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Deutsche Bahn

So gut in Schuss wie das Ohr von Trump

Deutsche Bahn: So gut in Schuss wie das Ohr von Trump
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Noch fitter im Kopf als Joe Biden sind nur die Manager der Deutschen Bahn. Trotzdem müssen sie wohl genau wie die USA und der deutsche Verkehrsminister grundsaniert werden, meint unser Kolumnist.

Ursprünglich wollte ich in diesem Text das Schicksal der USA verhandeln. Angesichts des gegenwärtigen Wahlkampfs fragten nicht wenige, wie es angehe, dass ein Land mit 333,3 Millionen Einwohner:innen zwei gar nicht so spitzenmäßige Spitzenkandidaten wie Donald Trump und Joe Biden um das wichtigste Amt im Staat hatte kämpfen lassen. Derlei Fragerei zugrunde liegt die Annahme, in den Vereinigten Staaten müsse es doch einen klügeren Kopf geben als diese beiden. Allein: Diese Annahme ist falsch.

Biden und Trump sind in der Tat die beiden intelligentesten US-Amerikaner. Das Land degeneriert seit Jahrzehnten. In den Billboard-Charts etwa finden sich Namen wie Billie Eilish, Tommy Richman, Taylor Swift, Eminem und Shaboozey. Musik, die jedes Kindergartenkind in Deutschland unterfordert, gilt im Land der fentanylsüchtigen, zuckerkranken, fettleibigen Waffennarren als große Kunst. Das macht der Kapitalismus mit den Leuten.

Das US-amerikanische Volk ist vom vielen Marvel- und Netflix-Gucken, Five-Guys-Futtern, Starbucks-Schlürfen und Pick-up-Truck-Fahren geistig so ausgekratzt wie ein leerer Joghurtbecher im Haushalt einer recyclingfreudigen Großmutter. Es kann sich deshalb immer nur einen einzigen Präsidentschaftskandidatennamen merken. Und zwar den, der gerade in den Schlagzeilen prangt. Und den wählt es dann.

Deshalb war die Demenzoffensive des so vifen wie virtuosen Vollblutpolitstrategen Biden nichts anderes als brillant: Für ein paar Tage ging es in den Medien mal nicht um Talahon-Trump, sondern einfach nur heiter um das bröselnde Zerebrum des Präsidenten. Es war herrlich. Bis halt wieder irgend so ein Freshbrain aus dieser trottolösen Nulpennation zum Schießeisen greifen musste. Die Schlagzeilen-Power eines überlebten Attentats hätte der kultige Sleepy Joe selbst dann nicht toppen können, wenn er vor laufender Kamera seine eigene Frau mit Kim Jong-un verwechselt hätte. Folgerichtig trat er von der Kandidatur zurück.

Drum vertage ich meine US-Analyse, warte mit meiner Prognose noch ab, bis der Bürgerkrieg so richtig ausgebrochen ist, küre heute noch keinen vorzeitigen Sieger und blicke nicht über den großen Pfuhl, sondern ins kleine Deutschland. Wo unsere Schieneninfrastruktur ungefähr so gut in Schuss ist wie das Ohr von Donald Trump.

Ein schlechter Tag für Kühe

Nachdem im Laufe der Herrenfußball-EM ausländische Journalist:innen über den ganzen Kontinent hinweg fassungslos vom Zustand des hiesigen ÖPNV berichtet haben und österreichische Schmähgesänge wie "Die Deutsche Bahn is so im Oasch" die Runde machten, hat man fürs Schienennetz nun eine "Grundsanierung" ausgerufen. Der beste Witz in diesem Text stammt daher nicht aus meiner Feder, sondern von Volker Wissing. Selbiger schreibt in der Pressemitteilung zur Grundsanierung: "Pünktlichere Züge überall und immer in ganz Deutschland – das ist bald kein Traum mehr." Volker Wissing täte eine Grundsanierung auch mal gut.

Obwohl regelmäßig von meinen autofahrenden und fliegenden Bekannten verspottet, reise ich aus ökologischer Überzeugung so gut wie jede meiner vielen Strecken mit dem Zug. Und ich kann Ihnen sagen: Die einzigen, die noch mehr für die Rettung der Menschheit leiden als Klimakleber, Hungerstreiklerinnen und der globale Süden, sind die Kund:innen der Deutschen Bahn.

Exempli gratia: Neulich gewann ich viel Bonusreisezeit auf einer Fahrt durchs Allgäu, weil ein vorausfahrender Zug kurz vor meinem Umsteigebahnhof in eine Kuhherde gebrettert war. Hinter dem Umsteigebahnhof wäre es allerdings wegen des dortigen Erdrutsches auch nicht weitergegangen. Ein guter Tag fürs Taxigeschäft, ein schlechter Tag für Kühe.

