1. Das Virus an sich.
Als sich die Corona-Epidemie immer stärker in Europa auszubreiten begann, im Februar und in den ersten zwei Märzwochen, wurde das Virus in linken Kreisen noch vielfach mit einer "etwas heftigeren Grippe" verglichen. Das hat sich inzwischen aufgrund des drastischen Anstiegs der Todesfälle erledigt und ist von einer anderen Rhetorik abgelöst worden. In der Partei Die Linke wurde die Debatte um demokratische Rechte jüngst mit dem Schlenker eingeleitet: "Unabhängig von der Gefährlichkeit des Corona-Virus, sehe ich die Gefahr ..." Auf "Rubikon" schrieb Jens Wernicke: "Solange alle an den Killervirus glauben und alles mitmachen, sieht es übel aus..." Doch was genau die "Gefährlichkeit" beziehungsweise den Charakter des Killervirus ausmacht – das geht in derlei Debattenbeiträgen, die so auch im wissenschaftlichen Beirat von Attac laufen, meist unter.
Zum Stand 21. April 2020 starben weltweit 175.000 Menschen im Zusammenhang mit einer Corona-Infektion. Wie schnell sich das Virus ausbreiten kann, haben Virologen dutzendfach erklärt. Die Bundesregierung ließ bereits 2012/2013 in einer Risikoanalyse, die das Robert Koch-Institut (RKI) erstellte, vorrechnen, dass beim Auftreten eines solchen Corona-Virus – dort als "Modi-SARS-Virus" bezeichnet – "im gesamten zu Grunde gelegten Zeitraum von drei Jahren mit mindestens 7,5 Millionen Toten als direkte Folge der Infektion zu rechnen" sei (Bundestagsdrucksache 17/12.051, S. 64). Dabei ist logisch, dass die Grundannahmen eines theoretischen Virus' – Sterblichkeitsrate, Verbreitungsgrad, Inkubationszeit – nicht völlig identisch sein können mit dem nun tatsächlich auftretenden. Ein engagierter linker Journalismus müsste dennoch fragen, warum die Bundesregierung seither nochmals 120 Krankenhäuser geschlossen, Personal ausgedünnt und das RKI dazu die Klappe gehalten hat.
2. Von Vorerkrankungen und dem Alter der Toten.
Bei einem zweiten Topos in dieser Debatte wird direkt oder indirekt die Todesursache in Frage gestellt oder auf fatale Weise auf "das Alter" der Corona-Toten verwiesen. Die Plattform "Rubikon" hat dafür Fulvio Grimaldi aufgetrieben, der kritisiert, es werde nicht "zwischen Todesfällen mit COVID-19 und Todesfällen durch COVID-19 unterschieden". Der Autor konstatiert, dass es bei vielen der im Zusammenhang mit Corona Gestorbenen "bis zu drei schon vorher vorhandene schwere, ja sogar tödliche Krankheiten, neben einem Durchschnittsalter von über achtzig Jahren" gegeben habe: "Sie starben an Lungenentzündung, Diabetes oder Herz-Kreislauf-Kollaps, zu denen dann die Grippe noch hinzukam." Aber haben nicht 95 Prozent der Menschen im höheren Alter "Vorerkrankungen"? Kritisieren wir nicht, dass in der Statistik der Straßenverkehrstoten solche nur dann aufgeführt werden, wenn diese binnen 30 Tagen nach einem Straßenverkehrsunfall aus dem Leben schieden? Danach sind es Tote in Folge von Herzinfarkt, Grippe, Diabetes.
Und wie kann es sein, dass ernsthaft das ALTER als eine Todesursache genannt wird – im obigen Zitat direkt, in anderen Fällen indirekt? Dazu schrieb der Schweizer Arzt Prof. Dr. Paul Robert Vogt in seinem bemerkenswerten, humanistisch argumentierenden Beitrag in der "Mittelländischen Zeitung" vom 7. April 2020: "Mit guter Lebensqualität ein hohes, selbstbestimmtes Alter zu erreichen, ist ein hohes Gut. […] Und es ist das Resultat der Medizin, dass man auch nach drei Nebendiagnosen bei guter Lebensqualität ein hohes Alter erreichen kann. Diese positiven Errungenschaften unserer Gesellschaft sind nun plötzlich […] nur noch eine Last. […] Gewisse Kommentare haben den üblichen Geruch der Eugenik."
3. Aber Schweden!
Die Zahl der Länder, die eine andere Strategie zur Bekämpfung der Corona-Pandemie wählten, betrug bis vor kurzem noch ein Dutzend. Aktuell sind es nur noch wenige. Weißrussland und Brasilien zählen dazu. Doch damit will man sich als fortschrittlicher Mensch dann doch lieber nicht identifizieren. Auch wenn das Geschwätz, das es in diesem Zusammenhang gibt ("eine kleine Grippe" – Jair Bolsonaro; "eine Psychose", Alexander Lukaschenko) und die Strategie, die zur Anwendung kommt ("Herdenimmunität") einige Parallelen mit der hiesigen Debatte aufweisen. Es bleibt das "schwedische Modell" – das immerhin von einer sozialdemokratisch-grünen Regierung zu verantworten ist. Jetzt aber mal ernsthaft! Sind 1.765 Corona-Tote, Stand 21. April, ein Erfolg? Bei 10,3 Millionen Einwohnern? Was würden wir sagen, wenn es hierzulande – korrekt umgerechnet – 14.000 Corona-Tote geben würde (statt, Stand 21. April, 5.024)? Und wie kann es sein, dass in den Nachbarländern Norwegen und Dänemark, deren Bevölkerung jeweils nur ein Drittel so groß wie die schwedische ist, die Zahl der im Zusammenhang mit Corona Gestorbenen nur bei einem Fünftel (Dänemark; 364 Corona-Tote) beziehungsweise ein Zehntel (Norwegen; 181 Corona-Tote) liegt? Wobei diese Länder vergleichbar verfahren wie Deutschland. Doch so genau will man es dann doch nicht wissen.
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Bernd
am 21.04.2021