Der Gedanke erscheint aktueller denn je: Medienkonzernen, die ihre Kundschaft für behämmert halten, die Lizenz zum Zeitungsdrucken zu entziehen. Im vorliegenden Fall dem Stuttgarter Pressehaus. Nicht, weil es immer wieder ein Kulturgut beschädigt durch das Verbreiten einer Weinzeitung, die unter der Tarnkappe einer unabhängigen Zeitung verkauft wird, die örtliche C-Prominenz und die Koalabären in der Wilhelma schwindelig schreibt und das Feld des Rot- und Blaulichts mit Hingabe bearbeitet. Das haben wir alles geschluckt.
Aber jetzt ist Schluss. Seit Donnerstag, dem 3. April 2025.
An diesem Tag haben wir auf den Bericht über den rauschhaften Abend davor gewartet. Über den enthusiastisch gefeierten Sieg des VfB Stuttgart gegen RB Leipzig, den Einzug ins Pokalfinale, erstmals nach zwölf Jahren wieder, über das wunderbare Tor des Angelo Stiller in der fünften Minute, Volley ins obere rechte Eck, über die schwindelerregenden Doppelpässe zwischen Nick Woltemade und Ermedin Demirović. Und was lesen wir in der "Stuttgarter Zeitung" am nächsten Morgen darüber? Nichts. Nicht eine Zeile.
Stattdessen eine abgehangene Geschichte über die Zuschauereinnahmen in der Champions League ("VfB in Europas Top 20") und eine lapidare Notiz in eigener Sache, die kundtut, dass das Halbfinale (Abpfiff 22:30 Uhr) bei Redaktionsschluss (21:20 Uhr für die Stadtausgabe) noch nicht beendet war. Und es somit aus "logistischen Gründen" nicht mehr in die Papierausgabe geschafft habe. Die kostet ja auch nur 67,90 Euro im Monat, ist der Hauptumsatzbringer, wird aber von den Spitzenkräften betrachtet wie Hieroglyphen in der ägyptischen Cheopspyramide. Kein Bedauern, keine Entschuldigung.
Halten wir fest: Der Fußball, des Deutschen liebstes Kind, ist von der "Stuttgarter Zeitung" ausgesperrt worden, weil sie beschlossen hat, ihre Türen früher zu schließen. Fehlt nur noch, dass sie den Deutschen Fußballbund als Veranstalter des Pokals auffordert, künftig den Redaktionsschluss der Stuttgarter Zeitungsnachrichten zu beachten und die Spiele früher anzupfeifen. Allerdings ist Gerhard Mayer-Vorfelder, der frühere VfB-Boss und DFB-Präsident, schon seit zehn Jahren tot, und somit als Vermittler nicht mehr einsetzbar.
Eine andere Option wäre, die 50 Drucker zurückzuholen, die vor zwei Jahren gegangen sind, als das Druckzentrum in Möhringen dichtgemacht wurde, weil es laut Geschäftsleitung nicht mehr "effizient" war.
Fortan musste es vom verbliebenen Standort Esslingen ersetzt werden, was zwar gut ist für das kostensparende Geschäftsmodell, aber schlecht für den Produktionsprozess, der anfällig ist für Ausfälle bei Mensch und Material. Also für Ineffizienzen, die einen späten Andruck (früher selbstverständlich) zu risikoreich und vor allem zu teuer (Nachtzuschläge!) machten.
Anspruch und Autor:innen – nix fürs Netz
Darüber steht natürlich nichts in den Verlautbarungen des Pressehauses. Dafür Tag für Tag etwas darüber, wie großartig das E-Paper ist. Dort hätten wir am Morgen nach dem großen Fest prüfen können, wie aufopferungsvoll die Fußballredaktion bis Mitternacht "gewirbelt" hat, um alle digitalen Kanäle zu bespielen – nur nicht die gedruckte Zeitung.
Und damit sind wir bei des Pudels Kern, dessen Identifikation nur bedingt gedankliche Höchstleistungen erfordert: der Zwang ins Netz. Auf Biegen und Brechen. "Mit uns in die Zukunft", wirbt die StZN, und definiert das Internet als alternativlos, weil das "Bedrucken toter Bäume", wie das einst der ökonomisch geschulte Chefredakteur Joachim Dorfs nannte, nun wirklich keine Erfolgsstory mehr sei. Entsprechend hat er mitgeholfen, den Journalismus passend zu machen.
Hier lohnt sich der Blick in ein neues Handout der Zeitungsgruppe, gerichtet an die Belegschaft, datiert vom 11. März 2025, erdacht von einer fünfköpfigen Chefredaktion um Holger Gayer, den geschäftsführenden Redakteur und Impressario der hauseigenen "Württembergischen Weinmeisterschaften". Verlangt wird die "konsequent digitale Ausrichtung", die "Priorisierung Digital in allen Bereichen", und damit niemand auf die Idee kommt, besonders erhaltenswert zu sein, heißt es, ungegendert, versal und gefettet: "Mantelautoren sind KEINE Printautoren". Wie alle anderen haben sie "Reichweite/Webabo/Absprungrate-Senken" zu "optimieren". So radikal haben sie es in der Beletage noch nie formuliert.
Und damit hat sich auch der Anspruch der "Stuttgarter Zeitung", eine Autoren:innenzeitung zu sein, ein für allemal erledigt. So wie ihr Netz gestrickt ist, braucht es eine Masse kleiner Fische, die aufgeregt hin und her sausen, keine Klasse von Köpfen, die im Gegenstrom zuhause sind. (Was andernorts, wo Online und Qualität kein Gegensatz sind, kein Problem sein muss.)
Derlei Gedanken plagt die Führungsspitze im Pressehaus nicht. Sie denkt in neuen Dimensionen. Laut ihrer neuen Verordnung, die als Update ihres Erfindungsreichtums zu verstehen ist, haben ihre Untergebenen eine "multimediale Erlebniswelt" zu kreieren, die videogestützt "ganz nah dran" ist am Publikum, dessen Gefühlswelt nach außen stülpt und auf keinen Fall versucht, wertend einzugreifen. Konsequenterweise heißt es: "Gatekeeping nein". Übersetzt meint Gatekeeping die traditionelle Aufgabe der Presse, Torwächter zu sein, Wegmarken zu setzen, aufzuklären und zu orientieren. Die Wächter über die Möhringer Wunderwelt haben sich davon längst verabschiedet.
Und damit ist auch der Anspruch, Journalismus zu betreiben, Qualitätsjournalismus gar, der sich den Regeln einer demokratischen Zivilgesellschaft verpflichtet sieht, perdu. Die Musks und Zuckerbergs dürften sich freuen.
Transparenzhinweis: Der Autor kann aus eigener, allerdings länger zurückliegender Erfahrung versichern, dass das Problem nicht die Sportredaktion ist. Ihr Arbeitseifer ist ungebrochen.
4 Kommentare verfügbar
Thomas
vor 3 WochenUnd obwohl es damals hieß, das sich durch die Schließung nichts ändert, ist mittlerweile schon vor 18.30 Uhr Redaktionsschluss für meine Ausgabe.
Aber teurer…