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Wie Krankenhäuser ihre Mängel verschleiern

Wie Krankenhäuser ihre Mängel verschleiern
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Für ihre Qualitätsberichte betreiben die Krankenhäuser enormen Aufwand. Doch die Berichte nutzen kaum: Sie sind unvollständig, schon bei der Veröffentlichung veraltet und für Laien kaum verständlich. Ganz oben im Mangelranking steht das Uniklinikum Heidelberg.

Wolfgang Motz, Klinikdirektor in Karlsburg (Mecklenburg-Vorpommern), prahlt gern, sein Krankenhaus sei kürzlich zum "TAVI-Zentrum" gekürt worden. TAVI steht für eine neue Art, Herzklappen zu ersetzen. Vor allem bei älteren Menschen hat sie sich bewährt – und sie ist für Kliniken lukrativ. Stolz führte Direktor Motz der örtlichen Presse im Februar den soeben operierten 1000. TAVI-Patienten vor.

Bei anderen Gelegenheiten ist Klinikdirektor Motz deutlich zurückhaltender. Die Ergebnisse des gesetzlichen Qualitätsberichts etwa verschweigt er geflissentlich. Im Bericht von 2014 wird etwa bemängelt, sein Haus, das Klinikum Karlsburg, missachte seit Jahren die Leitlinien für die Indikation von TAVI. Einige Patienten hätten nach den Empfehlungen der Fachgesellschaften gar nicht nach dieser Methode operiert werden dürfen. Eine Erklärung hat der Chefarzt dafür nicht.

Ein Qualitätsmangel – in einer Klinik, die von der Deutschen Kardiologischen Gesellschaft als deutsches TAVI-Zentrum ausgezeichnet wurde. Wie passt das zusammen?

Die deutschen Krankenhäuser müssen seit 2005 Qualitätsberichte erstellen. Sie wurden bislang vom AQUA-Institut geprüft, einem Forschungsinstitut im Auftrag der Bundesregierung, und von insgesamt 17 Prüfstellen auf Landesebene. All das soll sicherstellen, dass die deutschen Krankenhäuser gewisse Qualitätsstandards nicht unterschreiten. Und es soll die Patienten über das Niveau ihrer Kliniken informieren.

Mehr als zwei Monate lang hat "Correctiv" die Qualitätsberichte aller deutschen Krankenhäuser ausgewertet – rund 6800 Dateien – und Interviews mit Ärzten, Patienten, Forschern, Lobbyisten, Medizin-Controllern und Verwaltungsangestellten geführt. Das Ergebnis ist ernüchternd: Die Qualitätsberichte sind weitgehend unbrauchbar.

Ein Haufen Zahlen, Codes und Abkürzungen

Dabei betreiben die Krankenhäuser enormen Aufwand, um die Qualität ihrer Arbeit zu messen. Nach jeder Operation füllen Pfleger, Ärzte oder Dokumentationsassistenten einen Qualitätsbogen aus – zum Unwillen vieler Angestellter. "Meine Schwestern dokumentieren sich zu Tode", berichtet zum Beispiel Jürgen Grüger, Chefarzt für innere Medizin am Heilig-Geist-Hospital Bensheim. "Die verbringen mehr Zeit bei der Dokumentation als am Bett."

Zusätzlich beschäftigt jedes Krankenhaus mindestens einen Qualitätsbeauftragten, der für die Berichte zuständig ist. 2014 meldeten die Krankenhäuser mehr als 3,2 Millionen Vorgänge. Es werden 416 Qualitätsindikatoren gemessen, von der Anwesenheit eines Kinderarztes bei einer Frühgeburt bis zur richtigen Indikation von TAVI. Anderes wird nicht erfasst: Die Volkskrankheit Diabetes etwa taucht in den Berichten nicht auf.

Heraus kommt ein Haufen Zahlen, Codes, Abkürzungen und Medizinchinesisch. Im Fall des oben erwähnten Klinikums Karlsburg ist der Bericht 175 Seiten dick. Die Berliner Charité kommt sogar auf über 2700 Seiten. Das alles kostet die Krankenhäuser und damit letztlich die Versicherten über 14 Millionen Euro jährlich.

Und dennoch verfehlen die Qualitätsberichte ihr Ziel, die Qualität in den Krankenhäusern zu sichern.

Vor allem aus sechs Gründen:

1. Die Qualitätsberichte sind selbst für Experten kaum lesbar – und für Laien komplett unverständlich.

"Patientinnen und Patienten, also die Leser dieser Berichte, verstehen die Spezialitäten dieser Berichte nicht", sagt Wolf-Dietrich Trenner. Nur wenige kennen sich bei dem Thema so gut aus wie der Krankenpfleger. Jahrelang war er Patientenvertreter im Gemeinsamen Bundesausschuss, dem höchsten Gremium des Gesundheitswesens.

Trenner schüttelt den Kopf, wenn er durch die zehn Seiten lange Leseanleitung blättert. Die Bertelsmann-Stiftung bereitet die Ergebnisse der Qualitätsberichte zwar etwas lesefreundlicher in einer "Weißen Liste" auf. Doch in Sachen Qualitätsmängel ist auch sie wenig hilfreich. Was war der Auslöser für den Patzer? Bin ich als Patient in Gefahr? Hat das Krankenhaus reagiert und den Missstand verbessert? Die Qualitätsberichte geben darauf keine Antwort.

