KONTEXT:Wochenzeitung
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Wider das politische Duckmäusertum

Wider das politische Duckmäusertum
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1977 verfasste der langjährige Präsident des Stuttgarter Oberlandesgerichts, Richard Schmid, einen Appell für mehr Zivilcourage unter Staatsdienern und gegen die Verfolgung Andersdenkender. Er ist in schwarz-roten (Bund) und grün-roten (Land) Zeiten immer noch aktuell.

Immer wenn die Praxis der Verwaltungsbehörden und -gerichte über Radikale im öffentlichen Dienst nach außen dringt, überkommt mich albdruckhaft die Erinnerung an das, was sich im Beamtenwesen in den Jahren 1933 bis 1945 zugetragen hat. Am Beispiel des Studienrats Fritz Güde – er ist ein Sohn des früheren Generalbundesanwalts Max Güde – will ich diesen Albdruck, der manchmal zur Ahndung wird, zu artikulieren versuchen: Der 1935 geborene Fritz Güde ist seit etwa zehn Jahren Beamter auf Lebenszeit. Durch Urteil der Disziplinarkammer beim Verwaltungsgericht Karlsruhe vom 8. November 1977 wurde er mit der Entfernung aus dem Dienst bestraft – der schwersten Dienststrafe nach dem Beamtengesetz.

Als Begründung dafür blieb aus einem ganzen Katalog von Vorwürfen die Mitgliedschaft und Tätigkeit beim Kommunistischen Bund Westdeutschland (KBW), den hiesigen Maoisten, in den Jahren 1973 bis 1975 übrig. Der Fall macht neben dem allgemeinen Verhängnis unserer Radikalenpraxis auch einen offenen Widerspruch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts deutlich, eine radikale Schwenkung zugunsten des Modebegriffs von der "streitbaren Demokratie". "Streitbar" ist das Bundesverfassungsgericht nun nicht mehr, wie in den ersten zehn Jahren seiner Tätigkeit, für die Grundrechte der einzelnen Menschen, auf denen die Demokratie beruht, sondern für die Interessen der Exekutive, bis hinunter zu denen der Nachrichtendienste. Das Gericht hat sich in weitem Umfang auf die Seite der Macht und ihrer Apparate geschlagen. 

Der Widerspruch im Fall Güde liegt im Folgenden: Das Bundesverfassungsgericht hatte in einer berühmten Entscheidung vom 21. März 1961 die skandalöse Verfolgung und Bestrafung von KPD-Funktionären für ihre Tätigkeit vor dem KPD-Urteil vom August 1956 annulliert. Das grundgesetzliche Parteienprivileg, so das Gericht, schütze die Tätigkeit für eine Partei so lange vor Verfolgung, bis die Partei vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt worden ist. Die Tätigkeit vorher war danach also weder objektiv rechtswidrig noch subjektiv schuldhaft. Das ist eindeutig als Schutz der in einer nicht verbotenen Partei tätigen Menschen vor rechtlichen Sanktionen wegen dieser Tätigkeit gemeint. Wie ist es zu erklären, dass wegen einer solch objektiv rechtmäßigen Handlung eine Dienststrafe, und gerade die allerschwerste, verhängt wurde?

In seiner Radikalenentscheidung vom 22. Mai 1975 – in der es, wohlgemerkt, um die Übernahme eines Bewerbers in das Beamtenverhältnis ging, und zwar in den Vorbereitungsdienst, also in ein widerrufliches –, gibt das Gericht diese Eindeutigkeit preis, indem es eine höchst künstliche Unterscheidung trifft zwischen "dem politischen Aktivbürger in der Gesellschaft" und dem Bürger "als Beamten", eine standesmäßige Unterscheidung gleichsam, die in anderen, älteren Demokratien undenkbar wäre. Außerdem widerspricht sie dem Begriff des Grundrechts, das allen Bürgern zusteht. 

Das Bundesverfassungsgericht hat sich in dieser Entscheidung in seinem streitbaren Eifer auch gleich zum Gesetzgeber, über den ihm vorliegenden Fall hinaus, aufgeworfen, indem es auch im Fall eines bereits angestellten Beamten die Disziplinarstrafe der Entfernung aus dem Dienst für zulässig erklärt, und zwar wegen Verletzung der "Treuepflicht". Mithilfe dieses Begriffes werden die Rechte aus dem Parteienprivileg aus den Angeln gehoben und wird gerade das ermöglicht, was das Grundgesetz verbieten will: dass nämlich irgendwelche Verwaltungsbehörden und Gerichte nach ihrem Ermessen über die Verfassungswidrigkeit von Parteien entscheiden können. Das geschieht nun massenhaft. Es ist klar, dass das Dienst- und Treueverhältnis, von dem Artikel 33 des Grundgesetzes spricht, nicht die spezielle, neue und einschneidende Gestaltung des Parteienprivilegs außer Kraft setzen kann. Dieses Parteienprivileg ist als Recht auf freie Gründung und freie Betätigung von Parteien ja doppelt gesichert: sowohl durch das Monopol des Bundesverfassungsgerichts wie durch den notwendigen Verbotsantrag der Regierung.

