Wussten Sie damals, dass sich George Turner trotzdem dafür eingesetzt hat, dass Sie doch noch Lehrer an einer staatlichen Schule werden durften? Und dass er dafür sogar den damaligen Kultusminister angerufen hat?
Das wusste ich natürlich nicht. Es wurde nur im Ergebnis sichtbar. Ich wurde ja schließlich auch eingestellt. Wer weiß, wie mein Leben ohne Intervention von Herrn Turner und anderen verlaufen wäre. Ich war ja Maoist. In Wirklichkeit waren meine Informationen über China aber höchst dürftig. Im Rückblick kann ich sagen, das waren alles doch sehr christlich imprägnierte Impulse – letztlich. Man steht auf der Seite der Schwachen, ohne das realpolitisch einzusortieren, zu überprüfen. Bei mir begann während des Referendariats ein Lösungsprozess von diesen Sekten. Da war ich raus aus diesen Milieus. Heute würde man das als Blase bezeichnen. Wir bewegten uns immer unter denselben Leuten, entwickelten mit der Zeit einen Tunnelblick und führten hoch ideologisierte Debatten. Man kann froh sein, wenn man da rausgefunden hat. Und das war dann bei mir der Fall. Insofern bin ich im Rückblick für den Zuspruch von Leuten wie George Turner dankbar. Sie haben mich als Person ganzheitlich gesehen und dachten, irgendwann wird der mit dem Krampf schon aufhören. So war es dann auch.
Wie erinnern Sie sich an die Anhörungen im Oberschulamt. Da sollte Ihre Gesinnung überprüft werden. Und Sie wurden mit den Ergebnissen der Observation des Verfassungsschutzes konfrontiert.
Wir sind hingegangen zu den Anhörungen, aber mit einer Freund-Feind-Einstellungen. Unterstützt hat mich die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Besonders gestört hat mich dann, dass die Beamten unterm Tisch immer mal wieder ein Dokument hervorzogen und gefragt haben, stammt es von Ihnen? Das hat die eigenen Vorurteile und die Freund-Feind-Einstellung nur bestätigt. Das führte nur zu Kollateralschäden. Damit hat man die Betroffenen erst mal in Gegensatz zum Staat gebracht. Ein freiheitlicher Verfassungsstaat fällt aber keine Gruppenurteile, sondern überprüft die jeweiligen Personen, den Einzelfall. Das genau unterscheidet ihn von allen anderen Staatsformen und Diktaturen. Deswegen ist ein Berufsverbot immer was Ambivalentes. Da geht es um die eigenen Grundsätze. Das sind immer sehr schwierige Abwägungsfragen. Denn der moderne Verfassungsstaat ist kein weltanschaulicher Staat. Jeder kann in ihm die Überzeugung verfolgen, die er hat, solange er nicht mit Gesetzen in Konflikt gerät und sie übertritt.
Und das gilt auch für Beschäftigte im öffentlichen Dienst?
Wer in den Staatsdienst geht, muss die verfassungsrechtliche Ordnung aktiv vertreten. Ein Lehrer darf seine Schüler beispielsweise nicht indoktrinieren mit seiner eigenen Anschauung. Dinge, die kontrovers sind, die muss er auch als kontrovers darstellen. Das ist in der Pädagogik nichts Neues. Das weiß ein guter Lehrer auch, ohne dass man diese Grundsätze hätte aufstellen müssen.
Sie selbst standen zwei Mal als angehender Lehrer vor dem Aus. Zunächst beim Vorbereitungsdienst für das Lehramt und dann nach dem zweiten Staatsexamen. In der gleichen Zeit hatten Sie das erste Kind, Sie mussten eine Familie ernähren. Wie schwierig war diese Unsicherheit für Sie?
Ich habe das aber nicht als bedrückend empfunden. Man muss wissen, die Macht von Ideologien ist sehr stark. Meine Frau hat das alles seit eh und je für Blödsinn erachtet. Sie war Lehrerin, insofern hatten wir erst mal unser Auskommen. Ich bekam dann übergangsweise einen Job als Lehrer an der Stuttgarter Kosmetikschule. Später habe ich eine Schülerin von damals dann beim SWR in der Maske getroffen. Das sind schon witzige Begegnungen.
Sie waren in den 1970er-Jahren ein Radikaler, wie man damals sagte. Wie radikal darf man denn sein?
Man darf radikal sein. Das Wort Radikalenerlass ist eigentlich ein falscher Begriff. Es geht gegen Haltungen, die gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet sind. Aber wir wollen den Klimawandel durchaus radikal bekämpfen und müssen das auch machen. Da muss man bei der Wortwahl ein bisschen aufpassen. Doch mit meiner linksradikalen Gesinnung habe ich wirklich radikal gebrochen. Und ich habe davon auch nichts zu den Grünen rüber transportiert. Ich habe die Grünen ausschließlich wegen der ökologischen Frage mitgegründet. Und in vielen anderen Fragen habe ich auch heute mit meiner Partei immer wieder Konflikte.
Benötigen wir heute angesichts der starken Zunahme von nationalistischen, ausländerfeindlichen oder antisemitischen Tendenzen einen neuen Radikalenerlass?
Jetzt geht es immer darum, auch Zivilcourage zu zeigen. Zum Beispiel, wenn jemand antisemitische Äußerungen macht, es nicht einfach stehen zu lassen. Aber den Radikalenerlass wie damals brauchen wir sicher nicht. Das war keine Erfolgsgeschichte. Aktuell gefährden uns rechtsradikale Strömungen am meisten. Leider komm es zum Beispiel immer wieder vor, dass sich bei der Polizei rechte Chats und Ähnliches bilden. Das dulden wir nicht. Als wir solche Vorgänge hatten, sind diese Leute sofort vom Dienst suspendiert worden, sie bekamen Disziplinarverfahren. Das wird entsprechend geahndet, je nach Schwere des Verstoßes.
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T.Mohrs
am 29.01.2022