Den Titel "Welle der Solidarität" der ersten STW-Gesamtausgabe empfand ich, gerade frisch auf die Straße gesetzt, als perfide. Wie so oft stellte sich das "Wochenblättle" nun auch in der Corona-Krise als ein Medium dar, dem es um zwischenmenschliche Wärme, um Nachbarschaftshilfe und um ehrenamtliches Engagement geht. Doch diese Welle der Solidarität, von der da die Rede war, kam bei uns Lokalreportern nicht an. Das Gegenteil war der Fall: Honorarstopp und Rauswurf.
Die Schizophrenie der Medienbranche besteht ja darin, dass man ungerechte Verhältnisse bei anderen anprangert, bei sich selbst aber stillschweigend erduldet.
Zu Ostern wieder eine Mail. Diesmal etwas freundlicher in der Tonart.
Die "Maßnahme" habe nichts mit meiner Arbeit zu tun, sondern sei allein der wirtschaftlichen Lage geschuldet, so der Redaktionsleiter. Es sei ihm wichtig, mir das zu schreiben. Vage deutet er an, dass, wenn alles sich wieder normalisiere, man eventuell wieder meine Mitarbeit anfordere. Hätte, könnte, wäre. Ich nehme es zur Kenntnis, bringe es aber nicht fertig zu antworten, nach all dem was passiert ist. "Die wollen euch nur warmhalten", sagt ein Freund, mittlerweile routiniert im Umgang mit meinen Erfahrungen beim "Stuttgarter Wochenblatt".
Drall und prall, gespickt mit zahlreichen Beilagen und Anzeigen, steckt das STW mittlerweile – die ersten Lockerungen der Corona-Zwangsmaßnahmen sind gerade angelaufen – wieder in den Briefkästen. Massiv eingebrochen ist vor allem eins: die Lokalberichterstattung. Ein kläglicher Überrest von zwei, drei überlokalen Geschichten ist geblieben. In der aktuellen Ausgabe erscheint dafür als Zweitverwertung die Sonderveröffentlichung #gemeinsam stark, eine Initiative von "Stuttgarter Zeitung" und "Stuttgarter Nachrichten". Das klingt gut und verbreitet Optimismus.
Dem Beitrag "Eine Gesellschaft, die zusammenhält" von Ministerpräsident Winfried Kretschmann ist im Zuge dessen fast eine ganze Seite gewidmet. In der Spalte daneben kommt Herbert Dachs zu Wort, Mitinitiator von #gemeinsam stark, Geschäftsführer der StZ, der StN, und auch der Stuttgarter Zeitung Werbevermarktung GmbH. Dachs‘ Text ist mit den Worten "Gemeinsam aus der Krise" betitelt. Er schreibt von einer neuen Solidarität, die da gewachsen sei und sich unter dem Motto "Gemeinsam statt allein" zusammenfassen ließe, vom Zusammenhalt innerhalb der Gesellschaft in der Krise, der "trotz aller Schwierigkeiten, trotz aller Widernisse" von "vielen Menschen mit Leben gefüllt" wird. "Dieses füreinander eintreten", so steht es da, "sollte uns erhalten bleiben". Für mich klingt das wie Hohn.
Dank des redaktionellen Teils darf das STW – dieses Recht erstritt der frühere Herausgeber Hans-Frieder Willmann (1922 – 2017) Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre vor dem Bundesgerichtshof – den Haushalten zugestellt werden und hat dabei ein leichtes Spiel. Denn den großen Konkurrenten unter den Anzeigenblättern, den Stuttgarter Stadtanzeiger, gibt es nicht mehr. Er wurde bereits 2017 von der SWMH geschluckt.
*Zum Schutz der Autorin haben wir für diesen Text ein Pseudonym gewählt. Der Redaktion ist ihr wirklicher Name bekannt.
3 Kommentare verfügbar
Emilia
am 04.06.2020