Herr Butterwegge, glauben Sie wirklich, dass Deutschland durch die Hartz-Gesetze zu einem anderen Land geworden ist?
Ja, ich spreche von einer Hartz-IV-Gesellschaft, denn mit den rot-grünen Arbeitsmarkt- und Sozialreformen wurde eine Rutsche in die Armut errichtet. Für Familien war besonders der Wegfall einmaliger Leistungen und Beihilfen bitter. Vor den Hartz-Gesetzen lebten ungefähr eine Million Kinder auf dem Sozialhilfeniveau, kurz nach ihrem Inkrafttreten waren es fast doppelt so viele. Auch erwies sich das Versprechen des "Förderns und Forderns" als bloßer Werbeslogan der Regierung. Aufgrund der Hartz-Gesetze sind Millionen Menschen im Niedriglohnsektor gelandet.
War das Absicht?
Dies war durchaus gewollt, hat der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder doch sich und seine Regierung auf dem Weltwirtschaftsforum 2005 für die Schaffung eines der effektivsten Niedriglohnsektoren in Europa gelobt. Neben der verschärften sozialen Spaltung in Arm und Reich zeichnet sich auch eine stärkere politische Zerklüftung unseres Landes ab: Da sich die Hartz-IV-Betroffenen kaum noch an Wahlen beteiligen, die Wahlbeteiligung der Wohlhabenden und Reichen jedoch ungebrochen ist, gerät die Demokratie in eine Repräsentations- und Legitimationskrise.
Die Armutsfalle wirkt doppelt: Zum einen schränkt sie die direkt Betroffenen in ihren Lebensmöglichkeiten ein, zum anderen erhöht sie den Druck auf die noch Beschäftigten – sie diszipliniert und schüchtert ein. Ist die Arbeitnehmerschaft in Deutschland zur Manövriermasse geworden?
Das war aus meiner Sicht der mit Hartz IV verfolgte Hauptzweck: Belegschaften, Betriebsräte und Gewerkschaften sollten unter verstärkten Druck gesetzt und unter dem Damoklesschwert von Hartz IV genötigt werden, schlechtere Arbeitsbedingungen sowie niedrigere Löhne und Gehälter hinzunehmen. Seither gibt es vor allem im unteren Lohnbereich anhaltende Reallohnverluste. Da niedrige Löhne nun mal hohe Gewinne bedeuten, hat sich durch die Liberalisierung der Leiharbeit, die Schaffung von Mini- und Midi-Jobs und die Vermehrung der prekären Beschäftigungsverhältnisse die Situation für die meisten Firmen verbessert. Am meisten profitiert haben Unternehmer, die Lohndumping betreiben und Hungerlöhne zahlen wollten. Durch das "Aufstocken" mit Hartz IV werden sie mit Steuergeldern subventioniert: 75 Mrd. Euro hat der Staat seit 2005 dafür ausgegeben.
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Ulrich Frank
am 28.07.2015