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Rote Scheinriesen

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Durch inhaltsschwere Aussagen ist Lars Castellucci bisher nicht aufgefallen. Aber jetzt will der 44-Jährige Vorsitzender der Landes-SPD werden. Als Kandidat derer, die Chefin Leni Breymaier weghaben und nach rechts rücken wollen.

Kehl im Winter 2005: "Wir brauchen einen politischen Neubeginn", sagt Ute Vogt strahlend in Mikrophone und Kameras. Die Wieslocher Juristin möchte im CDU-Stammland Baden-Württemberg Ministerpräsidentin werden. Sie hat sich vorgenommen, das Überraschungsergebnis von 2001 – der einzige positive Ausreißer in der Talfahrt der SPD seit 1972 – von 33,3 Prozent noch einmal zu toppen. An ihrer Seite steht ein junger Schlacks im braunen Anzug, Lars Castellucci, der Kreisvorsitzende der SPD in Rhein-Neckar. Vogt präsentiert ihn als Kommunikationsexperten, als erfolgreichen Gemeinderat, als "Gesicht der Veränderung".

Seither hat Castellucci drei Landesvorsitzenden als Vize zur Seite gestanden: nach der glücklosen Vogt, die wieder in den Bundestag zurückgekehrt ist, auch Nils Schmid und seit 2016 zwei Jahre Leni Breymaier. Bei der Bekanntgabe seiner ersten Kandidatur verspricht Castellucci, das "Ruder herumreißen" zu wollen, "damit es wieder vorwärts geht".

Das Ruder herumreißen, immer und immer wieder

Das hat bekanntermaßen nicht geklappt. Nur ein Jahr nach Kehl verloren Vogt und ihr Team bei den Landtagswahlen 8,1 Prozentpunkte, 2011 unter Nils Schmid waren es nochmals 2,1 und im März 2016 dann das Desaster aus der Regierung heraus mit einem Minus von 10,4 Prozentpunkten. 2005, als der promovierte Professor für Nachhaltiges Management an einer privaten Mannheimer Hochschule erstmals Vize des Landesverbands wurde, hatten laut Statistischem Landesamt eineinhalb Millionen Baden-WürttembergerInnen rot gewählt. Elf Jahre später, im März 2016, war es mit 680 000 noch knapp die Hälfte. Und bei der Bundestagswahl 2017, bei der die Spitzenkandidatin Breymaier ein Minus von 4,2 Punkten einfuhr, gaben immerhin noch eine knappe Million WählerInnen der SPD ihre Zweitstimme.

An den unterschiedlichen Typen an der Spitze kann es jedenfalls nicht gelegen haben, dass nach einer Niederlage nie der Erfolg kam. 1980, nach 32,5 (!) Prozent bei der Landtagswahl, musste Vordenker Erhard Eppler den Hut nehmen. Zwischen 1988 und 1996 versuchte der smarte Dieter Spöri sein Glück, danach machte Ute Vogt gegen Wolfgang Drexler das Rennen um den Parteivorsitz und punktete schließlich als jugendliche Herausforderin von Erwin Teufel, bis alle Zugewinne wieder Schall und Rauch waren.

Aus dem dann folgenden Mitgliederentscheid ging der spätere "Superminister" Nils Schmid als Sieger hervor. Seit Oktober 2016 und mit 85 Prozent der Stimmen ist die frühere Verdi-Bezirksleiterin Breymaier Landesvorsitzende, "das einzige bundesweit bekannte Gesicht" der Südwest-SPD, wie Ex-Innenminister Reinhold Gall den GenossInnen am Wochenende ins Stammbuch schrieb.

Auftritte bei Lanz und Illner – eher unerwünscht

Allerdings ist das innerparteiliche Klima inzwischen so mies, dass ihre Auftritte bei "Markus Lanz", "Maybritt Illner" oder in "Hart, aber fair" von ihren WidersacherInnen als Eitelkeit ausgelegt werden – und nicht etwa als Beitrag dazu, der SPD zu dem allseits gewünschten schärferen Profil zu verhelfen. Dass die Talkshow-Macher dafür immer wieder die 58-Jährige aus der Provinz ins Studio holen – andere SPD-Landesvorsitzende in der Opposition und aus anderen Bundesländern würden darum beneidet –, zählt wenig in einer zerstrittenen Südwest-SPD, die früher mal eine große Nummer war in der bundesdeutschen Sozialdemokratie. Heute wird sie langsam aber sicher von innen demoliert. Durch Leute, denen linkes Denken ein Gräuel ist und Stuttgart 21 ein Sehnsuchtsort.

Wohlgemerkt: Der letzte große Erfolg ist Peter Conradi zu verdanken, mit seinem unermüdlichen Kampf gegen die Privatisierung der Deutschen Bahn, der, unterstützt von Peter Friedrich und Hermann Scheer, 2009 in Singen auch in einen entsprechenden Parteitagsbeschluss mündete.

Jetzt also Castellucci. Am Rande der Konferenz der Kreisvorsitzenden unterm Fernsehturm, kann oder will er vor den Medien programmatische Unterschiede zu den Positionen der Amtsinhaberin nicht benennen. "Positive Stimmung" will er erzeugen im Land. Auf Facebook empfiehlt er sich mit der Idee, Baden-Württemberg zum "fortschrittlichsten Bundesland machen" zu wollen. Selbstredend müsse die SPD die "modernste Landespartei werden".

