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CDU in der Schnellbleiche

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Guido Wolf und Thomas Strobl wollten als Reformrückabwickler wieder an die Macht. Das ging krachend daneben. Jetzt bleibt der Südwest-CDU nichts anderes übrig, als sich eine Schnellbleiche in Sachen Moderne zu verordnen. Die ersten alten Zöpfe sind schon ab.

Die Union in Baden, der Kurpfalz und in Württemberg hat zehn verlorene Jahre hinter sich. Zuerst an der Regierung unter Günther Oettinger und Stefan Mappus – beide auf ihre Weise komplett überfordert mit dem höchsten Amt im Land –, und dann in der Opposition, die vor allem genutzt wurde, um Grüne und Rote zu verunglimpfen. Am 13. März begann eine neue Zeitrechnung. "Anstatt den Fehler, den man eben / noch gemacht hat, zuzugeben, / umschreibt man lieber wortreich prompt, / warum jetzt alles anders kommt": Als Spitzenkandidat ist Guido Wolf gescheitert, als reimender Ratgeber hat er geradezu seherische Fähigkeiten.

Bisher haben viele CDUler aus dem Südwesten traditionell eher nach Bayern als nach Berlin oder gar nach NRW geschielt, wenn es um die eigene Positionierung ging – nicht erst seit immer mehr Flüchtlinge nach Deutschland kamen, sondern auch in bildungs-, arbeitsmarkt- oder gesellschaftspolitischen Fragen. Die Achse im Süden sollte tragen, in Sachen Schulstruktur, in der Frauenförderung, in Fragen des Länderfinanzausgleichs, überhaupt in der Überzeugung, einen Stammplatz auf der Überholspur zu haben.

Im Tagestakt purzeln die Positionen

Jetzt, wo die von Thomas Strobl so emsig bemühte schwarze Tinte seit ein paar Wochen getrocknet ist im Koalitionsvertrag, jetzt, wo Neue am Kabinettstisch ihre ersten Spuren hinterlassen, wird deutlich, dass die Seehofer-CSU als Vorbild ausgedient hat. Das Sein bestimmt das Bewusstsein, diesmal besonders schnell. Nicht im Wochen-, sondern im Tagestakt purzeln Versprechungen und Positionen. Ein Beispiel von vielen: Strobl kann seinen Worten, abgelehnte Asylbewerber schneller zur Ausreise zu zwingen als die bisher so lahme grün-rote Koalition, keine Taten folgen lassen. Regelmäßig beklagte der Merkel-Vize im Wahlkampf, wie viel Luft nach oben bei Abschiebungen sei. Aktuell wird die allerdings auch unter seine Ägide nicht genutzt. Und die Verantwortlichen nennen Hinderungsgründe, die schon vor dem Regierungswechsel gegolten haben, wie fehlende Papiere, mangelnde Kooperation in den Herkunftsländern oder Krankheit.

Kein Juniorpartner wollte Strobl sein. In der ersten Verzweiflung nach der Wahlniederlage spukten sogar Ideen durch seine CDU, sich die Legislaturperiode mit den Grünen gewissermaßen zu teilen und Winfried Kretschmann nach zweieinhalb Jahren einen Rollenwechsel mit seinem Stellvertreter abzunötigen. Heute muss der Heilbronner Bundestagsabgeordnete erhebliche Wissenslücken einräumen und froh sein, von den Grünen eine Schnellbleiche in zentralen Fragen zu erfahren. Als Mitte Juni endlich auch die Deutsche Bahn zugab, wie viel später Stuttgart 21 fertig werden könnte, war Strobl nicht sprechfähig. Vielmehr verwies er vor Journalisten und laufenden Kameras auf den neben ihm sitzenden und bis vor wenigen Wochen so heftig gescholtenen Verkehrsminister. Kleiner als klein geht es kaum. Vom Regieren auf Augenhöhe keine Spur. Wie gerne hätte Thomas Strobl erreicht, dass sich für den Hausherrn seines zusammengezimmerten Ressorts, zuständig für "Inneres, Digitalisierung und Migration", der Begriff Superminister durchsetzt. Wie symptomatisch, dass weder Freund noch Feind in der Landespolitik auf die Idee kommen, ihn als solchen zu bezeichnen.

Die schwarzen FührungsspielerInnen in den ersten Wochen der bundesweit einmaligen Konstellation sind andere. Landtagsfraktionschef Wolfgang Reinhart, der Jurist, der von 2005 bis 2011 schon einmal Minister war, hat schon in der zweiten Sitzungswoche eine Gelegenheit zur Profilierung bekommen und sie nicht verstreichen lassen: Mit einer beherzten Rede gegen die rechten Populisten und Nationalisten von der Alternative für Deutschland gab er CDU-intern eine neue scharfe Tonlage vor. Sogar Geschichte hat seine Fraktion in den ersten Tagen geschrieben: Zum ersten Mal überhaupt übernahm mit Nicole Razavi eine Frau das wichtige Amt der parlamentarischen Geschäftsführerin einer Landtagsfraktion.