Nicht Treuepflicht, sondern Pflichttreue

Mit dem "Dienst- und Treueverhältnis" wollten die Verfassungsväter, wie die Beratungen des Parlamentarischen Rates ergeben, Beamtenstreiks vorbeugen. Es ist das Verhalten im und zum Amt gemeint; nicht Treuepflicht, sondern Pflichttreue. Auch soweit die Beamtengesetze darüber hinausgehen, können sie nicht die Voraussetzungen ändern, an die das Grundgesetz das Verdikt der Verfassungswidrigkeit geknüpft hat; im Gegenteil, sie werden dadurch erst wichtig und notwendig, weil davon lebensentscheidende Sanktionen gegen einzelne Bürger abhängig sind. Der Fall Güde zeigt das deutlich.

Das Parteienprivileg des Artikels 21 hatte seine guten historischen Motive: vor allem die skandalöse Einseitigkeit der politischen Verfolgung in der Weimarer Zeit durch die Justiz. Als die Nationalsozialisten sich des Staatsapparats bemächtigt und schon im Jahre 1933 mithilfe der SS die ersten massenhaften Terrorakte gegen Freiheit und Leben begangen hatten, musste man mit wachsender Bestürzung feststellen, wie die Beamtenschaft zuhauf in die NSDAP strömte und wie sich vor dem schlauerweise verordneten Torschluss vom 1. Mai 1933 für den Parteieintritt riesige Schlangen bildeten. 

Nicht aus Gesinnung oder Überzeugung, beileibe nicht; es gab recht wenig Nationalsozialisten in der Beamtenschaft. Nein, aus Anpassung, aus Angst um die Karriere oder aus Angst schlechthin, allenfalls aus Heimweh nach den vergangenen Tagen des Obrigkeitsstaats. Nationalsozialistische Gesinnung wurde nur gemimt, im vertrauten Kreise verspottet.

Gesinnung durch Gehorsam ersetzt

Am 1. Juli 1937, dem nächsten Eintrittsschlusstermin, wiederholte sich der Vorgang ebenso massenhaft. Als im Jahre 1945 die Hitler-Himmler-Bande abgetreten war, wurde mir dieser Sachverhalt noch einmal in riesigen Stößen von Fragebogen gegenwärtig. Der deutsche Beamte hatte Gesinnung durch Gehorsam ersetzt. Das war schon der Albdruck Theodor Mommsens, der den Drang der Deutschen beklagt, "im Glied zu dienen". Diese Anpassung und dieser Gehorsam waren die Voraussetzungen für die Ausübung des Massenterrors. Man lese dazu das große Werk von H. G. Adler: "Der verwaltete Mensch". Die Beamten der Staats- und Kommunalverwaltungen haben bei den Judendeportationen, bei der Ausraubung und Tötung fast reibungslos kooperiert, einschließlich der Finanzbehörden, die mit der Einziehung und Verwertung des Vermögens der Juden samt ihren Goldzähnen und Schmuckstücken befasst waren. Die beamteten Professoren des öffentlichen Rechts haben die theoretische Begründung für die Praxis des Himmler-Staats geliefert.

Was geschähe, wenn wieder das Kommando "rechtsum" käme? Das ist historisch die reale Gefahr, während wir uns mit der Radikalenpraxis gegen ein fiktives Risiko wenden. Je freier und mannigfaltiger die politische Meinungsäußerung und Gruppenbildung ist, je ungehemmter sich politische Gesinnungen betätigen können, umso geringer ist die Gefahr. Die Engländer wissen das längst. Die Grenze ist das Strafgesetz. 

Dass sich radikale, extremistische Tendenzen zeigen, vor allem bei Menschen in der ersten Lebenshälfte, ist ein natürlicher Vorgang. Häufig hat solche Radikalität religiöse Wurzeln; manche halten den Staat überhaupt für Teufelswerk und berufen sich auf die christliche Botschaft. Es wäre verhängnisvoll, wenn solche Gesinnungen, soweit sie nicht so strafbaren Handlungen führen, wieder zum Gegenstand von rechtlichen Sanktionen, zur bürgerlichen Ächtung, zur Feinderklärung im Sinne des Professors Carl Schmitt würden. Aus Radikalen sind schon oft wertvolle Mitbürger und angesehene Politiker geworden. Ein unverfängliches Beispiel ist Frankreich: Georges Clemenceau und Aristide Briand haben als scharfe Radikale begonnen.

Extremisten integrieren

Ein freies und vernünftiges Staatswesen wird solche Extremisten integrieren, indem es sie zum "langen Marsch durch die Institutionen" einlädt. Ist das nicht ein Stück demokratischer Prozess? Es ist merkwürdig, dass ebender junge Mann – Rudi Dutschke –, von dem diese Formel stammt, nicht Täter, sondern Opfer des Terrorismus geworden ist.