Positive Stimmung soll ins Land. Das ist prima

Seit vielen Jahren werden ihm enge Kontakte zu den berühmt-berüchtigten "Netzwerkern" nachgesagt, jener losen SPD-Gruppierung, die sich auf die Kunst des Strippenziehens versteht, Theoriedebatten verabscheut und SPD-Promis wie Sigmar Gabriel, Hubertus Heil oder Lars Klingbeil zu den Ihren zählt. In Baden-Württemberg sind ihnen als Mitglieder oder Sympathisanten Ute Vogt, Nils Schmid, Peter Friedrich und die Karlsruher Regierungspräsidentin Nicolette Kressl verbunden. Und: Gewisse Vorgänge in Baden-Württembergs SPD bleiben unverständlich, wenn der heftige <link https: www.kontextwochenzeitung.de politik junge-rechte-rote-4729.html _blank internal-link-new-window>Mitte-Rechts-Kurs bei den hiesigen Jusos (!) übersehen wird. Wenige Stunden nach der Verkündigung seiner Ambitionen präsentierte sich Castellucci denn auch beim Parteinachwuchs.

Bauen kann der Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion für Migration und Integration ferner auf seinen mitgliederstarken Kreisverband Rhein-Neckar und auf die "sehr lange Erfahrung der SPD". Er hat sich in der Flüchtlings- oder Rüstungsdebatte auch gegen Sigmar Gabriel gestellt, er plädiert für Willkommenskultur und gegen Waffenexporte, in der Fraktion muckt er gelegentlich auf. Im Landesvorstand, sagen selbst Breymaier-SkeptikerInnen, müsste er öfter präsent sein. Bei der Verteilung der Aufgaben im Herbst 2016, als die Ursachen für die Landtagswahlpleite mit über zehn Prozent minus grundsätzlich aufgearbeitet werden sollten, machte sich Castellucci stark für ein sogenanntes Fortschrittsforum, in dem die "großen Themen unserer Zeit auf unser Bundesland" heruntergebrochen werden sollten, "um konkrete Lösungen vorzuschlagen". Installiert wurde das Forum dann doch nicht, das Herunterbrechen muss warten. Auf Anfrage von Kontext erwidert Castellucci, ein "solcher Schritt vorwärts" sei in der "aktuellen Aufstellung" nicht möglich gewesen; als Landeschef wolle er diese Idee jedoch umsetzen, um die Südwest-SPD wieder zur "Ideenfabrik der Sozialdemokratie" zu machen.

Auf dem Weg zum Mitgliederentscheid, der noch vor dem Landesparteitag (24. November) über die Bühne gehen soll, wird Leni Breymaier mit der Frage konfrontiert werden, warum die Umfragewerte weiter so schlecht sind – bei plus/minus elf Prozent. Vorgeworfen wird ihr, als Bundestagsabgeordnete zu selten im Land zu sein. Und immer wieder wird ihr angekreidet, dass sie sich 2016 für Luisa Boos als Generalsekretärin entschied, eine junge Genossin, die noch unbefangener als die Chefin linken Klartext zu reden pflegt und den "Netzwerkern" längst als Zielscheibe und Reizfigur dient.

Die Zielscheibe ist Generalsekretärin Boos

Boos' Abgang ist ein wichtiges Kollateralziel, das von den Mitte-rechts-Strategen beim Mitgliederentscheid verfolgt wird. Der übrigens kostet rund 85 000 Euro – Geld, das der finanziell notleidende Landesverband beispielsweise bei der immer wieder versprochenen Stärkung der Strukturen in der Fläche schmerzlich vermissen wird.

In der Welt der roten Scheinriesen werden jetzt erst einmal die Claims abgesteckt. Vor der Landtagsfraktion am Dienstagnachmittag macht der "neue Alte", wie einer Abgeordneter meinte, eine "ordentliche Figur". Schon wird gemunkelt, Castellucci wolle mit dem Griff nach Partei- und Landesvorsitz die Spitzenkandidatur im Jahr 2021 verbinden. An der hat aber schon Fraktionschef Andreas Stoch Interesse angemeldet.

Weil Mitglieder, jene der SPD ohnehin, unberechenbar sind, könnte nun wiederum die lachende Dritte die aktuelle Parteichefin sein. Schon zu Wochenbeginn hat sie für die nächste Zeit "Breymaier pur" versprochen. Darin verpackt ist die Ansage, auf Kompromisse – gerade mit den NetzwerkerInnen – künftig weitgehend zu verzichten. In Bälde wird sie sich ebenfalls der Landtagsfraktion stellen. Mehrere Regionalkonferenzen sollen stattfinden, ehe die 36 400 Mitglieder, so viele wie seit langem nicht, an die Urnen gebeten werden. Womit die Südwest-SPD wieder mal dieses (Vor-)Urteil bedient: Dass sie sich am liebsten mit sich selbst beschäftigt.


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10 Kommentare verfügbar

  • Jue.So Jürgen Sojka
    am 22.10.2018
    Antworten
    Schein und Wirklichkeit – scheinbar lernt das politische Völkchen nicht aus dem was Plusquamperfekt in Verbindung mit dem Präteritum noch weiter in die Vergangenheit zurückreichen lässt! ;-)
    Nicht bis in den Ursprung sogleich, also in das 19. Jahrhundert, in dem die [b]SPD’ler[/b] _ihren_ Ursprung…
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