2. Die Krankenhäuser bewerten sich selbst – und verschweigen häufig Fehler.

Wer einen kurzen Blick auf die Berichte wirft, könnte meinen, dass Krankenhäuser nur höchste Qualität leisten. Kein Wunder, immerhin stammen die Daten direkt von ihnen. Können sich Patienten wirklich auf die Angaben der Kliniken verlassen? "Die Qualitätssicherung funktioniert bei denen, die guten Willens sind", sagt Patientenvertreter Trenner. "Aber wir haben in den Krankenhäusern nicht nur Heilige."

Eine Studie des Hamburg Center for Health Economics aus dem Jahr 2014 belegt das. Die Forscher stellten eine auffällige Differenz fest: Bei den Krankenkassen werden mehr Hüftersatz-OPs abgerechnet, als die Krankenhäuser in ihren Qualitätsberichten angeben. Der Verdacht: Verschweigen manche Krankenhäuser schiefgelaufene Operationen?

Das Kalkül der Krankenhäuser lässt sich leicht errechnen: Für jeden nicht dokumentierten Fall muss das Krankenhaus 150 Euro Strafe zahlen. Verglichen mit dem Erlös einer Fallpauschale von 25 000 Euro oder mehr für eine TAVI-OP ist das wenig. Es sei also "rational, problematische Fälle eher nicht zu dokumentieren", folgert die Studie.

3. Die Krankenhäuser tricksen – und die Politik lässt es zu.

An manchen Stellen müssen die Krankenhäuser gar nichts verschweigen, sondern nur geschickt die gesetzlichen Vorgaben auslegen. Wo genau, weiß der Controller Tamir Al-Abadi. Er zeichnet die komplexe Qualitätssicherung in wenigen Minuten auf ein DIN-A4-Blatt. Dann zeigt er mit dem Stift auf die Stellen, an denen bei den Berichten geschummelt wird. Es sei "eine Art Sport" unter den Krankenhäusern, Schlupflöcher in der gesetzlichen Qualitätssicherung auszunutzen, sagt er.

Zum Beispiel bei den Personalzahlen. Je nachdem, welche Zählweise man zugrunde legt, könne man hier die Zahl der Pfleger zum Stichtag nach oben korrigieren, erklärt er. Ein Verwaltungstrick, der das Betreuungsverhältnis von Pfleger und Patient in der "Weißen Liste" besser aussehen lässt, als es eigentlich ist.

Ähnliches gilt für die umstrittenen Chefarztverträge. Laut einer aktuellen Studie des Medizincontrolling-Verbands hatten drei Viertel der Kliniken ihren Chefärzten Boni zugesagt, wenn sie eine bestimmte Zahl an Operationen, an schweren Fällen oder schlicht mehr Umsatz erreichen. Laut Gesetz müssen die Krankenhäuser angeben, wenn sie Verträge über einzelne Eingriffe abschließen – doch in ihre Qualitätsberichte schreiben sie das nur selten. Es kontrolliert keiner.

4. Die Berichte sind bereits veraltet, wenn sie veröffentlicht werden.

Das Gesundheitszentrum Rheine hat als letzten Bericht den aus dem Jahr 2010 auf seiner Website veröffentlicht. Die Berliner Charité hinkt mit dem Bericht aus 2012 hinterher. Das Klinikum Karlsburg veröffentlicht die Berichte erst gar nicht.

Angenommen, eine Patientin entdeckt den für sie entscheidenden Indikator, versteht und interpretiert ihn richtig, ist die Angabe dennoch hoffnungslos veraltet. Anfang 2016 wurden die Qualitätsberichte aus dem Jahr 2014 veröffentlicht, bislang als Rohmaterial auf CD. Die Qualitätsmessung liegt mehr als ein Jahr zurück. Der schlechte Operateur kann längst durch eine Koryphäe auf dem Fachgebiet ersetzt worden sein – und umgekehrt.

5. Nicht einmal die Klinikleitungen nehmen die Berichte ernst.

Die Krankenhäuser wissen, wie zahnlos die Qualitätsberichte sind – und ignorieren sie häufig einfach. Spricht man etwa Klinikdirektor Motz auf die Diskrepanz zwischen seiner Auszeichnung als TAVI-Zentrum und den in den Qualitätsberichten festgestellten Mängeln an, verschränkt er die Arme. "Diese ganze Fragebogen-Ausfüllerei hat nichts mit der Qualität des Eingriffs zu tun", sagt er. "Das viele Pipapo ist einfach nur Getue." Die Bewertung im Qualitätsbericht stamme ja von Ärzten, die gar nicht am Patienten arbeiteten – und die folglich gar nicht beurteilen könnten, wie hochwertig der Eingriff sei.

