Zuerst macht der Betreuer einen guten Job, bringt die Finanzen in Ordnung und baut die Schulden ab. Doch nach drei Jahren, im Advent, kommt plötzlich eine Regressforderung des jetzt zuständigen Stuttgarter Notariats. Heinz hat zu hohe Einkünfte und soll 5700 Euro Betreuungskosten erstatten. Jetzt hat er plötzlich wieder Schulden – just bei dem Betreuer, der ihn gerade erst davon befreit hat. Sein Vertrauen ist weg. Er trinkt aus Frust.
Diesem Teufelskreis entkommt Heinz bis heute nicht. Was soll auch ein Therapiekonzept wie das "Selbstmanagement des Patienten", zu dem Abhängige nicht fähig sind? Eine Zwangsbehandlung von Betreuten ist wegen fehlender gesetzlicher Regelungen nicht möglich. Nicht Mediziner mit Chefarztgehältern entscheiden letztlich darüber, wo und wie ein Betreuter unterzubringen ist, sondern Betreuer, die dafür nicht ausgebildet sind.
Wut auf das System
Die Würde des Menschen ist antastbar. Ursache dafür kann auch das Versagen der Instanzen sein: Politiker, die Lücken im Betreuungsgesetz nicht schließen; Gutachter, die Fakten nicht ausreichend prüfen; ein Notar, der vor Weihnachten hohe Rechnungen an labile Patienten schickt; ein Betreuer, der Heinz nach dem Therapieabbruch in einer Dachkammer der Silberburg unterbringt, "damit er mal nachdenkt". Bürokraten, denen Zuständigkeiten wichtiger sind als Hilfe; sogar kirchliche Vereine, wenn sie dulden, dass aus der Not ein Geschäftsmodell wird, mit dem sich ihre Einrichtungen refinanzieren.
Betreuer wie Walter Dörrer müssen ein Drittel der Arbeitszeit darauf verwenden, anderen Leuten zu sagen, dass sie ihren Job machen sollen. Ihn nerven bürokratische Hindernisse und Kleinlichkeiten. Manche seiner Schützlinge sind noch geringfügig arbeitsfähig und müssen sich beim Jobcenter melden, sonst gibt es Sanktionen. "Aber viele schaffen es einfach nicht, morgens um neun dort zu sein und die richtigen Sachen zu sagen." Dann redet Dörrer mit Engelszungen."Manchmal hab ich aber auch eine Wut auf das ganze System, vor allem auf politische Vorgaben", sagt Dörrer. So ist es beispielsweise nicht erwünscht, dass jemand vom Jobcenter zum Sozialamt wechselt. Denn "beim Jobcenter gibt's Bundeszuschüsse, Sozialhilfe muss die klamme Kommune allein bezahlen".
Immer wieder erlebt Heinz E., dass mit "Betreuung" keine umfassende Fürsorge gemeint ist. Der Begriff wird meistens juristisch verwendet oder meint "soziale Betreuung". Für alle Einrichtungen des betreuten Wohnens ist ein "Wohnberechtigungsschein" des Wohnungsamts nötig, weil Zuschüsse fließen; der Antrag dafür stellt alle möglichen Fragen, aber keine medizinischen.
Patienten wie Heinz E. sind für Claus Gölz von der Betreuungsbehörde "nicht mehr wohnfähig". Wenn dann noch Aggression hinzukommt, fliegen sie überall raus. "Menschen werden hochgradig aggressiv, weil sie psychisch krank sind und einfach nicht akzeptieren können, dass sie fremdbestimmt werden." Der Beschluss des Betreuungsgerichts zur Gesundheitsfürsorge ist Makulatur ohne ein Gesetz, das die Umsetzung regelt.
In Bad Cannstatt ist das "Zentrum für seelische Gesundheit" entstanden. Deutschlands größte stationäre Psychiatrieabteilung verfügt über 300 Betten im Klinikum Stuttgart, mehr als 100 Plätzen in einer Tagesklinik und eine Vielzahl von Angeboten, die politisches und wissenschaftliches Interesse wecken. In den letzten Jahren ist sicher vieles besser geworden, aber nicht für Heinz E.
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sven kellner
am 01.07.2015