Also nochmals: Wie berichten Qualitätsmedien über Rechtsextremismus – und wie sollten sie berichten? Der Politologe Hans-Gerd Jaschke zieht das historische Beispiel der Republikaner heran. Die medialen Strategien seien damals vor allem gewesen: Ignorieren, um das Phänomen kleinzuhalten; oder aufklären beziehungsweise skandalisieren. Ignorieren war vor 25 Jahren noch eher möglich als heute. Denn was heute in den etablierten Medien keinen Widerhall findet, sucht sich via Social Media und rechter Propagandaorgane eben andere Kanäle. Und skandalisieren? Jaschke nennt Beispiele: Als der stellvertretende Chefredakteur des Bayerischen Rundfunks und spätere Republikaner-Gründer Franz Schönhuber 1981 in seinem Buch "Ich war dabei" mit seiner Mitgliedschaft in der Waffen-SS prahlte, war das ein Skandal. Der BR entließ Schönhuber fristlos, der Bayerische Journalistenverband erkannte seinem ehemaligen Vorsitzenden die Mitgliedschaft ab.
Heute kann ein Alexander Gauland folgenlos den Nationalsozialismus verharmlosen ("Vogelschiss der Geschichte") und ein Hubert Aiwanger von der Affäre um ein widerliches antisemitisches Pamphlet profitieren – während die "Süddeutsche Zeitung", die den Fall veröffentlichte, am Pranger steht.
Jaschke nennt ein weiteres Phänomen, das ihn ziemlich ratlos zurücklässt: Während bei den Republikanern die drohende Einstufung als rechtsextrem durch den Verfassungsschutz die Wähler:innen noch abgeschreckt habe, störe das bei der AfD offenbar niemanden. "Die Bindekraft der Erinnerungskultur hat nachgelassen", vermutet der Politologe. "Das ist der Erfolg von ganz vielen rechten Narrativen auf ganz vielen Kanälen", erklärt "Spiegel"-Redakteurin Müller.
Den Diskurs nach rechts verschieben – das klappt
Die Strategie der populistischen und extremen Rechten, den Diskurs in Medien und Gesellschaft systematisch nach rechts zu verschieben, ist extrem wirkmächtig. So ist beispielsweise das Schlagwort von der "Lügenpresse" weit in die Mitte der Gesellschaft vorgedrungen. 30 Prozent der Bevölkerung sagen laut der aktuellen Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, "die regierenden Parteien betrügen das Volk", und jede:r dritte Befragte stimmt der Aussage zu, Medien und Politik steckten unter einer Decke.
Vor allem aber profitiert die AfD davon, dass Migration wieder das beherrschende Thema ist – während andere gravierende Probleme wie Klimakatastrophe, Wohnungsnot, Bildungs- oder Pflegenotstand verdrängt werden. Bei der Migration ist es den Rechten mit kontinuierlicher Hetze und Panikmache gelungen, die Deutungshoheit zu erlangen. Besonders verheerend wirkt es sich aus, wenn Politiker:innen aus dem demokratischen Spektrum sich deren Sprache und Forderungen zu eigen machen – etwa wenn der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz von "kleinen Paschas" aus dem arabischen Raum schwadroniert, Zugewanderte massenhaft bei der Zahnbehandlung wähnt oder öffentlich über die Abschaffung des Grundrechts auf Asyl nachdenkt. So etwas sei sehr gefährlich, warnt Ann-Katrin Müller, denn es vermittle den Eindruck, dass AfD-Positionen gar nicht rechtsextrem seien. Das Kreuzchen machen viele Wähler:innen in der Folge nicht bei CDU oder CSU, sondern beim Original.
Nicht nur die Union betreibt auf diese Art und Weise das Geschäft der extremen Rechten. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz ist auf eine harte Linie gegen Migrant:innen eingeschwenkt: "Wir müssen endlich im großen Stil abschieben", sagt der Kanzler ausgerechnet auf dem aktuellen "Spiegel"-Titel, der am Tag nach der Tagung an den Kiosken ausliegt. Müller kommentiert das sarkastisch: "Herzlichen Glückwunsch an die AfD."
"Die bisherige Berichterstattung führt in die Wüste"
Was also tun? Wie sollen die Medien mit dem Rechtsruck umgehen? Über die Gefahren aufzuklären bleibt ein zentraler Auftrag, da sind sich die Vertreter:innen der Branche in Karlsruhe einig. Man muss zeigen, was passieren würde, sollte die AfD sich durchsetzen: Was bedeutet ein "Europa der Vaterländer", eine "gesunde Schule" oder die großangelegte "Remigration" von Geflüchteten? Welche Sozialpolitik vertritt die Partei, welches Frauenbild? Der Rechtsextremismusforscher Jaschke empfiehlt dabei, auch auf historische Parallelen hinzuweisen. So hat die "Zeit" jüngst in einer Gegenüberstellung dargelegt, wie sehr die Sprache Höckes mit der NS-Rhetorik übereinstimmt – ein Beitrag, der laut dem Leiter des Investigativressorts Holger Stark auf große Resonanz stieß. Insgesamt aber habe die "Zeit" ihre AfD-Berichterstattung reduziert. Denn, so Stark: "Die bisherige Berichterstattung führt uns in die Wüste."
Viele Medien jedoch starren immer noch wie das Kaninchen auf die Schlange AfD und lassen sich von 20 Prozent des gesellschaftlichen Spektrums die Themen diktieren, kritisiert Susanne Stiefel von Kontext:Wochenzeitung: "Aufklärung ist und bleibt wichtig. Aber wir müssen ebenso berichten, wo sich die Zivilgesellschaft wehrt und mit Angegriffenen solidarisiert." Also: Nicht den Untergang heraufbeschwören, sondern das Positive verstärken. Simone Rafael von Belltower.News, dem Online-Magazin der Amadeu Antonio Stiftung, fällt dazu ein weiterer "Spiegel"-Titel ein: "Schaffen wir das noch mal?", hieß es dort plakativ am 22. September vor einer endlosen Karawane von Migrant:innen. "Wir könnten stattdessen darauf hinweisen, wie gut wir das in weiten Teilen geschafft haben", empfiehlt Rafael.
Wäre dem Rechtsruck in Politik und Gesellschaft mit mehr konstruktivem Journalismus beizukommen? Georg Restle ist skeptisch: "Wir sind Medien. Wir werden das Phänomen Rechtsextremismus nicht besiegen. Dafür ist es zu groß, zu global." Zu ergänzen wäre: Zumal die Medien, deren Vertreter:innen an diesem langen Tag sehr ernsthaft und selbstkritisch über ihre Rolle diskutieren, einen immer kleineren Teil der Bevölkerung überhaupt noch erreichen. Ein wachsender Teil verabschiedet sich derweil nicht nur von Qualitätsmedien, sondern zunehmend von der Demokratie insgesamt. Was dagegen helfen könnte, wäre eine eigene Tagung wert.
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Peter Nowak
am 30.10.2023