Wirklich? Das Urteil über die Qualität in seinem TAVI-Zentrum haben Armin Welz, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie, und neun Kollegen getroffen, darunter Chefärzte. Patientenvertreter Trenner gehörte auch dazu. "Wenn eine Gruppe von hochrangigen Spezialisten in dem Fachgebiet Ihnen sagt, dass die Qualität nicht gut ist, dann würde ich deren Urteil mehr glauben als dem Urteil eines einzelnen Arztes, der sagt: 'Aber ich mach doch alles richtig'", sagt Trenner. Und: "Wenn in diesen Kreisen davon geredet wird, dass es Verbesserungspotenzial gibt, ist das schon eine ziemlich vernichtende Kritik."

6. Schlechte Qualität wird nicht sanktioniert.

Insgesamt 553 Krankenhäuser wurden 2014 bei einem oder mehreren Indikatoren schlecht bewertet. Das Uni-Klinikum Heidelberg erhielt sogar in zehn Bereichen schlechte Noten. Negative Konsequenzen müssen die Krankenhäuser trotzdem nicht fürchten – auch wenn sie, wie das Karlsburger Klinikum, schon im Jahr davor auffällig wurden.

Deutschlandweit wurden in über zehn Jahren erst zwei Abteilungen geschlossen, nachdem Qualitätsmängel in den Berichten veröffentlicht worden waren, berichtet Wolf-Dietrich Trenner.

Die einzige Sanktion für Krankenhäuer ist die Veröffentlichung des Mangels im Qualitätsbericht. Doch den verstehen, wie gesagt, selbst Experten kaum. Hat ein schlechtes Qualitätssiegel also irgendeine Bedeutung für das Krankenhaus? "Nein, gar nicht", sagt Klinikdirektor Motz. "Das hat keine Konsequenzen."

Folgerichtig werden die Berichte an manchen Standorten schlicht ignoriert. Ein ehemaliger Mitarbeiter des Klinikums Karlsburg, der über TAVI-Eingriffe mitentschieden hat, sagt: "Über die schlechten Ergebnisse in den Qualitätsberichten wurde nie gesprochen."

Warten auf die Bundestagswahl

Warum ist das alles so? Ein Grund: Für Lokalpolitiker und Bundestagsabgeordnete gibt es keinen schnelleren Weg, ihr Mandat zu verlieren, als den Wählern im eigenen Wahlkreis "ihr Krankenhaus wegzunehmen" – sei es noch so unrentabel und schlecht. Nicht zuletzt deshalb haben die Abgeordneten im Bundestag bei der Debatte um das Krankenhausstrukturgesetz im vergangenen Jahr so heftig gerungen. Sollte schlechte Qualität bestraft werden? Und wenn ja, wie?

Das muss der Gemeinsame Bundesausschuss entscheiden. Darin sitzen Vertreter von Ärzten, Kassen und Krankenhäusern. Sie sollen die Kriterien festlegen, nach denen schlechte Krankenhäuser bestraft werden.

Viele Experten halten das hinter vorgehaltener Hand für "feige Politik": Anstatt Sanktionen zu beschließen, lagere der Gesundheitsminister die Entscheidungen an den Gemeinsamen Bundesausschuss aus. Doch dort blockieren sich die Interessenvertreter gegenseitig. Die Krankenhäuser müssten bei jeder Verbesserung der Qualitätssicherung überstimmt werden, stöhnt ein Vertreter der Krankenkassen.

Patientenvertreter Wolf-Dietrich Trenner will lieber nach vorne blicken. "Wir haben eine Menge Fehler gemacht dabei, und manche haben wir nicht abgestellt", sagt er. "Bleibt also für die nächsten zehn Jahre auch noch viel zu tun."

Die Studie des Hamburg Center for Health Economics schlägt zum Beispiel vor, Operationen nur zu vergüten, wenn die Krankenhäuser die Qualität dokumentiert haben. Überflüssige Operationen sollten nicht vergütet werden. Und die Daten der Krankenhäuser sollten anhand der Daten der Krankenkassen überprüft werden.

Die Große Koalition hat sich im Krankenhausstrukturgesetz darauf geeinigt, dass schlechte Qualität schlechter bezahlt wird. Kliniken mit dauerhaft schlechter Qualität dürfen keine Kassenpatienten mehr behandeln – und würden wohl pleitegehen.

Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg. Sicher ist nur, dass die neuen Regeln erst nach der nächsten Bundestagswahl im Jahr 2017 in Kraft treten werden. Im Wahlkampf würde die Qualität nur stören.

 

Dieser Artikel erschien zuerst auf correctiv.org, das gemeinnützige Recherchebüro finanziert sich über Spenden. Autor Timo Stukenberg ist mit einem Datenfellowship der Rudolf Augstein Stiftung gefördert worden.


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3 Kommentare verfügbar

  • Arnold Imort
    am 28.07.2016
    Antworten
    Im Barbara Hosp. Gladbeck passierte mir (79 Jahre alt)folgendes:
    Bei dem Aufnahmegespräch zu einer hyperthermischen Blasenspülung sagte ich der Urologin, dass ich etwas außer Atem sei, weil ich schnell gegangen sei. Sie brach sofort das Gespräch ab, telefonierte mit einem ihrer Oberärzte und…
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