Herr Montgomery, wollten Sie schon mal in die Politik?
Nein. Schuster, bleib bei deinen Leisten.
Es wird gerade sehr viel diskutiert über die Stellung von Medizinern und Medizinerinnen in politischen Entscheidungsprozessen, bis hin zu der Behauptung, das Land habe eine Virologen-Regierung. Wie sehen Sie Ihre Rolle?
Ich betrachte mich als wissenschaftlichen Berater. Natürlich haben wir keine Virologen-Regierung, sondern eine Bundeskanzlerin, die ich, ehrlich gesagt, gerade sehr bewundere, wie sie es schafft, in diesem Haufen hormongeschwängerter Männer die Ruhe zu bewahren, um völlig uneitel und unprätentiös mit analytischem Geist das Richtige zu tun. Sie hat wirklich meine volle Bewunderung, die hatte sie übrigens schon in der Flüchtlingskrise.
Inzwischen schauen wir auf mehr als ein Vierteljahr Krisenmodus zurück. Wieso steht Deutschland so viel besser da als andere Länder?
Wir haben gerade bewiesen, wie wichtig ein stabiles Gesundheitssystem als Daseinsvorsorge ist. Wo sind die Propheten, die sagen, nur noch 600 Krankenhäuser in ganz Deutschland würden ausreichen? Die Tatsache, dass wir eine so relativ geringe Letalitätsrate haben, hat sehr viel mit der Struktur und der Qualität unseres Gesundheitswesens zu tun. Wir haben eine hervorragende Performance abgeliefert. Und unser zweiter großer Vorteil war, dass wir es geschafft haben, durch ruhige und sachliche Aufklärung die Bevölkerung in einem so hohen Maße mitzunehmen. Da wurden Maßnahmen zwar regelrecht oktroyiert, aber im Konsens auf eine Weise umgesetzt, die von einer weit überwiegenden Mehrheit auch akzeptiert werden konnte. Jetzt geht dieser Konsens leider verloren, weil sich die Ministerpräsidenten der Länder in einem Schönheitswettbewerb um die härtesten, die weichsten oder die beliebtesten Positionen verschleißen. Wir schlittern in ein Chaos und laufen Gefahr, dass immer mehr Bürger das Zutrauen in Politik verlieren. Das ist keine gute Entwicklung.
Wie komplex ist das Austarieren unterschiedlichster Ansprüche immer mit Blick auf das Ziel, Ansteckungen zu vermeiden?
Ich habe Respekt vor verantwortungsbewussten Politikern, auch vor den erwähnten Ministerpräsidenten. Mir ist klar, dass die vor kaum lösbaren Aufgaben stehen. Das ist wie ein Trapez mit vier unterschiedlich langen Seiten: In den Ecken stehen die Gesundheit der Bevölkerung, die Grundrechtseinschränkung, die Wirtschaft, die Frage der soziopsychologischen Folgen. Ein Lockdown mit Home-Office und zwei kleinen Kinder in einer Zwei-Zimmer-Wohnung ist etwas ganz anderes als in einem Haus mit Garten. Wünschenswert wäre aber, dass die Länderchefs die Kooperations- und Kompromissfähigkeit nicht aus den Augen verlieren, damit wir auch weiterhin zu einheitlichen Regelungen kommen.
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