Ministerin und Mutter – das geht plötzlich

Die landauf, landab hochgelobte Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut spricht freimütig davon, dass sie nicht nur Politikerin, sondern auch Mutter – von drei Töchtern – ist, dass sie zum Wochenende hin einen halben Tag Homeoffice machen wolle, "wenn möglich". Eine ähnliche Ankündigung des SPD-Finanzminister Nils Schmid hatte 2011, in Teilen der CDU – Sonntagsreden über die Bedeutung der Familie hin oder her – zu einem inszenierten Sturm der Entrüstung geführt. Teilzeit sei für Minister nicht vorgesehen. Jetzt wird die Überraschungsministerin mit der Karriere "von null auf 100" ("Süddeutsche Zeitung") als moderne Vorzeigefrau gepriesen, die Beruf und Familie unter einen Hut bekommt.

Überhaupt das Frauenbild. Damals, vor gut zehn Jahren, stach Günther Oettinger die spätere Bundeswissenschaftsministerin Annette Schavan auch deshalb aus im Mitgliederentscheid, weil gerade Anhängerinnen und Wählerinnen älteren Semesters die Meinung vertraten, das Amt eines Regierungschefs sei nur was für Männer. Damals meinten Oettinger-Anhänger, die Konkurrentin unmöglich machen zu können durch Gerüchte, sie sei lesbisch. Dabei hatte das Land mit Biggi Bender längst die erste Landtagsfraktionsvorsitzende hinter sich, die mit einer Frau zusammenlebte. Noch 2015, als Guido Wolf vom Posten des Landtagspräsidenten in den CDU-Fraktionsvorsitz wechselte, machten sich in seiner Partei – trotz ausreichend vieler wählbarer Frauen – viel zu wenige dafür stark, dass auf den Präsidenten eine Präsidentin folgte. 2016 bleibt selbst Fraktionären mit dem Hang zur CSU gar nicht anders übrig, als eine Frau zu wählen, eine Grüne allerdings, noch dazu mit kurdischen Wurzeln.

Mit einem Mal ist die Gemeinschaftsschule nicht des Teufels

Nicht, dass es keine Versuche gegeben hätte, die Südwest-CDU auf die Höhe der Zeit zu bringen. Marion Schick zum Beispiel, Professorin, alleinerziehende Mutter und Mappus' zupackende Kurzzeit-Kultusministerin, legte sich, etwa in Fragen der Ganztagsschule, mit den Hardlinern in der Fraktion an. Genauso wie die damalige Stuttgarter Schulbürgermeisterin Susanne Eisenmann. Schick ist Geschichte, Eisenmann ihre Nachnachfolgerin, und die legte ein Tempo an den Tag, das Kritiker schon allein deshalb verstummen lässt, weil sie gar nicht hinterherkommen. Mit einem Mal ist die Gemeinschaftsschule nicht des Teufels, sondern fester Bestandteil des Systems. O-Ton Eisenmann: "Die CDU muss lernen, mit der Gemeinschaftsschule zu leben."

Der heutige Agrarminister Peter Hauk hat in seiner Zeit als Fraktionschef noch Grußbotschaften verlesen lassen auf den hetzerischen "Demos für alle", auf denen aus dem ganzen Bundesgebiet nach Stuttgart angereiste Aktivisten Grün-Rot die Frühsexualisierung der Kinder vorwarfen. Hauk sah das Thema "sexuelle Vielfalt" überhöht, Eisenmann fährt den Kritikern in die Parade und lehnt Änderungen ab. Jetzt wird im Netz gekübelt, weil sie festhalte am "staatlichen Erziehungszwang" zur Frühsexualisierung. "Sex mit Sechs?", schreibt einer der Vorgestrigen, in der Schule dürfe weiter "rumgespielt" werden.

Solchen Positionen (noch) am nächsten sind ausgerechnet viele aus dem Parteinachwuchs in Baden-Württemberg. Auch die JU machte keineswegs nur mit lauteren Mittel Stimmung gegen den Bildungsplan, gegen die Gemeinschaftsschule, gegen die grün-rote Reformpolitik insgesamt und hätte sicher nicht damit aufgehört, wäre die CDU nicht eine Koalition mit den Grünen eingegangen. Inzwischen hat sich JU-Landeschef Nikolas Löbel auf Randthemen verlegt, wie den Gender-Stern. Bei dem gehe es um "Ideologie und in den Augen vieler Menschen um den reinen Wahnsinn", schreibt der 30-Jährige, der 2017 in den Bundestag einziehen möchte, in einem Zeitungsbeitrag. Und weiter: "Die Bürger unseres Landes haben die Nase voll davon, dass wir alles und jeden reglementieren [...] Wo soll das enden? Heute noch kommuniziert die Landesregierung mit Sternchen. Morgen schon tanzen die Minister dann ihre Namen. Schöne Aussichten." Eine – von vielen Reaktionen – folgt auf dem Fuße. "Scotty, beam me up", postet einer in Anspielung auf "Raumschiff Enterprise", die "liebe JU" müsse endlich hochgeschossen werden ins Jahr 2016. Oder, wie Guido Wolf in dem ihm eigenen Idiom reimen würde: "Drum erhalt' dir in Treue / die Bereitschaft fürs Neue. / Bleib gelassen und heiter: / Denn dei Leba goht weiter."


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2 Kommentare verfügbar

  • Alex Maier
    am 29.06.2016
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    Die Wahl von Frau Razavi ist nicht ganz so historisch wie hier beschrieben ;)
    Die grüne Fraktion hatte mit Brigitte Lösch bereits von 2001 bis 2006 eine parlamentarische Geschäftsführerin.
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