"Journalismus ist, etwas zu veröffentlichen, was andere nicht wollen, dass es veröffentlicht wird, alles andere ist PR." Der schlanke Spruch, bei dem Public Relations manchmal mit "Propaganda" übersetzt wird, soll angeblich auf George Orwell zurückgehen. Belege dafür gibt es nicht. Das Zitat geistert durch ungezählte Foren, momentan vor allem in Österreich, wo das Bundesinnenministerium (BMI) seit dem vergangenen Wochenende sogar die traditionell bürgerliche, einflussreiche Industriellenvereinigung gegen sich hat. Der Chef des mit dem deutschen BDI vergleichbaren Verbands, Georg Kapsch, wirft Innenminister Herbert Kickl vor, "wirklich eine Grenze überschritten zu haben". Denn: "Wer die Pressefreiheit irgendwie infrage stellt, rüttelt an den Grundfreiheiten der Demokratie."
Die unverzügliche schriftliche Replik zeigt, wes Geistes Kinder die sind, die Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) vor knapp einem Jahr in seine Regierung holte – obwohl andere Mehrheiten möglich gewesen wären. FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker keilte aus: Kapsch solle sich "nicht in Sachen einmischen, die seinen Wirkungsradius eigentlich überhaupt nicht tangieren", sich nicht als "selbsternannter Hüter von Anstand und Moral" aufspielen, seine Kritik sei "an den Haaren herbeigezogen", die Sache gehe ihn "einen Schmarren" an.
Als ob demokratisch legitimierte InteressenvertreterInnen wie Kapsch nicht im Gegenteil zur Wortmeldung verpflichtet wären, wenn es ans Eingemachte geht. Das Wiener Innenministerium hatte den Polizeidienststellen in allen neun Bundesländern schriftlich Tipps zum Umgang mit Presseorganen gegeben: Regierungskritische Zeitungen sollen mit Informationen bewusst kurzgehalten werden. Diese "Anregungen für die Zusammenarbeit" löste eine Welle von Gegenreaktionen aus, in der OSZE, in Brüssel, da Österreich gerade den EU-Ratsvorsitz führt. Und natürlich im Netz. "Sie wollen unsere Republik", schreibt einer, "aber sie bekommen sie nicht."
Widerspruch ist nicht mehr vorgesehen
In der neuen rechtskonservativen Koalition sind PressesprecherInnen besonders enge MitarbeiterInnen, weil ressort- und parteiübergreifend größter Wert auf abgestimmte Darstellung gelegt wird und "wording", die abgestimmte Wortwahl, viel wichtiger ist als inhaltliche Präzision oder gar Transparenz. Kickls PR- oder auch Propaganda-Chef Christoph Pölzl hatte eine sechsseitige Mail verschickt. "Leider", beklagt der studierte Experte unter anderem für "Public Management" darin, "wird wie eh und je seitens gewisser Medien (zum Beispiel STANDARD, 'Falter') sowie neuerdings seitens des 'Kuriers' eine sehr einseitige und negative Berichterstattung über das BMI beziehungsweise die Polizei betrieben". Und er schlägt vor, "die Kommunikation mit diesen Medien auf das nötigste (rechtlich vorgesehene) Maß zu beschränken und ihnen nicht noch Zuckerln wie beispielsweise Exklusivbegleitungen zu ermöglichen".
In der Welt der FPÖ, deren Innenminister nicht nur die Mail, sondern auch einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss und eine Bespitzelungsaffäre von JournalistInnen am Hals hat, ist Widerspruch aber nicht mehr vorgesehen. Es gibt Maulkörbe für immer mehr Menschen bei immer mehr Anlässen, in einer Tonlage, die noch vor wenigen Jahren Rücktrittsforderungen ausgelöst hätte. Der Kanzler selbst hat den Begriff "Anpatzen" in die politische Debatte eingeführt, was so viel heißt wie "sich bekleckern", aber laut Duden in Österreich auch für "verleumden" steht. Wer kritisiert, patzt an.
3 Kommentare verfügbar
Jue.So Jürgen Sojka
am 08.10.2018Kurz vor zwölf – wie lange schon vor zwölf? Jedenfalls bereits in den 60er Jahren schon so zu lesen!
Medial…