Kein vernünftiger Mensch beginnt eine Kolumne, so er eine hat, mit seinem lächerlichen Weltwetterschmerz. Erst recht nicht in einer Zeit, da die bevorstehende Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen in unserer unmittelbaren Umgebung das Klima beherrscht. Doch es ist so heiß da draußen, dass ich als Spaziergänger nur noch ein Schattenleben führe, in Deckung gehe vor der Sonne und den Schattenkriegen, die uns bedrohen.
Inzwischen ist bekannt, dass die Amerikaner das Deutschland-Gastspiel ihrer fliegenden Superwaffen schon vor dem russischen Überfall auf die Ukraine geplant haben, etwa im sonnigen Wiesbaden. Der wahre Zeitpunkt dieser Entscheidung scheint aber nicht mal eine Fußnote wert in einem Land, in dem spät erleuchtete Männer öffentlich ihre Kriegsdienstverweigerung bereuen, auch wenn sie heute kaum noch zu einem Kommando an der Gulaschkanone fähig wären. Die Mobilmachung zur "Kriegstüchtigkeit" sitzt tiefer im Kopf als mein Sonnenstich.
Unter einem tüchtigen Menschen versteht man laut Duden jemanden, der seine Aufgaben mit Können und Fleiß bewältigt. Beispielsweise Politiker:innen, die uns trotz besserem Wissen nahezu widerspruchslos unterjubeln können, dass die Raketen-Entscheidung nur wegen der Russen in der Ukraine gefallen sei. Der Volksmund verwendet das Wort "tüchtig" auch ironisch: etwa, wenn es Zeit ist, jemandem eine tüchtige Tracht Prügel zu verpassen. So gesehen ist der Begriff "kriegstüchtig" rundum stimmig.
Kampfflugzeuge am tiefblauen Himmel
Die Hochofensommertage des Jahres 2024 führen dazu, dass ich als Schatten suchender Herumstiefelknecht meiner selbst noch häufiger zum Schwarzsehen neige als bei unserer üblichen Witterung mit Sturm und Starkregen. Damit kein falscher Verdacht angesichts meines Geisteszustands aufkeimt: Um glücklich zu sein, musst du negative Emotionen zulassen. So steht es in Oliver Burkemans Buch "Das Glück ist mit den Realisten". Und als Realist auf Stadtwanderschaft sehe ich auch bei tiefblauem Himmel Kampfflugzeuge zwischen dunklen Wolken.
Der Krieg kommt im Übrigen nie aus blauem Himmel, er wird tüchtig vorbereitet. Problemlos gelingt das, wenn viele so tüchtig mitmachen, als hielten sie die Militarisierung für den neuesten Stimmungstrend, eine weitere Gelegenheit, sich wie bei teuren Entertainment-Shows mit uniformer Vielfalt selbst zu feiern.
In der Zeitung lese ich, dass die Stadt Stuttgart vorhat, im nächsten Sommer Nebelduschen aufzustellen. Kennen wir, dachte ich, seit eh und je werden wir von der Obrigkeit mit Vernebelungsduschen nassgemacht. Im aktuellen Fall allerdings geht es um Sprühmaschinen, die Trinkwasser in Nebelschwaden verwandeln, um unseren Kollaps an schwülen Tagen zu verhindern. Ich hoffe, die Wirkung ist nicht allzu stark, damit die tüchtig aufgeheizte Kriegsbegeisterung nicht von mentaler Unterkühlung gefährdet wird.
Als Fußgänger, der sich auf engen, von zu großen Autos, Menschen mit noch größeren Hunden und von bissigen Radfahrern okkupierten Bordsteinen durch die Stadt boxen muss, habe ich immer öfter ein Kampflied auf den Lippen. Zurzeit singe ich mit Blick gen Himmel und nach Wiesbaden: "Oh Warlord, won't you buy me / A Leopard 2 / My friends all drive Pumas / I must make amends …" Vom Reim her natürlich voll scheiße, Frau Joplin möge mir verzeihen. Es liegt an der Hitze.
Es lebe das vielfältige Stuttgart
Rathäusler sind zurzeit bemüht, in ihrer Stadt sogenannte Hitzeinseln zu schaffen, damit wir nicht schon im nächsten Kanonenofensommer und noch vor Kriegsbeginn eingehen. Im Gespräch als Kühlhallen sind auch Kirchen. Guter Vorschlag: Gotteshäuser findest du schneller als Nebelduschen – und garantiert ohne Google Maps. Du folgst einfach ihrem Glockengetöse, das erklärt, warum ich täglich Mail-Angebote wie dieses erhalte: "Neues Mini-Hörgerät: die Geheimwaffe für glasklare Gespräche".
1 Kommentar verfügbar
nesenbacher
am 07.08.2024Beste Unterhaltung, trotz täglichem Wahn.
Weiterhin sicheren Gang entlang der Bordsteinkante.