Überdies wache ich bisweilen mitten in der Nacht auf und schreie "Nein! NEIN!! Bitte nicht nochmal in den Schienenersatzverkehr!" Was für andere die SED war, ist für mich der SEV. Ich bin mental noch genau eine Schienenersatzverkehrsbusfahrt vom Kauf eines SUV entfernt. Vermutlich steht eine solche aber bald schon wieder an, denn die Generalsanierung sieht etliche Sperrungen vor, sollen doch 40 marode Strecken – die Bahn nennt sie unironisch "Hochleistungskorridore" – bis zum Jahr 2030 modernisiert werden. Als S-21-Opfer weiß man, was diese Zeitangaben wert sind.

Ebenso die Kostenangaben: Die Finanzierung ist zwar im Grunde noch völlig unklar, aber bis 2027 reichen laut Bahn erstmal 45 Milliarden. In Stuttgart wird demnach mit einer halben Billion gerechnet. Ist aber auch egal: Das Ende dieser Generalsanierung, taxieren wir's mal auf kurz vor dem übernächsten Jahrtausendwechsel, erlebt ohnehin kein Mensch, weil der Treibhauseffekt unsere Spezies bis dahin ausgerottet haben wird. Fertigsanieren dürfen dann entweder Trainspotting-affine Aliens oder die von einer KI gesteuerten Boston-Dynamics-Roboter, nachdem sie die große Schlacht gegen die Elon-Musk-Maschinenmenschen gewonnen haben.

Freilich wär's für die Klimaziele eh am besten, wir alle würden per se mal wegkommen von unseren völlig überzogenen Mobilitätsansprüchen und viel häufiger einfach gar nicht reisen. Daran arbeitet die Bahn ja gewissermaßen sogar: Viele reisen lieber gar nicht als mit ihr.

Ach, wenn es doch Witze wären

Bedauerlicherweise sind den Bahnmanagern die Klimaziele in Wahrheit aber genauso wurscht wie allen anderen Bonzen. In der klimatisierten Villa oder zur Not auch im Luxusbunker kriegt man die Krise schon irgendwie rum. Besonders bitter für uns Kund:innen: Die Bahnbonzen haben nicht nur kein Interesse am Klimaschutz, sondern nicht einmal am Zustand ihres eigenen Geschäftsmodells. Das geht aus den zuletzt geleakten internen Bahndokumenten hervor: So stellt die Bahn ihren Manager:innen nicht nur einen Dienstwagen für berufliche und private Zwecke zur Verfügung. Sie gewährt ihnen auch, beruflich gesammelte Vielfliegerpunkte privat zu nutzen – ich wünschte, wenigstens eins von beidem wäre ein Witz.

Aber jetzt Moment amoal, Herr Oettle! Haben die Manager net trotzdem Interesse am Erfolg der Deutschen Bahn, weil die doch ihre Boni kriegen wollen? Da haben Sie im Grunde völlig Recht, lieber aufmerksamer schwäbischer Leser! Aber eben nur im Grunde, denn ihre geliebten Boni haben die Vorstände in der Vergangenheit von Kriterien wie "Pünktlichkeit" und "Kundenzufriedenheit" einfach abgekoppelt.

Hä? Wie goaht au des? – Ich erklär's Ihnen! Wie sich den geleakten Dokumenten entnehmen ließ, haben die Bahn-Brains beim Festlegen ihrer Bonibedingungen einfach andere Kriterien wie "Frauen in Führungspositionen" stark übergewichtet. Weil etwa im Jahr 2022 bei der Bahn 27 Prozent Frauen in Führungspositionen verweilten und damit das gesteckte Ziel von 26 Prozent nicht nur als erfüllt, sondern als übererfüllt galt, gab's für den zuständigen Vorstand 200 Prozent Prämie. Und weil man als Ziel formuliert hatte, dass die Zufriedenheit der Mitarbeitenden nicht weiter sinken dürfe, diese jedoch anno 2022 im Vergleich zum Horrorpandemiejahr 2021 leicht gestiegen war, galt auch dieses als übererfüllt: 175 Prozent Bonus.

Ja leck mich doch am Ärmel, des isch ja wohl ꞌn Witz! – Nein, nicht mal das hier ist ein Witz: Ronald Pofalla, der noch im Jahr 2022 verantwortlicher Bahnvorstand für den Bereich Infrastruktur war, erhielt einen Bonus von 85.000 Euro, weil er den "Ausbau von Netz und Infrastruktur" mit 200 Prozent übererfüllt hatte. Jenes Netz und jene Infrastruktur, die sie nun komplett aufreißen. Und das Deutschlandticket wird nächstes Jahr teurer. Aber bis dahin fahre ich bestimmt SUV.

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2 Kommentare verfügbar

  • Hans - Friedrich Bär
    am 04.08.2024
    Antworten
    Nein, sehr geehrter Herr Oettle !

    Es wird auf den wehrlosen Minister und den von ihm abhängigen Vorstand gezeigt. Diese sind aber die untergeordneten Ausführenden, die machtlose Exekutive. Alle Macht geht vom Volk aus!

    Das Volk bedient es sich in Bahnfragen besonders qualifizierter…
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