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Herzen an Lederriemen

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Der Schwarzwald wird zum Fantasy-Wald, der eher an "Herr der Ringe" als an Heimat erinnert. Der antikapitalistische Kern des Hauff'schen Märchens bleibt erhalten. "Das kalte Herz", meint unser Filmkritiker, taugt nicht für klassische Schwarzwald-Touristikwerbung. Aber für einen Kino-Besuch.

"Aber es freute ihn nichts, kein Bild, kein Haus, keine Musik, kein Tanz; sein Herz von Stein nahm an nichts Anteil, und seine Augen, seine Ohren waren abgestumpft für alles Schöne."
(Aus: "Das kalte Herz" von Wilhelm Hauff)

Der Wald steht schwarz und schweiget nicht. Denn die düsteren Bilder von Bergen und Bäumen werden akustisch aufgewuchtet durch dröhnende Musik und blitzdonnerndes Gewitter, eine schwere Stimme erzählt dazu von einem archaischen, aber sterbenden Reich voller Naturgeister, denen der Raum entzogen wird. Der Holländer-Michel, so das Verdikt, "brachte die Gier in die Welt". Jetzt ist es vorbei mit dem Einklang zwischen Natur und Mensch, jetzt fallen massenhaft die Bäume und werden verflößt und verkauft, jetzt teilt sich die Welt auf in Arm und Reich. Die Welt? Jawohl, die Welt. Denn das Märchen von Wilhelm Hauff, das der 1802 in Stuttgart geborene und dort schon 1827 gestorbene Autor gleich im ersten Satz dezidiert in den Schwarzwald einschreibt, wird gleich im Prolog von Johannes Nabers Kinoadaption aufgebrochen und ausgeweitet. Der Ort der Handlung mag noch Schwarzwald heißen, aber er ist aus dem Regionalen hinausgewachsen, er ist nun ein Fantasywald, der eher an den "Herrn der Ringe" oder "Avatar" erinnern soll als an den deutschen Heimatfilm.

Und nun ein sehr putziges Eichhörnchen auf einem Ästlein, ein höhnisch ins Sonnenlicht gesetztes Idyll, das nur entworfen wird, um es sofort zu zerstören. Denn da unten am dämmrigen Boden droht Peter Munk (Frederick Lau), der Köhlerjunge, an seinem mühsam aufgeschichteten Meiler zu verkümmern. Aber nein, er will sich nicht seinem Schicksal fügen! Der Trotz lauert in seinem rußigen Gesicht, er legt die Stirn in Falten, er hat Aufruhr im Sinn - und dazu noch Lisbeth (Henriette Confurius), die schöne Tochter des arroganten Glashüttenbesitzers Löbl (Sebastian Blomberg). Zunächst jedoch hagelt es für Peter Niederlagen: Die Flößer schauen vorbei und verprügeln ihn, in der Wirtsstube wird er vom vierschrötigen Holzhändler Etzel (Roeland Wiesnekker) lächerlich gemacht, auf dem Tanzboden wirbt der selbstbewusste Bastian (David Schütter) um die angebetete Lisbeth.

"‘So geht es nicht mehr weiter’, sagte Peter eines Tages schmerzlich betrübt zu sich ...". So freilich steht es nur bei Hauff. Der Film dagegen setzt sich vom betulich wirkenden Märchenduktus der Vorlage ab, hier herrscht ein rauerer Ton. "Die Ferkel essen nicht am Metzgertisch!", so wird Peter beschieden, und in Sachen Lisbeth wird er mit diesen Worten gewarnt: "Wenn du noch einmal meine Tochter angrinst, dann kastrier ich dich." Nein, das hätte so weder im Märchen gesagt werden können noch in Paul Verhoevens berühmter Defa-Verfilmung von 1950, auch wenn sich schon diese im Plot einige Freiheiten gegenüber der Vorlage herausnahm. Am Kern der Hauff'schen Erzählung allerdings, dieser mit expressiver Symbolik formulierten Kritik am Frühkapitalismus, hat Verhoeven nichts geändert, und auch der seinerseits den Plot mit etlichen Figuren und Motiven anreichernde Johannes Naber stellt sie ins Zentrum. Auch in diesem Film geht es also um den Verlust der Empathie, ersetzt der Holländer-Michel, eine ins riesen- und sagenhafte gehobene Holzfäller- und Flößerfigur, die Herzen der Menschen durch Steine.

