Es war am 11. September 2024, dem 23. Jahrestag der islamistischen Terroranschläge in den USA. Es war der Morgen nach dem TV-Duell im Präsidentschaftswahlkampf zwischen Kamala Harris und Donald Trump. Dessen Auswürfe über Katzen und Hunde essende Einwanderer noch im Ohr, hörte ich die Nachricht vom Tod Caterina Valentes.
Und es war der Tag, bevor der Stuttgarter Bäckermeister Hans-Georg Schmälzle auf dem Waldfriedhof beerdigt wurde. Kaltes, nasses Herbstwetter überfiel uns, und vor meinen Augen kreuzten sich so viele Wege, dass ich wieder mal nicht mehr wusste, wo mir der Kopf stand. Immerhin habe ich noch einen.
Bevor ich das Haus verließ, legte ich eine Schallplatte auf, 2013 war sie vom SWR in einer limitierten Auflage veröffentlicht worden: "Early Chet. Chet Baker in Germany 1955 – 1959". Im Innern des Albums ist ein Foto abgebildet: Chet Baker mit Trompete, Caterina Valente, singend mit Gitarre. Aufgenommen 1956 in Baden-Baden. Die Künstlerin ist auf dieser LP in den Songs "I'll Remember April" von Gene de Paul und "Every Time We Say Goodbye" von Cole Porter zu hören. Solche Stücke sind eine gute Einstimmung auf einen Tag, der im Hirn geordnet werden muss.
Die Sängerin, Instrumentalistin, Schauspielerin, die große Entertainerin Caterina Valente konnte so ziemlich alles, was es im Musikgeschäft zu tun gibt: Jazz, Pop, Bossa Nova, Chanson, Musical. Tanzen. In Deutschland war sie, die Weltoffene, vor allem mit Schlagern erfolgreich, man wusste hier wenig über ihre Auftritte in den Shows von Dean Martin und Bing Crosby oder ihre eigene Show am New Yorker Broadway.
Der Spaziergänger-Blick auf die Welt öffnet sich mir ja öfter mal in einer Pfütze vor der Haustür. Deshalb sei erwähnt, dass das Zirkuskind Caterina Valente, geboren am 14. Januar 1931 als Tochter italienischer Eltern, ihren ersten Bühnenauftritt 1936 im Stuttgarter Varieté Friedrichsbau hatte. Dass sie und ihre Familie den Faschismus zu spüren bekamen: Gefangenschaft in Breslau, Vertreibung in die UdSSR.
Nach dem Krieg adelte sie die Rundfunksender in Stuttgart und Baden-Baden mit vielen Produktionen, darunter große Fernsehshows. Es wäre also angebracht, die Stadt Stuttgart würde ihr ein angemessenes Denkmal setzen. Weltstars mit deutschem Pass gibt es nicht oft, so wahr in dieser Stadt auch heute ein Varieté namens Friedrichsbau existiert, wenn auch einige Höhenmeter von der Vergangenheit entfernt.
Hinterzimmer mit Bienenkorb-Intimität
Der Tag, von dem ich berichte, schubste mich in die Altstadt. Das hatte mit dem Tod des Bäckers Hans-Georg Schmälzle am 26. August zu tun, ich hatte davon erst spät erfahren. Gut vierzig Jahre lang führte er mit seiner Frau Helga in der Hauptstätter Straße 41 im Leonhardsviertel die Bäckerei und das Café Schmälzle, ein Frühlokal, Treffpunkt für allerlei Nachtvögel und Sonnenaufgangfreaks. Ein wärmender Fluchtort, der vor allem in der Ära des frühen Zapfenstreichs in der Stuttgarter Kneipenszene in den Siebzigern und Achtzigern unersetzlich war. Zum Abschied des Ehepaars aus der Altstadt notierte ich Ende 2011:
"Im Café Schmälzle, einem Hinterzimmer mit Bienenkorb-Intimität, gingen morgens um sechs die Lichter an. Zuvor hatte der Bäcker gute Brezeln zubereitet, nicht dieses Industriezeugs aus den Pappkartons. Schon bevor sich die Tür öffnete, reichte er auf Klopfzeichen köstliche heiße Schinkenhörnchen durchs Fenster seiner Backstube. Im Café Schmälzle versammelte man sich in der Absicht, die Welt zu retten, sie aus den Angeln zu heben oder wenigstens den welthaltigen Roman zu schreiben. Das Lokal blieb immer unbeschadet, selbst wenn die Altstadtguerilla im Kampf gegen die guten Sitten auf dem Tisch tanzte und schmutzige Lieder sang, bis Beziehungen in die Brüche gingen – und die dank Schmälzle wieder gekittet wurden. In solchen Stunden war die Freiheit groß. Der Gast genoss Immunität. Kein Polizist wäre auf die Idee gekommen, mit Handschellen herumzufuchteln und einen der üblichen Verdächtigen auf dem Hoheitsgebiet der humanen Bäckerfamilie festzunehmen." Und es gab Eier im Glas.
Helga Schmälzle hatte Laden und Café im Griff – und vor allem ein großes Herz. Die Güte in Person. Nach dem Tod ihres Mannes, er wurde 72 Jahre alt, bleibt mir nur, ihr alles Gute zu wünschen.
Schlecht gealtert wie Italo-Western
In den früheren Räumen der Schmälzles ist heute das VfB-Fanprojekt. Zuvor hatte dort der DGB eine Beratungsstelle namens Basis eingerichtet; 2016 fand hier ein Fest mit Live-Musik, Fotoausstellung und kleinen Vorträgen statt. Noch einmal sollte der Zusammenhalt im Rotlichtviertel, die gute Nachbarschaft der Menschen im Milieu beschworen werden.
Wenn ich mich heute mit der Altstadtvergangenheit beschäftige, dann nicht aus nostalgischer Weltflucht. Im Gegenteil. Als ich Erinnerungen suchte, fand ich in meinem Taschentelefon überraschend eine Mail, die mir 2017 ein Kenner des Rotlichtmilieus aus dem Ausland geschickt hatte. Keine Ahnung, wie sich diese Botschaft sieben Jahre lang in einem Ordner halten konnte, den ich nie registriert hatte. Der Text ist nicht nur kenntnisreich, sondern auch sehr schön geschrieben. Hier ein Auszug:
1 Kommentar verfügbar
nesenbacher
vor 3 WochenBrezeln und Schinkenhörnchen beim Schmälzle (nicht nur zu früher Stunde) waren unschlagbar.
Die Schmälzles sind generationenübergreifend…