KONTEXT:Wochenzeitung
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Solitär auf allen Kanälen

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Wer wagt sich heute noch in den Journalismus? Ein Besuch im Stuttgarter Pressehaus könnte bei der Berufswahl helfen. Tut es aber nur insoweit, als die Zweifel größer werden.

Im Foyer des Pressehauses ist es blitzsauber. Grundgesetz, Artikel 5, Presse- und Meinungsfreiheit, prangt in elf Sprachen an der Wand. Ein Ölgemälde zeigt (nur) Männer, die sich in die "Times", "Märkische Oderzeitung" und die "Stuttgarter Zeitung" vertiefen. Neun Stockwerke gebündelte Meinungsvielfalt öffnen sich den Besuchern. Die kommen diesmal von der Hochschule der Medien in Stuttgart-Vaihingen, angehende Medienschaffende. Exkursionswoche steht an, sprich: eine Redaktion auch mal von innen sehen.

Der Empfang ist herzlich, die Realität ernüchternd. Den Blättern im Pressehaus bricht, wie andernorts auch, die ökonomische Grundlage weg. Leserinnen und Leser im digitalen Bereich hat man zwar, Zahlungsfreudige dabei noch zu wenig. Und die Fahrt der gedruckten Ausgaben geht stetig stromabwärts. Ein Drittel der Printauflage ist in den vergangenen zehn Jahren verloren gegangen, zusammen kommen "Stuttgarter Zeitung" und "Stuttgarter Nachrichten" noch auf rund 140 000 Exemplare. "Wir kämpfen ums Überleben", sagt Rainer Pörtner, in der Chefredaktion zuständig für politische Berichterstattung. Er hat Stationen beim "Spiegel" und beim "Focus" hinter sich und übt sich in Demut. In seinen Erzählungen schwingen Schmerz und Wehmut mit – darüber, dass es mit Print bergab geht. Pörtner ist Jahrgang 1961.

Die beiden Blätter werden sich immer ähnlicher

Was also tun, um das Überleben zu sichern? Dafür hat die Chefredaktion die gängige Antwort: Synergie-Effekte nutzen. So geschehen 2016, als die "Stuttgarter Zeitung" (StZ) und die "Stuttgarter Nachrichten" (StN) fusionierten. Pörtner kommt darauf zu sprechen, betont den – nach wie vor – "unterschiedlichen Charakter" der beiden Blätter. Die StZ sei immer noch ein "Solitär", meint er.

Konferenz um halb elf, ein Stündchen später. Das Stehen verhindert, dass tagträumende Edelfedern wichtige Tagesordnungspunkte verpassen. Um die Effizienz des Ganzen zu potenzieren, hängt ein Ablaufplan der Konferenz an der Wand, der fest hält, wer wann mit seinem Vortrag dran ist. Joachim Dorfs, Chef der Chefs und kühler Taktgeber, leitet das spaßgebremste Treiben geschäftsmäßig. Ein Redakteur merkt leise an, wie verwandt der Charakter der beiden Zeitungen in der Montagsausgabe war. Gleicher Leitartikel, gleiche Titelgeschichte, ähnliches Aufmacher-Bild. Man debattiert, dass dies schon öfters vorgekommen sei. Ein Redakteur meint, das "Bemühen war auch schon mal größer", zwei Zeitungen mit unterschiedlichem Profil zu produzieren.

Ob denn in der Post-Rebmann-Ära ein neuer Wind weht? Bisher nicht spürbar, sagt Rainer Pörtner, viel geändert habe sich nicht. Christian Wegner, <link https: www.stuttgarter-zeitung.de inhalt.christian-wegner-im-interview-unsere-dna-ist-journalismus.55f30dc1-11ff-4a9a-a4ce-03a1ca6222e5.html external-link-new-window>der seine Kollegen am liebsten duzt, ist seit Mitte letzten Jahres der neue Kopf an der Spitze des Mutterkonzerns Südwestdeutsche Medien Holding (SWMH). Wie sich das schleichende Einverleiben eines Verlages nach dem anderen denn auf die Pressevielfalt auswirke? "Schlecht – aber es geht nicht anders", antwortet Pörtner. Andernorts sei es nämlich noch schlimmer, Stichwort Funke-Mediengruppe und Konsorten. Da oben, in NRW, fernab des Stuttgarter Kessels.

