Dabei macht gerade der Fall des Hotels auf Teneriffa deutlich, dass auch das Virus immer einen Schritt voraus ist. Gerade durch die bis zu 14-tägige Inkubationszeit, bei der die Infizierten noch gesund sind, sind solche Ausbreitungen in der mobilen Welt nicht aufzuhalten. Die Hoffnung auf eine Eindämmung in China oder doch wenigstens in den asiatischen Ländern ist spätestens mit der Ankunft der Epidemie im Iran und in Italien, in der die Infektionsketten nicht mehr eindeutig nachzuverfolgen sind, kaum noch aufrecht zu halten.
Der Umfang und die Geschwindigkeit der modernen Mobilität hat in einem Umfang zugenommen, dass diese Versuche vielleicht von vornherein zum Scheitern verurteilt waren – im Vergleich zu 2003, als ein anderer Coronavirus, SARS, auftrat, sind heute mehr als doppelt so viele TouristInnen global unterwegs, und die Urbanisierung hat in den vergangenen 20 Jahren ebenfalls enorm zugenommen und damit die Verbreitungsmöglichkeiten von neu auftretenden Infektionen.
"You cannot wall in a virus", urteilt Larry Gostin, Professor für Global Health Law an der Georgetown University in Washington. Und er sieht das größte Drama in dem typischen Ablauf von Panikreaktionen bei akuten Ausbrüchen und Vernachlässigung des Themas in den Zeiten zwischen den Epidemien: Ein schlagender Hinweis hierauf ist die im typischen Trump-Stil erfolgte Ankündigung der US-Regierung, jetzt gleich und sofort eine Milliarde US-Dollar in die Impfstoff- und Medikamenten-Forschung von COVID 19 zu stecken, die EU will 230 Millionen Euro freigeben zur Unterstützung der betroffenen Länder in Europa. Während zugleich der Notfallfonds für Epidemien bei der WHO, der nach der Ebola-Krise eingerichtet wurde, und eigentlich immer mit 100 Millionen US-Dollar für Notfälle gefüllt sein soll, diese Zielmarke aufgrund der spärlichen Beiträge der Mitgliedstaaten in den letzten 5 Jahren fast nie erreichte.
Gehandelt wird erst, wenn die Wirtschaft bedroht ist
Zwar wird viel vom Aufbau und der Unterstützung "resilienter Gesundheitssysteme" geredet und geschrieben, in einzelnen Projekten werden auch Kooperationen entwickelt, wie zum Beispiel das Robert-Koch-Institut seit einigen Jahren mit Nigeria, aber eine echte starke, langfristige und globale Investition in die Vorsorge- und Fürsorgekapazitäten der Länder außerhalb der OECD Zone sähe anders aus.
Tatsächlich zeigt sich in der Reaktion der Welt auf diese wie auch die vorigen globalen Epidemien von SARS, MERS, H1N1 – erst dann, wenn eine Krankheit die Grundlagen der globalen Wirtschaftsströme bedroht und auch die Menschen in der First und Business Class der "Weltgemeinschaft" betrifft, finden sich enorme Mittel, die für die chronischen Hungerleider der Welt, für die armen DiabetikerInnen im globalen Süden, die psychisch Kranken und KrebspatientInnen nie zur Verfügung stehen.
Noch bedenklicher allerdings erscheint die Bereitschaft der "Weltgemeinschaft", im Falle der Katastrophen alle Aufmerksamkeit für den sonst so gepriesenen "Menschenrechtsansatz" in der Gesundheitspolitik zu vergessen: Eine massive Einsperrung von Millionen Menschen löst mehr Bewunderung für die "Stärke" der chinesischen Behörden aus, als die richtigen Fragen nach der Verhältnismäßigkeit der Mittel und der problematischen Nebenwirkungen einer solchen autoritären Politik zu stellen. Die WHO erwähnt Menschenrechte nicht in ihren strategischen Zielen der Corona-Epidemie-Antwort, die gerade zurückgekehrte WHO-China Mission ist voll des Lobes für die noch nie gesehene Massivität der Infektionskontrolle, selbst Amnesty International und Human Rights Watch halten sich zurück, wie der südafrikanische AIDS- und Menschenrechtsaktivist Mark Heywood aktuell schrieb. Kaum Erwähnung findet auch die Unterdrückung der ersten Berichte von neuartigen Infektionen schon seit Anfang Dezember durch die chinesischen Behörden, zu deren Symbol der tragische Tod des Arztes Li Wenliang wurde, der gezwungen wurde, seine Warnungen vor einer neuen SARS-ähnlichen Lungenentzündung zu verantwortungslosen "Fake News" zu erklären.
Tatsächlich hilft gegen Fake News und Panik-Reaktionen nur eine offene, selbstkritische Haltung von Behörden, Presse und Öffentlichkeit, die auch die bekannte, aber weiterhin wichtige Botschaft der begrenzten Gefährlichkeit des COVID-19 verbreitet und die statt mittelalterlicher Pestgemälde eine realistische Einschätzung der tatsächlichen Gefahren gibt, auf die dann angemessen reagiert werden kann.
Erfahrungen nutzen
Es wäre bei der COVID-19-Epidemie dringend an der Zeit, die Erfahrungen der jährlichen Grippeausbrüche zu beherzigen: alles hängt von den Kapazitäten eines Gesundheitssystems ab, in dem auch solche saisonalen Arbeitsbelastungen eingeplant sind und in dem nicht überarbeitetes und schlecht bezahltes Personal mit knappen Ressourcen möglichst viel Umsatz für die miteinander konkurrierenden Krankenhäuser erwirtschaften soll.
Wenn dann Kranke auf den Fluren liegen müssen, ist die öffentliche Empörung groß. Statt Panik hilft hier aber nur systematisches Umsteuern hin zu einem echten Pflegepersonalschlüssel, in dem auch Kapazitäten für solche zusätzlichen Belastungsspitzen eingeplant sind. So sehr Jens Spahn auch aktuell das deutsche Gesundheitssystem preisen mag, die aktuell von seinem Ministerium vorgeschlagenen Personaluntergrenzen reichen hier längst nicht aus. Hier braucht es weiterhin auch Druck von außen und unten – solche Gesundheitsbewegungen haben sich in den letzten Jahren an vielen Krankenhäusern bereits entwickelt. Am 8. März wäre eine neue Gelegenheit dazu, wenn am internationalen Frauentag in vielen Städten auch GesundheitsarbeiterInnen und Care WorkerInnen auf der Straße sind. Und am 17 Juni, wenn die Gesundheitsminister in Berlin zu ihrem jährlichen Treffen zusammenkommen.
Der vorliegende Text erschien erstmals auf der Homepage der Hilfs- und Menschenrechtsorganisation Medico International. Für Kontext wurde er leicht aktualisiert.
Andreas Wulf ist Arzt und Berlin-Repräsentant von "Medico International". Er arbeitet zu Themen globaler Gesundheit.
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