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Stadtmodelle und Modellbahnanlagen

Die Stadt im Kleinen

Stadtmodelle und Modellbahnanlagen: Die Stadt im Kleinen
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Wolfgang Freys Modellbahnanlage rund um den Stuttgarter Hauptbahnhof gehört zu den größten Stadtmodellen der Welt und ist in Konzeption und Details einzigartig. Das zeigt ein Vergleich mit anderen Stadtmodellen.

Die eigene Welt im Miniaturformat nachzubauen, kann zur Obsession werden. Wolfgang Freys Leben war von seinem 18. Lebensjahr an, vor allem aber seit ihm die Deutsche Bahn dafür einen Nebenraum in der S-Bahn-Station Schwabstraße zur Verfügung stellte, zunehmend von seinem Stadt- und Bahnmodell bestimmt. In seinen letzten zwanzig Jahren existierte er fast nur noch für seine hochdetaillierte Nachbildung des Stuttgarter Hauptbahnhofs, des Schienengeländes und der umgebenden Bebauung.

Das ging bereits Antonin Langweil ähnlich. Der 1791 im böhmischen Krumau, heute Český Krumlov, geborene Staatsbeamte, Bibliothekar und Lithograf bastelte von 1827 an ein Modell der Stadt Prag aus Papier, die Fassaden mit Lithografien bedruckt. "Zum Unmut seiner Frau", schreibt eine Reiseleiterin namens Daniela in ihrem Blog, "steckte er praktisch jede freie Minute und viel Geld in die Verwirklichung seines Werkes. Im Jahre 1837 brach er erschöpft zusammen. Nach seinem Tod hatte seine Witwe nicht einmal genug Geld für sein Begräbnis."

Auch der Architekt Hans Langmack aus Zürich hat das Modell seiner Stadt in seiner Freizeit gebaut. 22 Jahre hat er gebraucht, von 1920 bis 1942. Das Modell zeigt Zürich ums Jahr 1800. Langmacks Ausgangspunkt war ein historischer Stadtplan, er fertigte Aufmaße von allen noch bestehenden Gebäuden und sammelte historische Fotos, Gemälde und Zeichnungen, um alles zu rekonstruieren, was nicht erhalten war.

Ein Stadtmodell als Geschenk zur Krönung

Der Stolz auf die eigene Stadt war – neben der reinen Freude am detailgenauen, verkleinerten Abbild – schon zu früheren Zeiten der erste Grund, warum Stadtmodelle gebaut wurden. Jakob Sandtner etwa, ein Drechslermeister aus Straubing, fertigte im 16. Jahrhundert zuerst aus eigenem Antrieb ein Modell seiner Heimatstadt an. Als der Bayern-Herzog Albrecht V. davon erfuhr, bestellte er bei ihm weitere Modelle aller seiner Residenzstädte. Andere Fürsten hatten ihre Städte in gemalten oder gedruckten Ansichten vor Augen wie Maximilian II. von Böhmen, der von seinem Vater, Kaiser Ferdinand I., die erste detailgetreue, zwei Meter breite gedruckte Ansicht von Prag zur Krönung geschenkt bekam. Das war 1562, also genau zur selben Zeit.

Im 19. Jahrhundert, einer Zeit tiefgreifender Veränderungen, trat daneben der Wunsch, einen historischen Zustand wenigstens im Modell zu bewahren. Solche Stadtmodelle finden sich in vielen Museen, etwa in Böblingen oder in Biberach. Aber auch Langmacks Bemühungen um Zürich sind vom selben Wunsch geprägt. In Wien entstanden im 19. Jahrhundert gleich drei Stadtmodelle. Das erste zeigt die Stadt im Jahr 1845, noch mit den historischen Befestigungsanlagen, die ab 1858 geschleift wurden. Es passt auf einen Quadratmeter. Die beiden anderen sind dagegen, wie die Modelle von Langweil und Langmack, ungefähr 20 Quadratmeter groß.

