Aber das ist ja trotzdem passiert ...
Naja, wenn alle Unzufriedenen AfD wählen würden, dann hätten wir ganz andere AfD-Ergebnisse. Das wäre dramatisch. Ich wünsche mir natürlich, dass alle Menschen, die mehr soziale Gerechtigkeit wollen, Die Linke wählen. Weil sie die einzige Partei mit einem sozialen Programm ist. Wir sind, anders als die AfD, nicht Teil des neoliberalen Parteienkartells, sondern als eine Partei gegründet worden, die die Agenda 2010 ablehnt und den Sozialstaat wiederherstellen will. Das sollten wir deutlicher machen, statt zu viel über Rot-Rot-Grün zu reden.
Stichwort "deutlich machen": Sie haben in letzter Zeit ein paar Sätze fallen lassen, von denen Sie als intelligente Frau wissen, was damit getriggert wird: "Kapazitätsgrenzen", "wer Gastrecht missbraucht, hat es verwirkt" oder "nicht alle Verarmten und Verelendeten können zu uns kommen". Ist das linker Populismus?
Meine Strategie ist nicht, Ressentiments zu bedienen. Das darf Die Linke nicht. Aber sie muss Ängste ernst nehmen. Dass Menschen, die in Deutschland leben, sich an die Gesetze und Regeln halten, die es hier gibt, ist ein ganz normaler Anspruch. Auch für jemanden, der aus dem Ausland nach Deutschland kommt. Zumal er hier Schutz und Hilfe bekommt.
Aber das ist doch klar. Muss man das wirklich extra sagen, wenn man ganz genau weiß, was man mit solchen Aussagen bedient?
Ich weiß nicht, ob das so klar ist. Bei vielen Menschen ist der Eindruck entstanden, es würden keine Regeln mehr gelten. Und das schürt Angst. Merkels Politik läuft darauf hinaus, dass sozial Schlechtergestellte gegen Flüchtlinge ausgespielt werden, weil man Konkurrenzsituationen schafft. Bei bezahlbaren Wohnungen, bei Niedriglohnjobs. Integration kann nur gelingen, wenn es ausreichend Wohnraum und genug Arbeitsplätze gibt. Und wenn man es den Rechten überlässt, Probleme anzusprechen, die es wirklich gibt, macht man sie stark.
Früher, in den linken Hochschulgruppen an unseren Universitäten, war noch klar, wer der Feind ist. Wenn in Versammlungen jemand mit AfD-Gelaber ankam, hatte man keinen Bock zu diskutieren. Auch weil man die Erfahrung macht, dass Reden nix bringt.
Von Studis kann man das meinetwegen verlangen. Aber wenn man alle Menschen, die Ängste, Ressentiments und Vorurteile haben, abhakt, dann wird man eine marginale Partei bleiben. Denn nicht wenige von denen, die in ihrem Leben nie die Chance auf gute Bildung hatten, die oft unter unsäglichen Bedingungen arbeiten und miese Löhne kriegen, die kommen eben auch mit dem, was Sie gerade "AfD-Gelaber" genannt haben – und die will ich nicht der AfD überlassen.
Wieso fischen Sie nicht bei anderen Parteien? Vielleicht SPD- und Grünen-WählerInnen?
Viele zur AfD Übergelaufene kommen doch aus den traditionellen SPD-Milieus. Didier Eribon hat das für Frankreich in seinem Buch beschrieben [Anm. d. Redaktion: "Rückkehr nach Reims", Suhrkamp 2016]. Leute, die früher sozialdemokratisch und links gewählt haben, wählen in Frankreich jetzt zu großen Teilen Front National, weil sie sich von den Hollande-Sozialisten im Stich gelassen fühlen. Eine ähnliche Entwicklung gibt es in Deutschland. Wenn Sozialdemokraten, die viele Leute mit Links identifizieren, in der Regierung Hartz IV einführen und in ihrer Steuerpolitik die Reichsten privilegieren, sagen sich viele "Links ist Mist" und gehen dann nach rechts. Die gewinnt man nicht einfach mit ein paar flotten Sprüchen zurück.
Leni Breymaier, die neue SPD-Landeschefin in Baden-Württemberg, könnte das schaffen. Sie hat Feuer, hält linke Reden und hat Lust auf linke Politik.
Natürlich gibt es Leute in der SPD, die links sind. Aber in der Regierung macht die SPD doch das Gegenteil linker Politik. Und das seit vielen Jahren.
Haben Sie angesichts der ganzen salonfähigen Ismen und Phobien vor irgendwas Angst? Was lässt Sie nachts wachliegen?
Natürlich die Angst, dass es in Europa massiv nach rechts geht. Es ist denkbar, dass Marine Le Pen die nächste französische Präsidentin wird. Bei Donald Trump hätte noch vor einem Jahr keiner gedacht, dass dieser Typ auch nur Präsidentschaftskandidat wird – und jetzt ist er Präsident. Ich habe die große Sorge, dass sich die ganze Wut, die sich bei Menschen aufgestaut hat, die sich abgehängt und alleingelassen fühlen, in hohen Ergebnissen für Rechtsparteien entlädt. Und wer das verhindern will, muss genau diese Menschen ansprechen und darf nicht auf sie herabsehen. Sonst kann sich das gesamte politische System verändern. Es ist nicht ausgemacht, dass die Grundsätze von Rechtsstaatlichkeit oder von Oppositionsrechten für die Ewigkeit sind.
49 Kommentare verfügbar
Daniel Dragmanli
am 15.12.2016https://linksunten.indymedia.org/node/172982/unfold/all
Sehr lesenswert für alle, die noch an das Gute in der Linkspartei glauben, und entsprechend garniert mit …