Bevor es zu diesem faustischen Pakt kommt, versucht Peter sein Glück noch beim Glasmännlein (Milan Peschel), der guten Gegenfigur aus dem Reich der Geister. Drei Wünsche hat Peter frei, aber wie alle Märchenfiguren "verwünscht" er sich natürlich. Also doch in die Höhle des Holländer-Michels, den Moritz Bleibtreu sehr dunkel- und stechäugig spielt, dabei aber nicht ganz die furchterregende Präsenz von Erwin Geschonneck in der Defa-Verfilmung erreicht. Bei Hauff bewahrt der Böse die Herzen übrigens in Einmachgläsern auf. In Nabers Adaption hängen sie an Lederriemen herum, an manchen fressen schon die Maden. Auch die Trachten der Protagonisten sind bei Hauff genau beschrieben, sogar das Glasmännlein ("spitzes Hütlein mit großem Rand, mit Wams und Pluderhöschen und roten Strümpfen") ist eingebettet in die regionale Kleiderordnung. Das Glasmännlein des aktuellen Films dagegen ist zum einen nicht allein, sondern Führer eines Stammes, und zum anderen sieht es mit seinem kalkigen Gesicht, seinem Moosbehang und seinem Röckchen aus wie das Mitglied eines indigenen Urwaldvolkes.

Entregionalisierte Märchen fürs Kino sind Trend

Natürlich wäre es müßig, die Unterschiede zwischen Hauffs Märchen und Nabers Verfilmung aufzulisten, steckte dahinter nicht ein Trend: Eine Art Entregionalisierung des Brauchtums und des Erzählens nämlich, und parallel dazu die Erfindung von globaler Fantasy und Folklore. Die Disney-Studios haben es ja vorgemacht, sie bemächtigen sich seit Jahrzehnten regionaler Stoffe - etwa der Grimm'schen Märchen - schleifen deren spezifische Kanten ab, machen alles rund und allgemein verständlich und speisen es dann ein ins Weltkino. In Deutschland hat sich in den fünfziger Jahren der kriegübermalende Heimatfilm zunächst noch in verschiedenen Regionen ausprobiert, etwa im Norden ("Grün ist die Heide", 1951) und auch im Südwesten ("Schwarzwaldmädel", 1950), bis sich, abgekoppelt von zu spezifischen Eigenheiten, die bayerisch-österreichische Alpin-Variante durchsetzen konnte. Die beherrschte dann auch den degenerierten Heimat-Sexfilm-Nachklapp, in den siebziger Jahren hieß es im Kino "Unterm Dirndl wird gejodelt" - und eben nicht unterm Bollenhut.

Apropos: Die Dirndlerei hat sich inzwischen durchgesetzt als eine ans Österreichisch-Bayerisch angelehnte Fantasy-Folklore, und dies nicht nur auf Wies'n und Wasen. Sie hat sich dabei aus dem ursprünglichen Kontext von Region, Brauchtum und Historie komplett gelöst und ist zum globalen Freizeit-Spaß geworden. In Nabers Patchwork-Fantasy-Film, der unter anderem im Elbsandsteingebirge und vor allem im Studio Babelsberg gedreht wurde, kommt das Dirndl zwar nicht vor, dafür bedient sich der Regisseur aus internationalem Folklore-Fundus: Stockkämpfe im Martial-Arts-Stil, ständische Gesichtsmarkierungen in Tattoo-Optik, und Tanzeinlagen, in denen die Schuhplattler-Anklänge schnell von keltischen "Lord of the Dance"-Anleihen weggestampft werden. Anders gesagt: Für klassische Schwarzwald-Touristik-Werbung taugt dieses "Kalte Herz" eher nicht. Andererseits spürt man die Begeisterung des Regisseurs für diesen Stoff und auch die seiner Schauspieler. Und wenn Peter als kaltherziger Großkotz zurückkehrt, seine Lisbeth ansieht wie eine Ware und herrisch befiehlt: "Zieh dein Nachthemd aus!", dann ist das eine Szene, die so zwar nicht im Buche steht, dessen Geist aber doch gut erfasst.


Info:

Johannes Nabers "Das kalte Herz" kommt am Donnerstag, den 20. Oktober in die deutschen Kinos. Welches Kino in Ihrer Nähe den Film zeigt, <link http: kinofinder.kino-zeit.de programmsuche external-link-new-window>finden Sie hier.

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Ausgabe 459 / Grüne Anfänge mit braunen Splittern / Udo Baumann / vor 1 Tag 12 Stunden
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