Ganz falsch ist es, Bekenntnisse abzuverlangen, die Polizei nach Gesinnungen forschen zu lassen, Parteiprogramme oder sozialistische Klassiker auf Gewaltthesen abzusuchen, da doch diese Programme und Schriften historisch nur der Reflex sozialer Zustände des 19. Jahrhunderts sind, der aus Tradition oder Trägheit weiter gepflegt wird.

Die kommunistischen Sektierergruppen mit der heutigen Welle des Individualterrors zu belasten ist unrichtig; am allerwenigsten dürfte es bei den Maoisten zutreffen. Die Diskussion über die wirklichen Ursachen des Terrorismus, die endlich in Gang gekommen ist, hat bis jetzt andere, vor allem individuelle, psychologische oder gar psychopathische Kausalitäten zutage gefördert.

 

Richard Schmid war bis 1953 Generalstaatsanwalt des Landes Württemberg-Baden. Im Juli 1953 ernannte ihn der erste Ministerpräsident des neu geschaffenen Landes Baden-Württemberg, Reinhold Maier (FDP/DVP), zum Staatssekretär im Justizministerium. Ende des Jahres wechselte Schmid als Präsident ans Oberlandesgericht Stuttgart, wo er bis zu seinem Ruhestand 1964 blieb. Aus Protest gegen die Verabschiedung der Notstandsgesetze trat Schmidt 1968 aus der SPD aus.

Richard Schmid galt in der Zeit der Weimarer Republik als linksliberal. Zu Beginn der NS-Herrschaft verteidigte er Politiker der Linken und reorganisierte die von den Nazis teilweise zerschlagene württembergische Gruppe der sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands, der auch der spätere Bundeskanzler Willi Brand angehört hatte. Auslandsaufenthalte nutzte Schmid für Kontakte zu Oppositionspolitikern. 1940 hat ihn der Volksgerichtshof wegen Hochverrat zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt.

Herta Däubler-Gmelin schreibt im Vorwort des gerade erschienen Buches "Politische Justiz in unserem Lande", Schmid sei wie der Auschwitz-Ankläger Fritz Bauer "eine der prägende Persönlichkeiten in der Zeit meiner Ausbildung" gewesen. Die frühere Bundesjustizministerin hofft, dass die beiden Stuttgarter Juristen noch heute Vorbilder sind.

Anmerkung der Redaktion

"Aus Radikalen sind schon oft wertvolle Mitbürger und angesehene Politiker geworden." So Richard Schmid, der langjährige Präsident des Oberlandesgerichts Stuttgart, in seinem Aufsatz im Jahr 1977. Es war das Jahr sechs nach dem "Radikalenerlass" der Innenminister der Länder, in dessen Folge Hunderttausende Staatsdiener oder solche, die es werden wollten, wegen ihrer politischen Einstellung beobachtet oder verfolgt wurden. Aktueller Anlass für Schmids Aufsatz war die damalige Diskussion über ein Verbot der maoistischen K-Gruppen sowie die Entfernung des Studienrats Fritz Güde, Sohn des ehemaligen Karlsruher CDU-Bundestagsabgeordneten und Generalbundesanwalts Max Güde, aus dem Staatsdienst wegen Mitgliedschaft im Kommunistischen Bund Westdeutschland (KBW). Max Güde hatte zeitweise derselben Mao und China verherrlichenden Kaderpartei angehört wie der heutige baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Dieser bekam deswegen nach dem Staatsexamen zunächst keinen Platz an einem staatlichen Gymnasium. Er unterrichtete für ein Jahr an einer Privatschule, an der Stuttgarter Kosmetikschule in der Werastraße 10, später SPD-Kreisbüro, heute das Domizil von Peter Grohmanns Bürgerprojekt Die Anstifter. Kretschmanns KBW-Genosse Fritz Güde wollte sich nicht von allen seinen politischen Äußerungen in seiner KBW-Zeit pauschal distanzieren. Erst 1982 durfte er <link http: www.kontextwochenzeitung.de pulsschlag herrn-ks-gespenst-1100.html _blank>wieder in den staatlichen Schuldienst. 

Der Text von Richard Schmid ist in dem soeben erschienen Buch "Die politische Justiz in unserem Lande" abgedruckt. 


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2 Kommentare verfügbar

  • Kornelia
    am 18.12.2013
    Antworten
    Tja: und Schuttgart ist zum anti-demokratischen Beobachtungsobjekt geworden.... hier kann mensch wunderbar erleben, wie ein Beamten-, ein Polit-, ein Angestelltenapparat vorauseilenden Gehorsam betreibt und betrieben hat.
    Der Streit um S21 hat -wieder einmal gezeigt- das wir dringend ein…
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