht nicht um das Was. Es geht um wie oft, wie laut und wie lange. In Springfield, they're eating the dogs.
Drum ist auch die Annahme falsch, man könne jemanden journalistisch entzaubern, wenn man ihn nur oft genug zu Interviews bittet. Haben Sie "das Phänomen" (ARD-Mediathek) Sahra Wagenknecht bei Caren Miosga gesehen? Was ist eigentlich das Gegenteil einer journalistischen Sternstunde? So ist's auch kein Wunder, dass in der Mediendemokratie mit dem BSW eine Partei bei den Ostwahlen abräumt, deren Profil aus einer Person besteht, die nirgendwo zur Wahl stand, aber überall zu sehen war. Mediendemokratie rules.
2 Kommentare verfügbar
Jörg Tauss
vor 1 WocheDas Phänomen Trump könnte man sich gut vom neuen bayerischen Kollegen in…