Jetzt auf einmal: Ausgerechnet Silvio Berlusconi spürt "in Italien ein Klima mangelnder Freiheit". Der schräge Multimillionär, Medienmogul und mehrfache Regierungschef, der zum heutigen Zustand Italiens viel beigetragen hat, sieht das Land auf einer "Vorstufe der Diktatur". Weil seine Partei Forza Italia nicht mitregiert, versteht sich, vor allem aber, weil dem virtuosen Verführer, Vereinfacher und Verhetzer die Instrumente abhandengekommen sind. "Ich bin vor drei Generationen zur Welt gekommen", lamentiert der 82-Jährige, "das Internet ist nicht meine Welt."
DemokratInnen schauen gegenwärtig in die USA, wenn es um die Radikalisierung einer Gesellschaft geht. Da kursiert so viel gefährlicher Unsinn, dass es immer schwerer wird, sich ein halbwegs vernünftiges Bild zu machen von den gesellschaftlichen Verhältnissen. Oder nach Polen, wo vor zwei Jahren aus Sendern "nationale Medien" wurden mit dem Auftrag, ein konservatives, christliches Bild des Landes zu transportieren. Beispielsweise am vergangenen Wochenende waren im polnischen Fernsehen glückliche Eltern zu sehen mit glücklichen Kindern auf den Schultern, die nichts daran finden, am Unabhängigkeitstag mit Rechtsextremisten zu marschieren. Oder nach Ungarn, wo die öffentlich-rechtlichen Programme schon seit acht Jahren gleichgeschaltet sind.
Die Blaupause für das, was die AutorInnen der Europäischen Rundfunk Union, des Bayerischen und des Österreichischen Rundfunks in ihrer Studie "Auftrag-Demokratie" eine "Vielfaltsverengung" und damit eine "radikale Herausforderung" nennen, lieferte Italien. Untersucht und belegt ist, wie Berlusconi 1994 überhaupt nur deshalb erstmals an die Macht kam, weil er zwei Jahrzehnte lang mit seinen Gewinnen aus dubiosen Immobiliengeschäften lokale Fernsehbetreiber aufgekauft und dann zusammengespannt hatte. Das war verboten. Schon 1989 wurde aber das entsprechende Gesetz zu seinen Gunsten novelliert. Also besaß er drei landesweite Senderketten, seinem Bruder Paolo musste er eine Zeitung abtreten, die zum zügellosen Werbeblatt wurde und die Stimmung anheizte gegen Institutionen, gegen RichterInnen und StaatsanwältInnen, Frauen, Schwule oder Linke. Vollends demokratiezerstörend entwickelte sich Berlusconis Einfluss, als er sich – inzwischen Regierungschef – die "Radiotelevisione Italiana" zu Nutze machte. "Er hatte stets willige Helfer an den wichtigsten Schaltstellen in den Medien", heißt es in einer der ungezählten Analysen.
Bedeutungsverlust der Qualitätsmedien
"Pointiert", schreiben die AutorInnen der EBU/BR/ORF-Untersuchung, ließen sich am Beispiel Italien die negativen Folgen des Bedeutungsverlusts von Qualitätsjournalismus auf die Öffentlichkeit beschreiben. Vor allem, weil die Qualitätspresse traditionell schwach sei "und die Politik das Format des Reality-TV" angenommen habe: "Der politische Populismus wird durch den Medienpopulismus beflügelt, populistische Akteure erzielen über ihre medienwirksamen Aktionsformen wesentlich bessere Resonanz als die traditionellen Volksparteien."
Eine von vielen Konsequenzen ist, welche Auswirkungen die über so viele Jahre schleichend, aber stetig veränderte Landschaft auf den Umgang mit offiziellen Informationen hat. Im EU-Durchschnitt nutzen in den vergangenen zwölf Monaten immerhin knapp die Hälfte aller Menschen zwischen 16 und 74 Jahren Regierungsportale im Netz. In Italien sind es nur 19 Prozent.
8 Kommentare verfügbar
Charlotte Rath
am 19.11.2018