Die Botschaft, die in dieser Antwort mitschwingt, lautet: Das Sparen, Stellenstreichen und Schlucken einer Lokalzeitung nach der andern, ist eben alternativlos. Die Eßlinger, die Böblinger, die Bietigheimer – um nur ein paar zu nennen. Jetzt heißen sie auch "Partnerzeitungen", wie die Waiblinger, Oberndorfer, Nürtinger. Von gestrichenen Stellen kein Wort. Die Antwort ist eben, dass man keine Antworten hat.

Rundgang durch den Newsroom, den Maschinenraum der Redaktion. Rechteckige grüne Balken ragen in die Luft. Etwas deplatziert stehen sie wie willkürliche Farbtupfer im grauen Großraumbüro. Prototyp einer Feinstaub-Mooswand? Aber nein, sagt der stellvertretende Chefredakteur Michael Maurer und grinst. Die Balken wurden zum Lärmschutz hier installiert, einige Kollegen hatten sich über den Geräuschpegel beschwert.

Qualitätsjournalismus – wäre das vielleicht eine Option? "Wir wollen nicht die Seite-Drei-Reportageschreiber", betont Maurer. Ein Satz, der jedem ambitionierten Nachwuchs-Journalisten das Herz binnen Sekunden zerrupft. Crossmedial: das sei das Gebot der Stunde, alle Ausspielkanäle beherrschen. Audio, Video, Text, Social Media. Alles eben ein bisschen, aber nichts richtig. Der "journalistische Ansatz" solle aber noch da sein, meint er. Für die potenziellen Praktikantinnen und Praktikanten ist das eine gute Nachricht, weil es Vieles einfacher macht. Googeln kann schließlich jede und jeder, und von den diversen journalistischen Formaten und Ausspielkanälen haben sie auch schon gehört. Alles ein bisschen, aber nichts richtig.

S 21: Jetzt aufhören wäre auch doof

Maurer bekräftigt noch einmal, dass die "ökonomische Basis erodiert", deshalb müsse unbedingt was geschehen. Dafür sei eine Abteilung gegründet worden, erzählt Politik-Chef Pörtner, die mache was im Digitalen, mit Innovation Management, jedenfalls etwas mit englischem Titel. Er verhehlt nicht, dass sein Herz fürs Gedruckte schlägt. Vielleicht kann Geschäftsführer Christian Wegner hier mit neuen Perspektiven nachhelfen? Der 44-Jährige hat <link https: www.kontextwochenzeitung.de medien dem-visionaer-ist-nichts-zu-schwer-5191.html external-link-new-window>vor seiner SWMH-Zeit Millionen in die Dating-Plattform "Parship" investiert, sprich neue Märkte erschlossen, die von den Zeitungsverlegern händeringend gesucht werden.

Aber Spaß beiseite, es wird wieder ernst. Bei Themen wie S 21 habe man die "ganze Bandbreite der Berichterstattung" als Leser abbekommen, versichert Maurer. Pro und Contra. Was nichts daran ändere, dass eine Zeitung Stellung beziehen, Haltung zeigen müsse. So stehe die Redaktion nach wie vor hinter dem Bauvorhaben, es sei "sinnvoll für die Stadt", als "Infrastrukturprojekt", betont der Vizechef. Das alles abzubrechen, die Tunnel wieder zuzuschütten, das wäre ja auch doof – und kostspielig sowieso.

Wer mag da noch Seite-Drei-Reportagen schreiben?

Presse im Umbruch

Print geht, digital kommt. Die meisten Verleger haben das zu spät bemerkt. Statt zu investieren, sparen sie den Journalismus kaputt. Aber es gibt auch positive Beispiele.

<link internal-link-new-window>Zum Dossier

 

Pünktlich zum Tag der Pressefreiheit ruft der Medienjournalist Stefan Niggemeier <link https: uebermedien.de apropos-pressefreiheit-koennen-wir-mal-ueber-pressevielfalt-reden external-link-new-window>auf dem Portal "Übermedien" dazu auf, mehr über die schwindende Pressevielfalt zu diskutieren. Er verweist auf eine Nahaufnahme der Reporter ohne Grenzen: Stellenabbau, Sparmaßnahmen, "Zentralredaktionen großer Zeitungsverlage, die identische Inhalte an diverse Abnehmer liefern". Doch, kritisiert Niggemeier, "dieser Aspekt hat es in fast keine Zeitung geschafft".


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1 Kommentar verfügbar

  • Karl Heinz Siber
    am 10.05.2019
    Antworten
    "Die ganze Bandbreite der Berichterstattung" zu Stuttgart 21 in der StZ? Nicht in der Zeit, in der es darauf angekommen wäre.
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