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Frau, jung, links

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Baden-Württembergs SPD ist am Boden. Dennoch leistet sie sich eine Debatte darüber, ob eine alleinerziehende Mutter mit Studium und zehn Jahren Parteierfahrung Generalsekretärin werden kann. Beim Parteitag in Heilbronn muss sich zeigen, wie viele bereit sind, Luisa Boos eine Chance zu geben.

Luisa Boos ist 31. Ihr Alter, genauer gesagt: ihre Jugend, wird ihr angekreidet. Dabei könnte sie bei baden-württembergischen Mittelständlern im Vorstand sitzen, sie könnte Professorin sein, mehrfache Fußballweltmeisterin, vielgerühmte Schriftstellerin oder Nobelpreisträgerin. Nur eines traut der Südbadenerin eine erkleckliche Zahl, vor allem von Männern, nicht zu: dass sie in den schwersten Zeiten, die der Landesverband je erlebt hat, das Amt der Generalsekretärin ausfüllt. 

Viele Gespräche in diesen Tagen laufen nach dem Schema ab, sie sei halt noch recht jung, dann werden – ohne Details zu nennen – grundsätzliche Zweifel an ihrer Befähigung zusammengetragen. Und zum Schluss fällt der Satz: "Aber ich kenne sie eigentlich gar nicht richtig." Dennoch wird ihr von zahlreichen Parteifreunden abgesprochen, ausreichend Erfahrung dafür mitzubringen, neuen Mut und neues Selbstbewusstsein nach innen wie nach außen zu vermitteln. Dabei wäre sie – bei Anlegung jener Maßstäbe, die in Sonntagsreden für Themen wie Gleichberechtigung, Integration und Teilhabe gelten – geradezu eine Idealbesetzung.

Ihre Familie hat Migrationserfahrung, die Mutter kam als Gastarbeiterin aus Bosnien. Der Vater ist Bäckermeister, Luisa wollte als Kind ebenfalls Bäckerin werden. Es sei immer viel diskutiert worden in der Familie, erzählt sie. Wenn es um Frauenrechte geht, ist die Oma Gradmesser, mit ihrem regelmäßigen Hinweis darauf, wie lange die immer gleichen Kämpfe schon gekämpft werden. Zum Abitur ging's nach einer "rebellischen Phase" erst über den Umweg Mittlere Reife. Dennoch hat sie sich schon mit 18 selbständig gemacht und Software-Lösungen für Bäckereien entwickelt, später verdiente sie ihre Brötchen beim Softwareunternehmer Hendrichsen.

Während der Kriege auf dem Balkan flüchteten bosnische Verwandte nach Sexau und damit ins sichere Deutschland. Die Zeit habe sie "stark geprägt", sagt sie. Mit weitreichenden Konsequenzen: Denn als Gerhard Schröder im Irakkrieg "keine Minute schwächelt" in seinem Widerstand, nähert sie sich der SPD an. Am Abend der Bundestagswahl im September 2005 beschließt sie mit einer Handvoll anderer, einen Juso-Kreisverband in Emmendingen zu gründen. Vor einem Jahr wurde sie zur Ehrenvorsitzenden ernannt, weil sie sich, so ihr Nachfolger, "als stets engagierte Frau für unsere Grundwerte stark macht".

Anonyme Genossen sprechen gerne von aufgerissenen Gräben

Mehrere Kreisverbände hat sie seit ihrer Nominierung besucht. Dort gibt es durchaus Unterstützung, in Stuttgart sogar förmlich und ohne eine einzige Nein-Stimme. Dennoch lassen sich im Vorfeld des Parteitags immer wieder namentlich nicht genannte Genossen zitieren, mit der Klage über die internen Gräben, die aufgerissen worden seien. Von einer Erpressung durch die designierte Landeschefin Leni Breymaier ist die Rede: weil jedem klar sein müsse, dass der Erneuerungsprozess mit einem Fehlstart belastet wäre, würde die Generalsekretärin in Heilbronn durchfallen.

Boos will kein Öl ins Feuer gießen, redet lieber über ihre Pläne, Junge und Jüngere verstärkt für die SPD zu interessieren. Auf Parteitagen, erzählt sie, ist sie lange "gammelig herumgelaufen", weil sie nicht wie eine Erwachsenenkopie wahrgenommen werden mochte. Das Studium der Politik- und Sozialwissenschaften schloss sie mit einer Arbeit über den zivilen Friedensdienst ab. Europapolitik nennt sie als Lieblingsthema, die Entwicklung in Polen oder der "Brexit" bekümmern sie, weil in beiden Ländern gerade die Jüngeren zu bequem waren zum Wählen. Auch dass so viele deutsche Männer ihres Alters Rechtspopulisten ihre Stimme geben, will ihr nicht in den Kopf.

Die designierte Generalsekretärin, die sich als Scharnier zwischen den einzelnen Ebenen der Partei und zwischen Partei und Gesellschaft versteht, hofft, grundsätzlich mehr Menschen an Politik heranführen zu können. Immer wieder hört sie in Gesprächen Sätze wie: "Für Politik interessiere ich mich nicht." Für sie sei das nicht das Ende, sondern der Einstieg in eine Unterhaltung. Zum Beispiel über ein Thema wie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Daheim in Sexau in ihrem Mütternetzwerk – sie ist selbst Alleinerziehende mit einem sechsjährigem Sohn – erlebt sie das immerwährende Dilemma: Entweder Frauen arbeiten und wesentliche Teile des verdienten Geldes fließen in die Betreuung der Kinder. Oder Frauen arbeiten nicht und haben deshalb schon heute berechtigte Angst vor Altersarmut.

