Vieles ist so vorbildlich in der seit 2016 größten Landtagsfraktion, dass sich alle anderen davon eine Scheibe abschneiden könnten. Der Altersmix bei den Grünen beispielsweise passt. Viele unterschiedliche Professionen sind vertreten: vom Winzer bis zur Tierärztin, vom Elektrotechniker oder Bio-Bäcker bis zur Mutter von schwäbisch-britischen Kindern. Wer sich die Mühe macht, genau hinzuschauen, wäre überrascht von der gesellschaftlichen Breite. Und während andere Parteien seit Gründung des Südwest-Staats 1952 mit einem immensen Männerüberhang im Parlament kämpfen, brauchen die Grünen für Halbe-Halbe keine Wahlrechtsänderung oder andere gesetzliche Nachhilfe: Der Frauenanteil liegt bei 49 Prozent.
So viele Vorzüge und doch kein politisches Gesamtkunstwerk: "Grün wählen für Kretschmann", der griffige Slogan aus dem Wahlkampf 2021, kommt wie ein Bumerang zurück. Statt sich zusammenzutun, um gemeinsam das Kleingedruckte von damals mit Leben zu füllen, hängen die Versprechen wie Faltencremewerbung unerfüllt in der Luft: Grün wählen für "gute Kitas mit mehr Kitas und Ganztagsschulen", für "die Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf", für "gelebte Inklusion", für "sozialen Klimaschutz" oder für "echten Klimaschutz", was auch immer das sein mag.
Längst ist offenbar, dass der Koalitionsvertrag 2021 "Jetzt für morgen", hochtrabend als "Erneuerungsvertrag" gerühmt, in wichtigen Einzelheiten bisher das Papier nicht wert ist, auf dem er steht. Selbst der Kampf gegen die Erderwärmung ist mit einem Haushaltsvorbehalt versehen und darf entweder nichts Nennenswertes kosten oder die Umsetzung von Vorhaben – von der Mobilitätsgarantie oder bis zum Aufstieg durch Bildung – liegen auf der langen Bank.
Kritik wird als Netzbeschmutzung interpretiert
Nach immerhin zwölfeinhalb Jahren als größere Regierungsfraktion könnte ein gemeinsames Selbstverständnis gewachsen sein rund um Winfried Kretschmanns Merksatz "Macht entsteht, wo sich genug Menschen hinter einer Idee zusammentun". Aber wie schon seine Vorgängerin Edith Sitzmann setzt der Nachfolger im Fraktionsvorsitz, seit 2016 Andreas Schwarz, genannt "Andi", vor allem auf interne Wirkung, auf Integration, auf Harmonie und Gleichklang, siehe die regelmäßigen Newsletter an "meine Abgeordneten", wie er gern sagt, oder die erst kürzlich publik gewordene Wording-Liste Migration. Schwarz ist bei fast allen hochbeliebt und wenn dann doch mal kritische Worte fallen, ist der Blick über die Schulter obligatorisch, um nicht erwischt zu werden. Kritik wird als Netzbeschmutzung missinterpretiert.
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