"Wo die Not drängt, da wird Tollkühnheit zur Klugheit", sagte einst Niccolò Machiavelli – und er hat Recht. In Notzeiten zeigt sich, wer wes Geistes Kind ist, wem man vertrauen kann und wem nicht. Es zeigt sich auch, wer die intellektuelle Fähigkeit hat, über seinen eigenen Schatten zu springen und seine eigenen Dogmen in Frage zu stellen. Deutschland, die Niederlande und Österreich führen gerade vor, dass sie nicht über die Tollkühnheit verfügen, die zur Klugheit wird. Das wird sich bitter rächen.
Um genau zu wissen, worum es dabei geht, muss man nur ein Interview anhören, das Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) kürzlich dem Deutschlandfunk gegeben hat. Da ist es wieder klar, dass nur diejenigen in Europa, "die sich in den vergangenen Jahren wirklich angestrengt haben", jetzt auch die Möglichkeit haben können, ohne jedes Problem und ohne jeden Zinsaufschlag das Geld aufzunehmen, das sie zur Bekämpfung der Corona-Krise brauchen.
Wörtlich sagte Altmaier: "Der Staat … sind wir alle. Aber wir haben gemeinsam durch die Einhaltung der Schuldenbremse, durch die Konsolidierung der öffentlichen Finanzen in den letzten Jahren die Voraussetzung dafür geschaffen, dass wir jetzt Geld in die Hand nehmen können, dass wir die Staatsausgaben vorübergehend deutlich erhöhen können, um Unternehmen zu retten, um Arbeitsplätze zu retten, um den Wohlstand dieses Landes zu retten."
Was im Umkehrschluss ja nur heißen kann, dass "die anderen", die genau das nicht getan haben, jetzt eben auch kein Geld in die Hand nehmen können, weil sie keines haben. Sie haben eben nicht die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass sie ihre Wirtschaft heute retten können.
Und die meisten deutschen Medien – wie könnte es anders sein? – sind voll auf diesen Regierungszug aufgesprungen. In einer ZDF-Sondersendung in dieser Woche (ab Minute 11) war mehrfach die Rede von den "schwächeren" Ländern im Süden und von den "wirtschaftlich Starken" im Norden, die für die Schwachen haften sollen. Bei ntv entblödet man sich nicht, von den "Kreditsüchtigen" im Süden zu sprechen. Aber auch in der "Zeit" heißt es, von der Europäischen Zentralbank (EZB) über Wasser gehaltene Länder könnten "in die Pleite rutschen", wenn die Zinsen nicht dauerhaft niedrig bleiben.
Die deutsche Sicht ist ein Tunnelblick
"Schwache" und "Starke" scheinen quasi naturgegebene Kategorien zu sein. Als schwach gelten die Länder, denen es nach der Finanzkrise von 2008/2009 nicht gelungen ist, ihre Staatshaushalte zu konsolidieren und ihre öffentliche Verschuldung zu verringern. Und das, obwohl ein Land wie Italien größere Sparanstrengungen unternommen hat als irgendein anderes europäisches Land. "Stark" sind diejenigen, die, wie Österreich, die Niederlande und Deutschland, die "guten Zeiten" genutzt haben, um sich auch für eine Notlage wie die gegenwärtige zu rüsten.
Das alles, um es vollkommen klar zu sagen, ist die auf einen Tunnelblick verengte deutsche Sicht, die absolut nichts mit makroökonomischer Logik und daher nichts mit der Realität in der Europäischen Währungsunion (EWU) zu tun hat. Sie ist gleichzeitig ein beeindruckendes intellektuelles Armutszeugnis. Der dem zugrundeliegende Fehler ist die jahrelange Weigerung der deutschen Politik und der Masse der deutschen Medien, die Bedeutung und die Folgen der deutschen Leistungsbilanzüberschüsse zur Kenntnis zu nehmen. Ob man nämlich die öffentlichen Defizite herunterfahren kann, hängt unter den heute weltweit gegebenen ökonomischen Umständen fast ausschließlich davon ab, ob man Leistungsbilanzüberschüsse aufbauen kann oder nicht.
1 Kommentar verfügbar
Jue.So Jürgen Sojka
am 25.04.2020„Stark, die Logik der Schwachen!“ – die Schwachen müssen korrigieren, was die Starken verbockt haben, ohne am Entstehen der Problemstellungen beteiligt gewesen zu sein!!! [1]
In unserer…