Freys Modell breitet sich über 180 Quadratmeter aus: neunmal so viel. Das liegt auch am Maßstab, der wiederum durch die Modellbahn bestimmt ist. Anfänglich wollte Frey den Hauptbahnhof im Märklin-Maßstab H0 (1:87) bauen, musste dann jedoch feststellen, dass sowohl das Bahnhofsgebäude, als auch erst recht das Gleisvorfeld viel zu groß geworden wären. So wich er auf die Spurbreite N aus, das entspricht dem Maßstab 1:160. Die Gebäude sind dementsprechend dreimal so groß wie bei allen bisher besprochenen Stadtmodellen, bei denen der Maßstab zumeist zwischen 1:400 und 1:750 liegt.

Maßstab und Möglichkeiten

Dieser größere Maßstab ermöglichte ihm, das Geschehen im Vorfeld des Bahnhofs, auf den Bahnsteigen sowie beidseits der Bahnanlagen sehr viel detaillierter darzustellen als in herkömmlichen Stadtmodellen – wovon Frey mit Lust, Witz und einer schier unglaublichen Erfindungsgabe Gebrauch machte. Dies will nun auch Rainer Braun, der das Modell aus der Schwabstraße ausgebaut hat und im Hindenburgbau die Miniaturwelten betreibt, zum Mittelpunkt seines Sommerprogramms machen, das sich insbesondere an Kinder richtet.

Denn die wenigen noch größeren Stadtmodelle sind wiederum in einem viel kleineren Maßstab gehalten, da es sich durchweg um Megastädte handelt. Das Modell von New York etwa bedeckt selbst im Maßstab 1:1.200 noch eine Fläche von 867 Quadratmetern und ist damit das größte Stadtmodell der Welt. 1964 ursprünglich für eine Weltausstellung angefertigt, ist es heute die Hauptattraktion des Queens Museums. Mehr als 100 Personen haben drei Jahre lang daran gearbeitet. Gekostet hat es damals 673.000 US-Dollar, auf heutige Preise umgerechnet entspräche das mehr als fünf Millionen.

Ähnlich, wenn auch nicht ganz so groß, sind einige Modelle, die nach der Jahrtausendwende in China entstanden sind, um zu zeigen, wie sich die Städte bis zum Jahr 2020 entwickeln würden. Man meint die Wolkenkratzer förmlich aus dem Boden wachsen zu sehen. In Shanghai etwa beträgt der Maßstab 1:500, das reicht bei einer Fläche von 480 Quadratmetern gerade mal für das Stadtzentrum – und in Beijing verhält es sich ähnlich. Ein ähnliches, wenn auch nur 110 Quadratmeter großes Modell gibt es in Singapur. Es steht im Zentrum der Singapore Gallery, die 1999 für 4,2 Millionen Singapur-Dollars eingerichtet wurde, um die Entwicklung des Stadtstaats vor Augen zu führen.

Stadtmodelle als Publikumsmagneten

Deutlich kleiner, aber immer noch beeindruckend genug, ist ein Modell von Toronto, der größten Stadt Kanadas, aus dem Jahr 1989. Im Maßstab ähnlich wie das von New York, war es ursprünglich als ein Instrument der Stadtplanung gedacht, ist inzwischen jedoch mit 100.000 Besucher:innen im Jahr zur touristischen Attraktion geworden. Neuerdings hat es jedoch Konkurrenz bekommen. Jean-Louis Brenninkmeijer, ein Mitglied der C&A-Familie, war von der Obsession angesteckt, als er 2011 in Hamburg das Miniatur Wunderland besuchte. 10 Millionen Dollar seines eigenen Vermögens investierte er zunächst in "Little Toronto", eine Modellbahnanlage im Maßstab 1:87, die er später mit weiteren, eingeworbenen Geldern – insgesamt 24 Millionen – zu "Little Canada" erweiterte. Auch er zählt 100.000 Besucher:innen im Jahr.

Natürlich kann man eine Drei-Millionen-Stadt wie Toronto nicht im Maßstab 1:87 nachbilden, und schon gar nicht ein ganzes Land. "Little Toronto" ist eine Modellbahnanlage mit wiedererkennbaren Gebäuden wie dem Stadion "Rogers Centre" oder den im Modell drei Meter hohen Union-Park-Hochhäusern von Norman Foster. "Little Canada" lässt sich insofern vielleicht am besten mit Madurodam in Den Haag vergleichen: ein Modellpark im Maßstab 1:25 auf einer Fläche von 18.000 Quadratmetern und eine der größten touristischen Attraktionen der Niederlande.