Die Männermacht ist in Gefahr. Das tut weh

"Luisa kann Partei", sagt die stellvertretende Landesvorsitzende Hilde Mattheis. Seit 2009 arbeitet Boos für die Ulmer Bundestagsabgeordnete und Parteilinke. Sie kenne den Landesverband wie nur wenige: als stellvertretende Vorsitzende der traditionell einflussreichen Antragskommission, der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen und des Kreisverbandes Emmendingen. Sie führt den Ortsverein Sexau, ist im Ehrenamt - zuständig für Öffentlichkeitsarbeit - im Landesfrauenrat engagiert. Sie ist vernetzt und verankert, mit wenigen Klicks lässt sich im Internet verfolgen ("Luisa4Europe"), wie breit ihre Themenpalette ist und wie ausgeprägt ihre Meinungsfreude. Dass dennoch schlecht geredet wird über sie, dafür hat Manuela Rukavina, die Vorsitzende des Dachverbandes aller Frauenverbände im Land, eine ebenso kurze wie treffende Erklärung: "Jetzt geht es um die Macht. Und das tut weh."

Wie weh, lässt SPD-Fraktionschef Andreas Stoch im Interview mit seiner Heimatzeitung erkennen. Auf die Frage nach der "parteiintern durchaus umstrittenen" designierten Landesvorsitzenden verleiht der Ex-Kultusminister seiner Hoffnung Ausdruck, "dass vom Parteitag ein Signal der Geschlossenheit in die Öffentlichkeit geht". Eine Prognose wolle er allerdings "nicht wagen". Unterstützung sieht anders aus: kein anerkennendes Wort für Breymaier, erst recht keines für deren Wunschkandidatin Boos. Teile der sozialdemokratischen Männerriege sind anhaltend verstimmt, weil sich die Noch-Verdi-Bezirksleiterin die Personalie nicht hat ausreden lassen.

Boos lacht auf die Frage nach ihrem Verhältnis zur Fraktion. Kein abfälliges Wort, nur so viel, dass sie seit ihrer Juso-Zeit weiß, wie anders die Maßstäbe sind, mit denen Frauen gemessen werden. "Wir müssen immer doppelt so gut sein", sagt sie. Und dass Debatten nie schaden. Im Gegenteil: "Streit muss stattfinden, sonst verlieren Parteien ihren Wert." Am Wochenende in Heilbronn will sie "die Rede meines Lebens halten" und erwartet, dass danach sich manches von selber erledigt. Zum Beispiel die Debatte über links und rechts. Mit der Doppelspitze steht der Landesverband vor einem Linksruck. Aber wann, wenn nicht in der Opposition und nach einer derartigen Wahlklatsche, seien Veränderungen angebracht, lässt Breymaier schon mal vorsorglich ausrichten.

Links sein, das hat für Boos mit einem gesellschaftlichen Entwurf zu tun, aber auch mit einem selbstbestimmten Menschenbild als Grundlage konkreter politischer Entscheidungen. Ein aktuelles Beispiel ist die Initiative von Manuela Schwesig, Unterhaltsvorschusszahlungen über die bisher geltende willkürliche Altersgrenze des Kindes von zwölf Jahren bis zum 18. Geburtstag fortzusetzen. Die Bundesfamilienministerin bezeichnet sie als Vorbild. Ebenso wie Katrin Altpeter ("Die bewundere ich sehr") und natürlich Willy Brandt. "Die Zeit der Enkel ist vorüber", sagt einer, der sie seit der gemeinsamen Zeit im Juso-Landesvorstand kennt, "jetzt kommt die Zeit der Urenkelinnen." Und eine von ihnen "könnte gut die Luisa sein".

Kürzlich wurde sie von interessierten Dritten geoutet, als Mitglied einer geschlossenen Facebook-Gruppe, in der mehrere Diskutanten – nicht Boos persönlich – bekannt waren für ihren rüden Umgangston. Das war vor fünf Jahren. "Da gab es in der Tat Verletzungen", urteilt sie heute. Alle Beteiligten hätten aber "lange daran gearbeitet, das hinter uns zu lassen". In ihrer Bewerbung für den Parteitag bietet sie sich ausdrücklich an als Expertin für politische Strategie und Kommunikation. "Ich erwarte ein ehrliches Ergebnis", sagt sie und baut vor. Denn das könne in zwei Jahren, bei der schon heute angestrebten Wiederwahl, noch besser sein. 


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17 Kommentare verfügbar

  • tauss
    am 26.10.2016
    Antworten
    @strohheker... Ich habe, auch unter Bezug auf den Artikel von H-W, jetzt nur über die SPD-internen Probleme in Baden-Württemberg geredet. Und deren ZENTRALES Problem ist seit Jahren die Landtagsfraktion;) Über die Herren Schulz und Gabriel lasse ich mich gerne an anderer Stelle aus... ;)
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