Eine faszinierende Geschichte: Mit der Anlage wollten die Eheleute Joshua und Rebecca Maduro an ihren Sohn George erinnern, ein auf Curaçao geborener Jude, der gegen das NS-System Widerstand geleistet hatte und im KZ Dachau ermordet worden war. Die Besucher, darunter häufig auch hohe Staatsgäste, bewegen sich durch eine Kulisse von knie- bis hüfthohen, bekannten Gebäuden aus dem ganzen Land.

Spieltrieb? Nostalgie? Der Versuch, die Realität übersichtlich, beherrschbar zu machen? Was ist es, was Menschen antreibt, einen Großteil ihrer Zeit und ihrer Lebensenergie in die Rekonstruktion ihrer Welt im Miniaturformat zu stecken? Geht es um die Identifikation mit der eigenen Stadt, dem eigenen Land? Wohl ein bisschen von allem, mit unterschiedlichen Anteilen.

Horst Dühring etwa, 1930 in Königsberg geboren, konnte sich nach dem Krieg nicht damit abfinden, dass seine Stadt dem Erdboden gleichgemacht war. Er baute sie nach, im Maßstab 1:200. Das Modell steht heute im Museum von Kaliningrad, die Stadt interessiert sich wieder für ihre Geschichte. Im Anschluss baute Dühring auch noch ein Modell der historischen Mitte Berlins. Das elektrisierte den Förderverein für die Rekonstruktion des Preußenschlosses: Beim Wiederaufbau des heutigen Humboldt-Forums hat Dührings Modell eine wichtige Rolle gespielt. Eine ambivalente Geschichte.

Freys Modell braucht Spenden

Ebenso ambivalent ist die Geschichte der Stadtmodelle von Frankfurt. Da gibt es das vom Historischen Museum angeregte Altstadtmodell der Brüder Hermann und Robert Treuner, das die Innenstadt vor den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs zeigt. Nach dem Krieg entstand aber auch noch ein Trümmermodell, das vor Augen führen sollte, dass es vollkommen aussichtslos sei, die Altstadt wieder aufzubauen. Die Ironie der Geschichte: Das Treuner-Modell diente dann als Grundlage für die heutige Altstadt-Rekonstruktion.

Die einen wollen die Vergangenheit festhalten, die anderen der Zukunft vorgreifen. Wolfgang Frey tat keines von beiden. Er operierte, bildlich gesprochen, am offenen Herzen der Stadt. Das kann weh tun. Die einen wollen das alte Gelump nicht mehr sehen, das er in seinem Modell verewigt hat, und halten an einer Zukunftsvision fest, die sich längst selbst widerlegt hat. Die anderen trauern dem Verschwundenen nach.

Freys Modell zeigt keine Utopie, bedient aber auch keine Nostalgie. Es konstruiert keine heile Welt der Vergangenheit, auch wenn vieles von dem, was er nachgebaut hat, inzwischen verschwunden ist. Er porträtiert den Bau von Paul Bonatz und die Bahnanlagen, die Stuttgart erst zur Großstadt gemacht haben, mit Sympathie, ja Liebe zu den Menschen und den kleinen Details. Er thematisiert sogar die Umbruchsituation und ihre psychischen Folgen: hier ein Haus, das gerade abgerissen wird. Dort ein Mann, der sich von einem Dach zu stürzen droht.

Das ist einzigartig. Das kann kein anderes Stadtmodell bieten. Insofern ist Freys Modell doch ein Kunstwerk. Dessen Zukunft allerdings immer noch nicht gesichert ist: Um den dauerhaften Betrieb im Stuttgarter Hindenburgbau weiterhin gewährleisten zu können, sammelt Rainer Braun Spenden. Von den angestrebten 20.000 Euro sind bislang gut 4.000 zusammengekommen.


In den Schulferien sind die Miniaturwelten im Hindenburgbau gegenüber dem Stuttgarter Hauptbahnhof täglich von 13 bis 17 Uhr geöffnet. Infos und Spendenaufruf unter miniaturweltenstuttgart.de.

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1 Kommentar verfügbar

  • bedellus
    am 13.08.2024
    Antworten
    Dankeschön für diesen guten Beitrag in so bösen Zeiten!
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